Eskalation zum Weltkrieg? Henry Kissinger warnt vor Krieg des Westens mit Russland im August

Bild: Screenshot FOX News

Spätestens im August dieses Jahres müssten „große Entscheidungen“ getroffen werden, so der ehemalige US-Außenminister und Geopolitiker Henry Kissinger zu Fox News in Bezug auf den Ukraine-Krieg. Droht eine Eskalation zum Weltkrieg?

Gegenüber Fox News (deutsche Übersetzung z.B. hier im Video auf Telegram) erklärte Henry Kissinger vor wenigen Tagen, dass die Vereinigten Staaten eine Eroberung ukrainischen Territoriums durch Russland nicht zulassen könnten, da dies ein Angriff auf die Grundfeste der NATO sei. Der aktuelle Stellungskrieg mit verhärteten Fronten erinnere an den Ersten Weltkrieg und werde bald – spätestens im August – von neuen Offensiven abgelöst, so der ehemalige US-Außenminister. Und dann seien „große Entscheidungen zu treffen“.

Der 99-jährige ehemalige US-Außenminister äußerte sich gegenüber dem Spiegel ausführlich – aber zurückhaltend – über den Ukraine-Krieg und seine Folgen. Kissinger verteidigte die Position, die er im Mai bei einer Telefonkonferenz des Weltwirtschaftsforums vertreten hatte, nämlich Friedensverhandlungen auf der Grundlage des Status quo vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar. Seitdem hat Russland jedoch große Gebiete gewonnen und scheint kurz davorzustehen, den gesamten Donbass mit einem Viertel der ukrainischen Landfläche und drei Vierteln der ukrainischen Industriekapazität zu erobern. Was ist, wenn Russland nicht zur Kontaktlinie vom 24. Februar zurückkehren will? Der Spiegel hat nicht danach gefragt, und Kissinger hat es nicht gesagt, jedenfalls nicht direkt.

Der Spiegel hätte Kissinger fragen können, was er von einer Warnung des serbischen Präsidenten Aleksandar Vuvic hält, über die am 14. Juli in russischen Medien (die man wegen der US-Sanktionen leider nicht verlinken darf) berichtet wurde: „Ich weiß, was auf uns zukommt. Sobald Wladimir Putin seine Arbeit in Sewersk, Bakhmut und Soledar getan hat, nachdem er die zweite Linie Slawiansk-Kramatorsk-Awdejewka erreicht hat, wird er einen Vorschlag unterbreiten. Und wenn sie [der Westen] ihn nicht akzeptieren – und das werden sie nicht – wird die Hölle losbrechen.“

Kissinger deutete eine Art Hölle an, indem er auf den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) hinwies, in dem vielleicht zwei Fünftel der Bevölkerung Mitteleuropas getötet wurden. Und er warnte davor, dass Russland bei einer Fortsetzung des Konflikts nicht mehr Teil der europäischen Geschichte sein könnte. „Ich teile nicht die Ansicht“, sagte Kissinger, „dass Putin alles zurückgewinnen will, was Moskau nach 1989 verloren hat. Aber er kann die Tatsache nicht ertragen, dass fast das gesamte Gebiet zwischen Berlin und der russischen Grenze an die NATO gefallen ist. Das hat die Ukraine für ihn zu einem heiklen Punkt gemacht.“

Der Spiegel tat sein Bestes, um Kissinger dazu zu bringen, der Ukraine territoriale Zugeständnisse zu empfehlen – ohne Erfolg. Er fragte: „Sie haben ein neues Buch geschrieben, und das erste Kapitel porträtiert Konrad Adenauer. Seine Politik, so schreiben Sie, ‚basierte darauf, die Teilung seines Landes als vorübergehend zu betrachten‘. Hatten Sie das im Sinn, als Sie kürzlich Ihren Vorschlag zur Beendigung des Ukraine-Krieges machten: Dass die Ukraine eine vorübergehende Teilung ihres Territoriums akzeptiert, einen Teil des Landes zu einer pro-westlichen, demokratischen, wirtschaftlich starken Nation aufbaut und darauf wartet, dass sich der andere Teil eines Tages beruhigt und sich der Ukraine wieder anschließt?“

Kissinger winkte die Frage ab. „Was ich gesagt habe, ist etwas anderes: Um diesen Krieg zu beenden, ist die beste Trennlinie die des Status quo ante, der etwa 93 Prozent des Landes umfasste. Die Wiederherstellung dieses Status quo würde bedeuten, dass die Aggression gescheitert ist. Es geht also um einen Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie vom 24. Februar. Das dann noch von Russland kontrollierte Gebiet, etwa 2,5 Prozent des ukrainischen Territoriums im Donbass und auf der Halbinsel Krim, wäre dann Teil weiterer Verhandlungen“, so der ehemalige Spitzengesandte.

Der Spiegel drängte ihn: „Sie fügten aber hinzu, wenn der Krieg über die Kontaktlinie vom 24. Februar hinaus fortgesetzt würde, ‚geht es nicht mehr um die Freiheit der Ukraine, sondern um einen neuen Krieg gegen Russland selbst‘.“ Kissinger wich der Frage aus und antwortete: „Ich habe nie gesagt, dass die Ukraine einen Teil ihres Territoriums aufgeben sollte.“ Später in dem Interview deutete Kissinger jedoch die Antwort an, die er gegeben hätte, wenn er gefragt worden wäre. Der Spiegel fragte, ob er der Meinung sei, dass die Förderung der Demokratie ein Ziel der Außenpolitik sein sollte.

Kissinger antwortete: „Für mich ist die Demokratie das wünschenswertere System. Aber wenn diese Bevorzugung zu einem vorrangigen Ziel in den internationalen Beziehungen der heutigen Welt gemacht wird, führt das zu einem missionarischen Impuls. Dies könnte zu einem weiteren militärischen Konflikt wie im Dreißigjährigen Krieg führen. Was China betrifft, so hat die Regierung von Präsident Biden übrigens erklärt, dass sie nicht die Absicht hat, dort ein Regime zu errichten, um einen Wandel herbeizuführen. Er steht also vor einem Problem, mit dem alle Führer großer Nationen konfrontiert sind. Es gibt in der Tat Situationen, in denen es eine Verpflichtung zur Verteidigung gibt – und so sieht Europa den Konflikt um die Ukraine. Allerdings muss die Staatskunst in dieser Situation drei Dinge gleichzeitig berücksichtigen: die historische Bedeutung des Gleichgewichts der Kräfte, die neue Bedeutung der Hochtechnologie und die Bewahrung ihrer wesentlichen Werte. Diese Herausforderung ist neu.“

Doch die Frage, die offen bleibt, lautet: Was, wenn Russland diesen Krieg gewinnt? Was, wenn die russischen Truppen die Kontrolle über noch mehr Gebiete (insbesondere die Schwarzmeerküste bis zur moldawischen Grenze) gewinnen und Kiew schlussendlich kapitulieren muss? Irgendwann nämlich werden den Ukrainern angesichts der enormen Truppenverluste die Kapazitäten ausgehen, den Krieg weiter führen zu können. Muss also bereits in den kommenden Wochen eine Eskalation (die „großen Entscheidungen“, von denen Kissinger sprach) durch den Westen erfolgen, um genau das zu verhindern?

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