Kritiker, die sich für Menschenkenner halten, witzeln schon seit Karl Nehammers Zeiten als Innenminister, dass er wohl nicht zu den intellektuellen Größen des Landes zählen dürfte. Tatsächlich wirkt Nehammer bei öffentlichen Auftritten stets sehr steif und bemüht und scheint die Ideen und Texte anderer mehr schlecht als recht vorzutragen. Nun zeigt der ÖVP-Mann, was er von Kultur und Österreich im Ganzen hält, indem er dem weltberühmten Neujahrskonzert fernbleibt. Eine Blöße, die sich nicht einmal der grüne Bundespräsident gibt.
Ein Kommentar von Willi Huber
Singt er lieber zuhause in der Badewanne? Sitzt er mit Bierdose in der Hand im Ripp-Unterhemd am Familientisch? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass je ein österreichischer Kanzler grundlos, also beispielsweise ohne Erkrankung, das Neujahrskonzert versäumte. ÖVP-Mann Karl Nehammer, der Notfallkandidat aus einer sehr dünnen Personaldecke, entschied sich für diesen Tabubruch. Er wolle das Neujahrskonzert vor dem Fernseher mitverfolgen, so zitiert die empörte Mainstream-Presse den Kanzler. Es würde ihm „schwerfallen“ erklärte Nehammer und begründete sein Fernbleiben mit der Omikron-Welle. Jetzt gibt es eine plausible Möglichkeit: Nehammer könnte an Omikron erkrankt sein und will dies aus Imagegründen nicht zugeben. Oder aber, er rangiert auf einer Kultur- und Niveaulosigkeit in einer Regierung, welche diese Eigenschaften zur Tugend erhoben hat.
Erinnern wir uns an Herrn Doktor „Die Impfung geht nicht ins Blut“-Mückstein. Dieser trabte zur Angelobung ohne Krawatte und in Turnpatscherln an. Schon damals wurde gemutmaßt, dass Grüne wie er für Land und Bevölkerung nur Abscheu empfänden und sie dies auch ganz offen zur Schau stellen würden. Dafür spricht, dass auch der grüne Vizekanzler und „Sportminister“ Kogler ohne Krawatte erschien. Angelobungen waren im Österreich des Jahres 2021 eben inflationär, das macht man im Vorübergehen. Und irgendwie ist ja eh egal, wer die Posten besetzt – denn die Entscheidungen treffen jene im Hintergrund, die man nicht sieht. Die Schauspieler im Vordergrund haben ihre Skripts zu verlesen und sonst nach Möglichkeit wenig aufzufallen.
92 Länder verfolgen das Neujahrskonzert, der Kanzler blieb zuhause
Das Neujahrskonzert am 1. Jänner 2022 zählte künstlerisch möglicherweise nicht zu den Höhepunkten der weltweit viel beachteten Veranstaltungsreihe. Wikipedia erklärt, dass 50 Millionen Menschen in 92 Ländern live an dem Event teilnehmen – doch es darf angenommen werden, dass international noch deutlich mehr Zuschauer zu verbuchen sind. Die Kultur des ehemaligen Kaiserreichs Österreich ist weltweit geschätzt und ein unbezahlbarer Exportartikel. Nicht zuletzt deshalb kommen zu Zeiten ohne Corona-Wahn alljährlich Millionen Touristen ins Land. Jahr für Jahr bemühen sich Veranstalter und ORF darum, den typisch österreichischen Charakter des Konzertes in den Hintergrund rücken zu lassen, bei Tänzern und Einspielern wird mittlerweile mehr auf „Diversität“ geachtet.
Es ist eine Zeit, wo alles Althergebrachte verkommt, Traditionen bekämpft werden und politisch kein Stein am anderen bleibt. An die Stelle der bewährten Demokratien sollen Diktaturen treten, wo Milliardäre und ihre Konzerne das Weltgeschehen bestimmen. Um diesen Plan umzusetzen kam die Corona-Panik gerade recht und wird weltweit ohne Unterlass geschürt. In dieses Gesamtbild fügt sich das rüpelhafte, unverzeihliche Benehmen des ÖVP-Kanzlers nahtlos ein. Dass der Kanzler vor einem 2-Tages-Schnupfen, wie Omikron in den Herkunftsregionen des Virus bezeichnet wird, Angst hat, ist nicht unbedingt anzunehmen – schließlich schlotterte nicht einmal der grüne Bundespräsident Van der Bellen mit den Knien und genoss die Vorführung sichtlich.
Politik ist das Problem, nicht das Virus
Weitgehend nachvollziehbar waren hingegen die emotionalen Worte des Dirigenten Barenboim:
So wie hier Musiker sich in einer klanglich harmonischen Gemeinschaft zusammenfinden, so möge dies als Beispiel dienen für die nicht nur gesundheitliche, sondern auch menschliche Katastrophe Corona, die uns auseinandertreibt.
Es sind zwar die Politik und die Maßnahmen, welche die Menschen auseinandertreiben und weniger das Virus – doch wenn es um Gemeinschaftssinn, Zusammenhalt und Lösungen geht, ist es wohl gut, wenn Nehammer als ein Teil des Problems zuhause bleibt.