Friedrich Merz hätte es in der Hand, nach dem Bruch der Ampel-Koalition das Zepter in die Hand zu nehmen und nach neuen parlamentarischen Mehrheiten im Bundestag zu suchen, um jetzt das durchzusetzen, was die Bürger fordern. Mehrheiten, die es mit AfD, FDP, BSW und fraktionslosen Abgeordneten durchaus geben könnte. Doch er taktiert lieber.
Ein Kommentar von Heinz Steiner
Es ist eine dieser Geschichten, die man eigentlich nur kopfschüttelnd erzählen kann. Da steht er nun, der selbsternannte Oppositionsführer Friedrich Merz, vor den Trümmern der Ampel-Koalition wie ein Feuerwehrmann vor einem brennenden Haus – mit nicht angeschlossenem Wasserschlauch. Die Situation könnte für einen Oppositionsführer kaum verlockender sein: ein Kanzler ohne Mehrheit, eine zerstrittene Regierung, ein Land in der Haushaltskrise. Doch was macht Merz? Er übt sich in der hohen Kunst des Nichtstuns, garniert mit gelegentlichem Säbelrasseln für die Galerie.
Statt die historische Chance zu nutzen und eigene parlamentarische Mehrheiten für zentrale konservative Anliegen zu schmieden, die von der Bevölkerung klar gefordert werden – sei es bei der Kernenergie, der Migrationspolitik oder Steuersenkungen – verstrickt sich der CDU-Chef in taktischen Spielchen – die natürlich die AfD nicht inkludieren sollen. Während das Land nach Führung lechzt, verhandelt er offenbar lieber beim Rotwein im Hinterzimmer des Kanzleramts über eine neue „GroKo“. Das Perfide daran: Merz gleicht sich ausgerechnet jenem Mann an, den er eigentlich als Gegenentwurf nutzen könnte. Wie Scholz scheint auch bei ihm das einzige erkennbare politische Programm der eigene Karriereweg zu sein. Der Unterschied: Scholz will Kanzler bleiben, Merz will es endlich werden.
Die Spatzen pfeifen es längst von den Berliner Dächern: Eine Kenia-Koalition aus Union, SPD und Grünen nach der geplanten Neuwahl im Februar 2025 scheint praktisch ausgemacht. Das bedeutet: Merz als Kanzler, flankiert von genau jenen Kräften, die das Land in den letzten Jahren an die Wand gefahren haben. Ein Trostpreis für den ewigen Zweiten der CDU, der mit 69 Jahren seine letzte Chance auf das Kanzleramt wittert. Dabei könnte er anders. Er müsste nur den Mut aufbringen, das zu tun, was das Grundgesetz einem Oppositionsführer zugesteht: einen gescheiterten Kanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen. Doch dafür müsste er sich mit dem Gedanken anfreunden, möglicherweise auch Stimmen der AfD zu bekommen. Und das wäre ja in den Augen der ewigen Merkelianer in der Union unanständig.
So wird Merz zum Sinnbild einer politischen Klasse, die längst mehr mit sich selbst beschäftigt ist als mit dem Land. Einer Kaste von Berufspolitikern, die Demokratie als lästiges Ritual zwischen Diätenerhöhungen betrachtet. Die Opposition ist zur Simulation verkommen, das Parlament zur Kulisse für ein längst abgekartetes Spiel. Friedrich Merz ist nicht die Lösung der deutschen Staatskrise – er ist ihre Verkörperung. Ein Mann, der lieber im System schwimmt, als es zu verändern. Der sich lieber arrangiert, als zu kämpfen. Der das Establishment kritisiert, aber selbst längst Teil davon ist.
Und während er so tut, als führe er die Opposition, verschwindet still und leise das, was unsere Demokratie eigentlich ausmachen sollte: die Macht des Souveräns, also des Volkes, durch Wahlen tatsächlich etwas zu verändern. Das ist mehr als eine Krise der Union – es ist eine Krise unseres Systems. Und sie trägt einen dunkelblauen Anzug und Brille.