RA Forsthuber: Österreich muss zurück zur Neutralität – zu viel steht auf dem Spiel!

Bilder: Hintergrund via freepik / wirestock, RA G. Forsthuber via Screenshot

Obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung Österreichs Neutralität befürwortet, setzte Verteidigungsministerin Tanner (ÖVP) kürzlich in den USA den ersten Schritt zum NATO-Beitritt. Ihr eigenmächtiges Unterzeichnen des SPP-Vertrages ohne die dafür erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit bezeichnet Rechtsanwalt Forsthuber als Skandal. Zudem stehen weder Materiallieferungen an die Ukraine, noch Militärtransporte im Einklang mit dem Neutralitätsgesetz. Die Gefahr der Energiesanktionen gegen Österreich wächst.

Am 15. Mai 1955 wurde Österreichs „Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich“ (kurz: Staatsvertrag) unterzeichnet. Anlass für Mag. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Baden bei Wien, im Rahmen seines Grundrechteblogs an die Bedeutung der Neutralität des Landes zu erinnern. Seine Ausführungen werden im Folgenden wörtlich wiedergegeben.

Back to Neutrality

Zum 15. Mai 2022: Die Neutralität wird von 80 Prozent der Österreicher unterstützt. Dennoch soll sie politisch begraben werden. Eine Erinnerung.

Seit Beginn des Ukrainekrieges im März 2022 steht die Österreichische Neutralität neuerlich vor einer großen Prüfung. Verschiedene (rechts)politische Entscheidungen der Bundesregierung lassen erkennen, dass diese die „immerwährende Neutralität“ nicht einmal mehr im militärischen Kernbereich anerkennt.

Dabei sind wir seit 15. Mai 1955 (Tag der Staatsvertragsunterzeichnung) mit unserer Neutralität gut gefahren, sie war stets mittelfristiger Eckpfeiler unserer Sicherheits- und Standortpolitik. Durch sie konnte sich Österreich als sicherer Hafen behaupten, wurde Sitz zahlreicher internationaler Organisationen. Generell war Österreich stets ein guter Ort, um Frieden zu schließen.

Zunächst zur Neutralität an sich (1) und weiter mit aktuellen Ereignissen und politischen Entscheidungen (2).

Teil I. Was bedeutet „Neutral“?

Ein neutraler Staat tritt nicht aktiv als Partei in einem bewaffneten Konflikt auf und leistet auch keine direkte oder indirekte militärische Unterstützung an eine der Konfliktparteien (z.B. Waffenlieferungen oder Truppentransporte).

Laut den Haager Abkommen Nr. V. und XIII (1899 und 1907, auch Haager Landkriegsordnung genannt) bedeutet Neutralität im völkerrechtlichen Sinn:

  • das Recht auf Unverletzlichkeit des Territoriums neutraler Staaten,
  • die Pflicht neutraler Staaten, die Verletzung ihres Status zu verhindern,
  • die Pflicht neutraler Staaten, sich zu enthalten in Hinblick auf Kampfhandlungen und die Begünstigung von Kriegsparteien.

Neutralitätsgesetz

Grundlage unserer Neutralität ist das Neutralitätsgesetz, ein Bundesverfassungsgesetz, das mit 2/3 Mehrheit beschlossen wurde. Es hält fest, dass Österreich seine immerwährende Neutralität freiwillig erklärt und sie aufrechterhalten und verteidigen wird. Österreich wird keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen. Da das Gesetz Vorgaben für die Außenpolitik von Bund und Ländern enthält, wird die Neutralität zu den Staatszielen gezählt. In den Materialien zum Gesetz, wird festgehalten, dass es sich um eine Angelegenheit von höchster Bedeutung“ handelt.

EU-Beitritt und GASP

Mit dem EU-Beitritt 1995, wurde die Verfassung (B-VG) und die Neutralität an die EU-Mitgliedschaft angepasst (heute: Art 23f alt, Art. 23J neu B-VG), da mit der Mitgliedschaft auch die europaweite gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) verbunden ist (vgl. dazu auch die Petersberger Beschlüsse). Weitestgehend über Jahrzehnte ein Feigenblatt („jeder Staat macht was er will“), wird sie nun als Grund genannt, warum sich ein neutraler Staat an Wirtschaftssanktionen, die Duldung von Miltärtransporten über das Staatsgebeit und dergleichen beteiligen könne.

Dabei zu berücksichtigen ist Art 42 Abs 2 EUV: Die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) darf „den besonderen Charakter […] bestimmter Mitgliedstaaten“ nicht berühren (sog. „Irische Klausel“). Als Art 23j B-VG eingeführt wurde, halten die Materialien fest, dass Österreich „auch in Zukunft selbst darüber entscheiden [kann], ob sowie auf welche Weise Unterstützung geleistet“ wird.

In Bezug auf die Beistandsverpflichtung (Krieg gegen ein EU-Staat, Art. 42 Abs. 7 EUV), betonte Österreich, dass auch dann die (militärische) Neutralität respektiert werden muss. Österreich entscheidet also selbst, in welchem Umfang und auf welche Weise (z. B. Lieferung von Hilfsgütern) es Beistand leistet. Da EU-Beschlüsse im Rahmen der GASP und der GSVP immer einstimmig erfolgen müssen, wird davon ausgegangen, dass der besondere Status neutraler Staaten immer Berücksichtigung findet.

Teil II. Aktuell kritische Handlungen der Exekutive (Regierung)

Beispiel 1: Verteidigungsministerin unterzeichnet US Polit- und Militärbündnis (8. Mai 2022)

Ausgerechnet am 8. Mai 2022 reiste Verteidigungsministerin Claudia Tanner in die USA, um im Namen Österreichs das politische und militärische Bündnis „State Partnership Program“ (SPP) zu unterzeichnen. Das SPP ist eine etwas vereinfachte Variante des 1992 gegründeten Joint Contact Team Program (JTCP). Es ist der erste Schritt des NATO-Beitritts. Eines der ersten Mitglieder war die Ukraine. Die englische Wikipedia beschreibt die Zielsetzung dieser Programme wie folgt:

Das JCTP zielte darauf ab, den ehemaligen Republiken des Warschauer Pakts und der Sowjetunion, die jetzt unabhängig sind, dabei zu helfen, eigene Demokratien und Verteidigungskräfte zu bilden. Es zeichnete sich durch die langfristige Präsenz umfangreicher und teurer Teams von Beratungsspezialisten aus. Die SPP verkürzte die Beratungspräsenz auf eine Einheit der Nationalgarde der Vereinigten Staaten eines bestimmten Staates, die als Partner bezeichnet wird und gemeinsame Übungen mit dem Gastgeber durchführt. Das ist kostengünstiger, erfordert eine geringere amerikanische Präsenz und kann Kontakte zu zivilen Stellen umfassen. Heute werden beide Programme gefördert.

Das SPP ist der Einstieg in ein militärisches Bündnis. Das JTCP wird darüber hinaus empfohlen, wenn „engere Bindungen“ notwendig sind. Es bereitet auf die volle NATO-Mitgliedschaft vor.

Die Zielsetzung des SPP (dem wir gerade sang- und klanglos beigetreten sind), lautet:

Alle SPP-Aktivitäten werden durch die geografischen Combatant Commanders, die Länderteams der US-Botschafter, den Partnerstaat und gegebenenfalls andere Behörden koordiniert, um sicherzustellen, dass die Unterstützung der Nationalgarde auf die Ziele der USA und des Landes zugeschnitten ist. Insbesondere müssen alle Aktivitäten den Theaterkampagnenplan (TCP) sowie die individuellen Missionspläne der US-Botschafter in den Ländern, in denen sie tätig sind, unterstützen.

Wie kam es dazu?*

*Danke an report24.news für die Recherche.

Die NEOS richteten in Folge eine parlamentarische Anfrage an das Verteidigungsministerium, die am 27. Oktober durch Ministerin Tanner beantwortet wurde. In diesem Papier wird erstmals Ex-FPÖ-Verteidigungsminister Kunasek als Initiator angegeben, der dies am 9. und 10. April 2019 mit hochrangigen US-Politikern und Militärs besprochen habe. Ebenso wollte Robert Laimer von der SPÖ von der Regierung wissen, was es mit diesem Pakt auf sich hat, die Beantwortung erfolgte am 6. November. Eine spätere Anfrage durch die FPÖ wurde äußerst knapp am 10. November beantwortet, die politische Dimension aber bestätigt: Die Kooperation diene der Stärkung der bilateralen Beziehung mit den USA, sie könne aber jederzeit beendet werden. Die Ministerin dazu im Wortlaut:

Der Beitritt zu einem Verteidigungsbündnis ist mit dem Neutralitäts-BVG daher nicht vereinbar; sofern eine Kooperation bzw. die Teilnahme an gemeinsamen Übungen und Einsätzen jedoch jederzeit beendet werden kann, bestehen verfassungsrechtlich keine Bedenken.

Im Oktober 2021 wird wiederum via Presseaussendung und ORF verlautbart, dass „das Bundesheer“ ein Partnerschaftsabkommen mit der US-Nationalgarde beschlossen habe. Auch dieses Detail ist interessant, denn, dass das Bundesheer eigenhändig solche Verträge abschließen kann, erscheint hinsichtlich der Verfassung und der Neutralität höchst fragwürdig. Interessant ist auch die Wortwahl, denn die Teilnahme stand ja offenbar schon 2020 fest.

Tatsächlich handelt es sich aber – ungeachtet der zu hinterfragenden Begründung Tanners – um den ersten Schritt zum Ende der Neutralität und zum Beitritt zur NATO. Dass man die Mitgliedschaft in einem Militärbündnis ja wieder beenden könne als Indiz dafür heranzuziehen, dass das der Neutralität nicht widerspräche, ist ein Zirkelschluss**. Dass eine Ministerin ohne Nationalratsbeschluss mit 2/3-Mehrheit (!) eigenmächtig einen solchen Vertrag unterschreibt, ist ein Skandal.

**Ein Zirkelschluss ist ein Beweis, in dem das zu Beweisende bereits als Voraussetzung enthalten ist. Beispiel: Kaffee regt an, weil er eine anregende Wirkung hat. Für Cineasten: Catch 22.

Materiallieferungen an eine Kriegspartei

Bislang hat Österreich in die Ukraine offiziell Helme, Schutzausrüstung und Treibstoff geliefert. Die Spende galt aus mehreren Gründen als umstritten. Viele Truppenteile hatten angeblich die Nachfolgemodelle noch nicht und standen dann – zumindest temporär – ohne Kampfhelme da. Zudem wurde die Frage gestellt, ob ein Kampfhelm nicht auch militärisches Gut wäre, das von einer neutralen Nation nicht in ein Kriegsgebiet geliefert werden darf.

Beispiel 2: Militärtransporte durch Österreich

In der Rückschau schon problematisch für das Neutralitätsverständnis Österreichs, ist schon die Erlaubnis Truppentransporte über das Staatsgebiet anlässlich einer Militärübung der NATO zu gestatten (Defender Europe 21).

Noch brenzliger wird die Erlaubnis, wenn derartige Militärtransporte eine Kriegspartei unterstützen. Mit Stand 07. Mai 2022 erfolgten sage und schreibe 7.340 Durchfahrten durch Österreich. Noch schlimmer ist es, wenn die Transporte heikle Fracht verlieren. Auf der Westautobahn verlor ein Transport sogar ein gepanzertes Fahrzeug.

Diese Transporte verändern das völkerrechtliche Verständnis für die österreichische Neutralität. Wie können wir tatsächlich als unabhängig bezeichnet werden, wenn wir uns explizit gegen die Haager Landkriegsordnung stellen und den dort festgeschriebenen Grundsätzen, was unter einem neutralen Staat zu verstehen ist? Darunter wird unter anderem verstanden (siehe bitte schon zuvor)
# die Pflicht neutraler Staaten, sich zu enthalten in Hinblick auf Kampfhandlungen und die Begünstigung von Kriegsparteien.

Wie passt das alles mit unserem Neutralitätsgesetz zusammen? Gar nicht! Dieses „Weitermachen als wäre nichts gewesen“ bringt unser Land in Gefahr. Energiesanktionen können die Folge sein. Und wofür? Die Maßnahmen erreichen allesamt nicht ihr Ziel, schaden Land und Menschen.

Präsident erinnerte an Staatsvertrag

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnerte am 15.05.2020 in einer Rede daran, dass Österreichs Erfolg ohne den Staatsvertrag „schlicht und ergreifend nicht denkbar“ ist:

Mit diesem Leben in Freiheit, in einer liberalen Demokratie, müssen wir verantwortungsvoll umgehen. Nur wenn wir wissen, verstehen und akzeptieren, woher wir kommen, haben wir ein gemeinsames Fundament, auf das wir in Zukunft bauen können.“

Nun denn: Es liegt wieder an uns allen, verantwortungsvoll zu handeln. Zu viel steht auf dem Spiel.

Zu Mag. Forsthubers Text gelangen Sie hier: https://rechtsanwalt.forsthuber.at/audiatur-ihre-grundrechte/item/652-back-neutral.html

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