Es ist ein Bild, das man sich kaum hätte vorstellen können: Bashar al-Assad, der einst unerschütterliche Präsident Syriens, soll laut Berichten zweier hochrangiger Offiziere das Land verlassen haben. Sein Ziel? Unbekannt. Sein Regime? Wankt. Währenddessen feiern Dschihadisten offensichtlich in den Straßen von Damaskus, und die Welt hält den Atem an. Ist dies das Ende einer Ära oder der Beginn eines noch größeren Chaos?
Am Sonntagmorgen soll ein Flugzeug der Syrian Air vom Flughafen Damaskus gestartet sein, wie Daten von Flightradar zeigen. Zunächst flog es in Richtung der syrischen Küstenregion, der Hochburg der Alawiten, Assads religiöser Minderheit. Doch dann, wie in einem schlechten Spionagethriller, machte die Maschine eine abrupte Kehrtwende und verschwand vom Radar. Wer an Bord war, bleibt unklar. Doch die Gerüchteküche brodelt: War es Assad selbst, der sich in Sicherheit brachte? Oder war es nur ein Ablenkungsmanöver, um die Nerven der Bevölkerung und der internationalen Beobachter zu strapazieren?
Die syrische Präsidentschaft beeilte sich, die Berichte als „falsche Gerüchte“ abzustempeln. In einer Erklärung hieß es, Assad sei weiterhin in Damaskus und erfülle seine „nationalen und verfassungsmäßigen Pflichten“. Doch die Realität auf den Straßen spricht eine andere Sprache. Tausende Menschen versammelten sich laut Berichten auf dem zentralen Platz der Hauptstadt, jubelten und riefen „Freiheit“. Es ist ein Bild, das an die frühen Tage des Arabischen Frühlings erinnert – nur dass diesmal die sogenannten Rebellen nicht nur demonstrieren, sondern offenbar die Kontrolle übernommen haben.
Die Ereignisse der letzten Tage lesen sich wie ein Drehbuch für einen politischen Thriller. Nach Jahren des Stillstands und zermürbender Kämpfe haben die von Dschihadisten durchseuchten Rebellen einen Blitzvorstoß gestartet, der sie bis ins Herz der syrischen Hauptstadt geführt hat. Am Samstag verkündeten sie die vollständige Einnahme von Homs, einer Stadt, die einst als „Hauptstadt der Revolution“ galt, bevor sie von Assads Truppen brutal zurückerobert wurde. Nun scheint das Blatt sich erneut zu wenden.
„Wir feiern mit dem syrischen Volk die Befreiung unserer Gefangenen und das Ende der Ära der Ungerechtigkeit“, erklärten die Assad-Gegner in einer Stellungnahme. Besonders symbolträchtig: Die Befreiung des berüchtigten Sednaya-Gefängnisses, in dem Tausende politische Gefangene und brutale Islamisten festgehalten wurden.
Doch wer sind diese sogenannten Rebellen? Die Antwort ist kompliziert (Mehr zu den Hintergründen finden Sie im Buch „Syrienkrieg – Der Fingerabdruck des Westens„). Neben gemäßigten Oppositionsgruppen sind es vor allem islamistische Milizen wie Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die den Vormarsch anführen. HTS, einst als Al-Nusra-Front bekannt, ist ein Ableger von Al-Qaida und hat sich in den letzten Jahren als eine der mächtigsten Kräfte im syrischen Bürgerkrieg etabliert. Ihre Beteiligung wirft Fragen auf: Ist dies wirklich ein Sieg für die Freiheit oder nur der Beginn einer neuen Tyrannei?
Assads Regime, das einst als unerschütterlich galt, steht nun vor dem Kollaps. Seit dem Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 hat der Präsident mit eiserner Faust regiert, unterstützt von Russland, dem Iran und der Hisbollah. Doch die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass selbst die mächtigsten Allianzen nicht unverwundbar sind. Die syrische Armee, einst eine der stärksten in der Region, hat sich aus mehreren Schlüsselstädten zurückgezogen, darunter Aleppo, Hama und Homs. Es ist ein Rückzug, der weniger nach strategischer Neuordnung und mehr nach Panik aussieht.
Russland, das seit 2015 eine entscheidende Rolle im syrischen Krieg spielt, hat bisher keine Stellungnahme abgegeben. Doch es ist schwer vorstellbar, dass Moskau tatenlos zusehen wird, wie sein Verbündeter gestürzt wird. Luftangriffe auf HTS-Stellungen wurden bereits gemeldet, doch ob dies ausreicht, um die Rebellen aufzuhalten, bleibt fraglich.
Während die Welt auf Damaskus blickt, bleibt die humanitäre Lage in Syrien katastrophal. Millionen Menschen sind auf der Flucht, Hunderttausende wurden getötet, und die Infrastruktur des Landes liegt in Trümmern. Die Frage, die sich nun stellt, ist nicht nur, ob Assad stürzt, sondern was danach kommt. Wird Syrien in die Hände von Islamisten fallen? Wird es zu einem weiteren gescheiterten Staat wie Libyen? Oder gibt es doch noch Hoffnung auf eine politische Lösung?
Die Rebellenführer rufen ihre Anhänger dazu auf, keine Racheakte zu verüben. „Wir müssen ein neues Kapitel aufschlagen, ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen“, sagte ein Sprecher. Doch ob diese Worte Gehör finden, ist ungewiss. Der Hass, der sich in den letzten Jahren aufgestaut hat, ist tief, und die Versuchung, Vergeltung zu üben, groß. Die kommenden Tage werden entscheidend sein. Wird Assad zurückkehren, um sein Regime zu retten? Oder wird er, wie so viele andere Diktatoren vor ihm, im Exil enden? Und was wird aus Syrien, einem Land, das seit über einem Jahrzehnt von Krieg und Zerstörung gezeichnet ist?
Eines ist sicher: Die Welt wird genau hinschauen. Denn was in Damaskus geschieht, wird nicht nur die Zukunft Syriens, sondern auch die geopolitische Landschaft des Nahen Ostens prägen. Und während die Mächtigen dieser Welt ihre Strategien überdenken, bleibt für die Menschen in Syrien nur die Hoffnung, dass das Ende dieses Krieges nicht der Beginn eines neuen Albtraums ist. Und für Europa bleibt zu hoffen, dass dies nicht der Beginn einer neuen Migrationskrise sein wird…