Die Debatte um eine Impfpflicht nimmt in Deutschland immer mehr Fahrt auf, gleichzeitig verstetigt sich der Trend, Ungeimpfte aus dem gesellschaftlichen Leben immer mehr auszuschließen. Nebenwirkungen der Impfungen werden allzu gern kleingeredet oder gar verschwiegen, eine Risiko-Nutzen-Abwägung findet nicht statt. Im WELT-TV Interview meldete sich nun der für seine Heinsberg-Studie bekannte Virologie Prof. Dr. Hendrik Streeck zu Wort und teilt mit, die Schutzwirkung durch den Impfstoff werde überschätzt.
Von Max Bergmann
Zu Beginn der Pandemie mangelte es insbesondere am belastbaren Daten und Studien, die die Situation berechenbarer machten. Der Bonner Virologe Streeck war einer der ersten, der mit seiner „Heinsberg-Studie“ solches lieferte. Im Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen kam es mutmaßlich nach einem Karnevalsfest zur „massenhaften Verbreitung“ des SARS-CoV2 Erregers unter Anwohnern und Teilnehmern des Faschingsaufzugs. In der Ortschaft Gangelt wurde daraufhin eine große und repräsentative Anzahl an Bewohnern befragt, Proben entnommen und analysiert – erstmals kam es daraufhin zur Bestimmung einer Sterblichkeitsrate des neuartigen Virus.
SARS-CoV2 Sterblichkeit nicht höher als bei Grippewellen
„Mit unseren Daten kann nun zum ersten Mal sehr gut geschätzt werden, wie viele Menschen nach einem Ausbruchsereignis infiziert wurden. In unserer Studie waren das 15 Prozent für die Gemeinde Gangelt. Mit der Gesamtzahl aller Infizierter kann die Infektionssterblichkeit (IFR) bestimmt werden. Sie liegt für SARS-CoV-2 für den Ausbruch in der Gemeinde Gangelt bei 0,37 Prozent“, sagte damals Studienleiter Prof. Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn. Zwischenzeitlich geht man nach Metastudien des Stanford Professors Ioannidis gar von nur 0,15 Prozent aus, die Sterblichkeit liegt demnach nicht höher als die von Grippewellen der vergangenen Zeit.
Doppelt Geimpfte infizieren sich mit Corona – Impfung ist nur Eigenschutz
In einem kürzlich live ausgestrahlten WELT-TV Interview, abrufbar seit 22. Juli auch auf dem offiziellen Youtube Kanal der WELT, teile Virologe Streeck nun mit: „Der Impfstoff wurde entwickelt als Eigenschutz. Also, man schützt sich selber vor einem schweren Verlauf“. Weiter stellte er fest: „Mit diesem Impfstoff wird man keine Herdenimmunität erreichen, also dass die Geimpften die Nicht-Geimpften schützen, das wird es leider nicht geben, weil wir immer mehr eben auch [bei] Menschen, die geimpft sind, bei denen im Rachen Virus nachweisen können“. Man müsse jetzt abwarten und sehen, als wie gut der Schutz vor Infektion durch den Impfstoff sich mit der Zeit erweise, Streeck gibt aber zu bedenken, dieser Schutz vor Ansteckung durch die Impfung werde derzeit überschätzt. In diesem Zusammenhang verweist der Virologe auch auf die „angeborene Immunantwort“, die natürliche Immunität, die wir durch Kontakt mit anderen, bereits bekannten Coronaviren erlangt haben. Auch diverse Studien belegten diese These in der Vergangenheit, beispielhaft zu nennen ist eine wissenschaftliche Arbeit, die vergangenen September im Nature Magazin veröffentlicht wurde.
Statt Inzidenz: Streeck will Hospitalisierungsrate als entscheidenden Faktor
Der 7-Tage-Inzidenzwert ist bislang der einzige Wert, an dem sich die Bundesregierung in Bezug auf Verschärfung oder Lockerung von Corona-Zwangsmaßnahmen orientiert. Viel entscheidendere Werte wie die Zahl der wegen SARS-CoV2 auf Intensivstationen behandelten Patienten oder generell die Höhe der Krankenhauseinweisungen spielen derzeit kaum eine Rolle in der Beurteilung der Situation. Am Dienstag erst wurde bekannt, das deutsche Robert-Koch-Institut sehe weiterhin ausschließlich die Inzidenz als „Leitindikator“ für die Pandemie, und das obwohl sich selbst Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dagegen aussprach. „Das Wichtige ist wirklich, dass wir vermehrt auf die Hospitalisierungsrate schauen. Wir können einige Informationen vom Inzidenzwert natürlich noch ableiten, also ganz über Bord werfen sollte man ihn nicht. Aber darum hat ja das Bundesgesundheitsministerium eine neue Verordnung erlassen, dass jetzt auch die Hospitalisierungsraten erfasst werden, und das wird vor allem für den Herbst ein ganz wichtiger Parameter für uns werden“, so Streeck im WELT-TV Interview. Wie das nun im Einklang mit dem jüngst veröffentlichten Panik-Papier des RKI steht bleibt unklar (Report24 berichtete). Auf Report24 Anfrage teilte die Pressesprecherin des Robert-Koch-Instituts, Susanne Glasmacher, am Mittwoch per E-Mail mit, man wolle „Gespräche dieser Art nicht kommentieren“.
„Abkopplung“: Streeck sieht weniger Geschehen auf Intensivstationen im Herbst
Mit Verweis auf die Situation in Großbritannien prophezeit der Virologe eine ähnliche Entwicklung für eine mögliche vierte Welle im Herbst in Deutschland. Er sieht eine „Abkopplung“ vom Inzidenzwert im Vergleich zu den Hospitalisierungsraten und Behandlungen auf den Intensivstationen. Während die Inzidenz weiter steigen könnte werden aller Voraussicht nach deutlich weniger Patienten stationär behandelt werden müssen, ein Trend, der derzeit auch im Vereinigten Königreich an den veröffentlichten Zahlen abzulesen ist.
Emotionale Diskussion um Schulschließungen und Kinderimpfungen
Zuletzt war ein zunehmender Impfdruck auf Kinder und Jugendliche wahrnehmbar, immer wieder wird der Eindruck erweckt, stabiler Präsenzunterricht könne nur mit „durchgeimpften Schülern“ garantiert werden. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte jüngst, Schüler in mobilen Impfteams an den Schulen gegen SARS-CoV2 zu impfen. Dieser Forderung erteilte Virologe Streeck im WELT-TV Interview eine Absage: „Ob man [Anm. d. Red.: Schüler] über 12 Jahre impft, da müssen wir auf die STIKO hören, in meinen Augen, die bewerten das auch sehr gut“. Auch sehe man unter Schülern im Vergleich zur älteren Bevölkerung weniger Infektionen im Allgemeinen. Die deutsche „Ständige Impfkommission“ lehnte die Massenimpfung von Kindern und Jugendlichen mit Verweis auf fehlende Studien zur Sicherheit der Impfstoffe in dieser Altersgruppe ab. Söder pochte vermehrt auf Schülerimpfungen, man sollte hier ausschließlich auf die EMA hören, „das sind die Profis“, so der Franke. Während die EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) Impfungen von über 12-jährigen Jugendlichen empfiehlt lehnt die STIKO diese ab. Die STIKO wies Söders Aussagen als „ungewöhnliche Einflussnahme“ zurück (Report24 berichtete).
Corona wird uns im Herbst noch beschäftigen – „müssen lernen mit dem Virus zu leben“
Wann die Pandemie endet, „Corona komplett weg ist“, wagt Hendrik Streeck nicht vorherzusagen. Seiner Ansicht nach wird das Virus uns im kommenden Herbst aber durchaus noch „beschäftigen“. Er wiederholte seine Aussage, die er schon zu Beginn der Pandemie im März des vergangenen Jahres traf: „Wir müssen lernen, mit diesem Virus zu leben, das bedeutet eben nicht, dass wir uns infizieren, sondern wir müssen einen Umgang haben, einen vorsichtigen Umgang, wie wir Infektionen auf der einen Seite verhindern, durch Hygienekonzepte. Auf der anderen Seite aber auch eine achtsame Normalität kriegen.“ In Bezug auf die wahrnehmbare Panikmache vor der Entstehung weiterer Mutationen des Virus sagte Streeck: „Einzelne Mutationen oder Varianten gegeneinander zu spielen, davon halte ich jetzt nichts“. Die Diskussion über Virusmutanten gehöre für ihn in die Epidemiologie und Virologie, er kritisierte damit indirekt die Politisierung der als indische Variante bekannt gewordenen Delta-Variante und die damit einhergehende Panikmache.