Die österreichische Bundesregierung hat offenbar bei einer 1-Mann-Firma im deutschen Wittich knapp 25 Millionen Stück eines chinesischen Antigen-Tests gekauft, der für den vorgesehenen Zweck überhaupt nicht geeignet ist. Ein Skandal mit mehreren Akten, der bei der Regierung Kurz aber niemanden mehr überrascht. In Deutschland schaffte das Produkt den Test des Paul Ehrlich Instituts nicht. Im Dezember warnten Behörden vor unbefugter Anwendung, etablierte deutsche Medienhäuser stellten Fragen. Vor dem Handel mit Antigen-Tests fiel der Händler im Internet mit falschen Staubsaugerlieferungen und defekten Handy-Schutzfolien auf.
Eine Recherche von Florian Machl
Erst im Vorjahr wurde Österreich durch Bundeskanzler Kurz nach einer Deutschland-Reise mit dem Ankauf von 10 Millionen Antigen-Tests um „nur“ 67 Millionen Euro beglückt. Besucht hatte er damals Roche – und gekauft wurde ebenso bei Roche – zu stark überhöhten Preisen, wie heimische Medien damals berichteten.
Aktuell müssen Österreicher mit den 3G-Regeln nachweisen, dass sie als kerngesunde Menschen kein „geringes infektiologisches Risiko“ darstellen. Das können sie beispielsweise mit den „Gratistests“ die auf Betreiben der Bundesregierung in allen Apotheken abholbar sind. Jeder Bürger hat Anspruch auf 5 dieser Tests, die dann jeweils 24 Stunden lang gewisse „Freiheiten“ erlauben (Report24 berichtete).
Produkt machte bereits im Vorjahr Negativ-Schlagzeilen
Dabei kommt der „Novel Coronavirus (SARS-Cov-2) Antigen Rapid Test Cassette (swab)“ REF K511416D des chinesischen Herstellers HANGZOU REALY TECH CO., LTD. zum Einsatz. Dieser Test schaffte es schon einige Male in die Schlagzeilen. In Deutschland ordnete die Bezirksregierung Köln an, dass die „bundesweit illegal in den Handel gelangten“ Schnelltests sofort einzuziehen wären. Würden sie nicht von Fachkräften angewendet, könnte dies „katastrophale Infektionsfolgen“ haben. Dazumals hatten findige Händler das Produkt in der 25-Stück-Packung gekauft, geöffnet und die einzelnen Tests um „nur 29,90“ angeboten. Heutzutage ist diese Großpackung ab 50 Euro erhältlich – interessanter Weise auch im Druckertoner-Fachhandel. Ein stolzer Gewinn für alle Tankstellen und andere Unternehmen, die sich damals an der Aktion beteiligten – ein Umsatz von 750 Euro pro Packung war möglich.
Düsseldorf/Köln. Die Bezirksregierung Köln hat vor zwei bundesweit illegal in den Handel gelangten Corona-Schnelltests gewarnt. Sie könnten, wenn sie nicht von Fachkräften angewendet würden, „katastrophale Infektionsfolgen“ haben. (…) Betroffen seien die Produkte „Covid-19 Ag Test“ des Herstellers nal von minden GmbH und „blnk Novel Coronavirus (SARS-CoV-2) Antigen Rapid Test Cassette (Swab)“ des Herstellers Hangzhou Realy Tech Co.
22.12.2020, Deutsche Ärztezeitung
Darf nur durch Fachpersonal eingesetzt werden
Die Kölner Behörden waren entsetzt, denn das Produkt ist nur zur Handhabung durch medizinisches Fachpersonal zugelassen. Dies ist bis heute der Informationsstand in Deutschland, den auch zahlreiche Händler ganz korrekt angeben. Dort ist die Abgabe durch die Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV) geregelt. Diese erlaubt den Verkauf an Professionisten als auch Gesundheitsbehörden, Bildungsinstitute, Frauenhäuser usw., nicht aber an Privatpersonen. Das stört in Österreich weder die Bundesregierung, noch die Apothekerkammer, die eine bunte Anleitung zur Anwendung herausgebracht hat. Ohne jegliche Warnhinweise – warum diese wichtig wären, lesen sie in einem späteren Absatz.
Bei einem österreichischen Händler wird darauf hingewiesen, dass der Verkauf nur an medizinisches Fachpersonal möglich ist. Bei einem deutschen Fachversand, welches geltende Gesetze ernst nimmt, kostet die 25-Stück-Packung aktuell 130,90 Euro. Zudem wird man dort darüber informiert: „Der Test befindet sich nicht mehr auf der aktuellen BfArM Liste Er ist somit NICHT mehr bei den Krankenassen abrechenbar.“
Mindesterfordernisse des PEI nicht bestanden
Das machte unsere Redaktion neugierig: Bestehen mit dem Test denn Probleme? Und tatsächlich, in der BfArM-Liste, welche geprüfte und empfohlene Produkte anzeigt, findet sich der Test nicht. Nicht mehr, denn im Vorjahr, so ließ sich recherchieren, befand er sich auf der Liste – bis er offensichtlich nach einer Prüfung durch das Paul Ehrlich Institut die Mindestanforderungen nicht bestand und nicht nur durch- sondern auch herausfiel. Die zu erfüllenden Kriterien finden sich hier. Die Presseabteilung des BfArM hat sich heute gegenüber Report24 zu dem speziellen Produkt zwar nicht näher geäußert, bekräftigte aber, dass alle geprüften und ordnungsgemäßen Produkte in der Liste aufscheinen – was auch den Umkehrschluss zulässt.
Im Internet findet sich der Beipackzettel des genannten Realy Antigen-Tests aus dem Jahr 2020. In diesem wird eine klinische Sensitivität von 90,32% angegeben. Wir konfrontierten eine Fachfrau für Labordiagnostik mit dieser Zahl, welche die Hände über dem Kopf zusammenschlug: Das wäre wirklich ein sehr niedriger Wert, da wäre ja selbst bei idealen Laborbedingungen, die man zuhause im Wohnzimmer nie hat, eine Fehlerquote von 10% gegeben. Den von der Bundesregierung ausgegebenen Tests liegt der fast identische Beipackzettel bei – nur eine Kleinigkeit hat sich inzwischen geändert: Die klinische Sensitivität läge inzwischen bei 95,38%.
Wenig Testpersonen, verheerend schlechte Sensitivität
Im Vorjahr wunderten sich zahlreiche deutsche Medien, wie in Deutschland Antigen-Tests zugelassen werden können, die ihre Funktionstauglichkeit nur mit außerordentlich wenig Tests beweisen mussten. Einer dieser Artikel aus dem November 2020 bezog sich auf die eingangs erwähnten Antigen-Tests von Roche, die unser Noch-Bundeskanzler so freudig einkaufte: Welt: Antigentests von Roche – Getestet an nur 462 Personen und FAZ: Coronatests aus Hessen – Schnelltests von nebenan. An der äußerst dürftigen Studienlage störte sich Noch-Bundeskanzler Kurz schon damals nicht. Die Studienlage der heute zum Einsatz kommenden Realy Tests unterbietet diese Zahlen nochmals. Die Erstanmeldung in Deutschland, die ja auch einige Monate funktionierte, berief sich auf nur 262 getestete Personen. Daraus entstand auch die katastrophale Sensitivität von 90,32%.
Irgendwann zwischen Dezember und der aktuellen Massenverteilung in Österreich soll laut Herstellerangaben aber eine neue Studie stattgefunden haben, ein Test mit 625 Personen. Daraus ergibt sich die aktuelle, etwas bessere Sensitivität – ohne dass dies für irgendjemanden objektiv nachprüfbar wäre. Die veröffentlichten Zahlenreihen, welche die Durchführung von Studien belegen sollen, weisen jeweils eine beachtliche Anzahl an falschen Negativ-Werten auf. Das bedeutet, die getesteten Proben stammten von tatsächlich virusinfizierten Personen, welche vom Antigen-Test aber nicht als solche erkannt wurden. Dies ist bei einer echten Pandemie weitaus gefährlicher für die Bevölkerung als falsch positive Tests, aufgrund derer man zwar in Quarantäne kommt, aber niemanden wirklich gefährden kann.
Wie ausgeführt, den Test des Paul Ehrlich Institutes schaffte das Produkt von Realy letztendlich nicht. Eine ebenso online verfügbare aktuelle Liste von durch die WHO beurteilten Antigen-Tests weist das Produkt als nicht vollständig eingereicht und deshalb auch nicht als abschließend bewertet aus.
Ein-Mann-Onlinehandel fiel deutschen Leitmedien – negativ – auf
In den zitierten Artikeln der Welt und der FAZ findet sich aber noch ein interessanter Teil:
Geradezu unscheinbar ist hingegen der Ein-Mann-Onlinehandel „Luxus Lebenswelt GmbH“, ansässig in einem Reihenhaus im rheinländischen Willich nahe Düsseldorf. (…) Schon als im Frühjahr Masken Mangelware waren, importierte das Kleinunternehmen begehrte Ware von China nach Deutschland. Wie hoch die Nachfrage ist und wer die Kunden sind, bleibt zunächst unklar. (…) Auffällig auch bei einem der chinesischen Tests von Realy Tech: Die Entwicklungsstudie und damit die Herstellerangaben zu Sensitivität (wie viel Prozent der Infizierten werden erkannt) und Spezifität (wie viele Gesunde werden korrekt als gesund erkannt) beruhen auf nur 262 Proben. In diesem Fall liegt die Sensitivität bei knapp 90 Prozent. In der Praxis ist das problematisch, weil zehn Prozent erkrankte Personen nicht erkannt würden.
Spielzeug, Schmuck, Kosmetikartikel … warum nicht auch Antigen-Tests
Die Welt ermittelte damals einen Herrn Thomas Hu als Geschäftsführer. Das dürfte falsch sein, auf einen Herrn Hu gibt es keinen Hinweis. Überall als Geschäftsführer gelistet ist ein Herr Lin Sun. Dieser übernahm die Geschäfte im Mitte 2017 von Herrn Haofei Zhou. Nörgler könnten nun meinen, dass „Luxus Lebenswelt GmbH“ nicht unbedingt auf den aktuell ausgeübten Handel mit medizinischen Gütern wie Handschuhen, Schutzmasken, Labor- und Schutzmänteln, Faceshields und Antigen-Tests hinweist.
Tatsächlich war das Unternehmen vor der glücklichen Fügung der Corona-Pandemie generell im Im- und Export tätig: „Lebensmitteln, Kosmetikartikeln, Babynahrung, Babyspielzeug und anderen Babyprodukten, Bekleidung, Schmuck, Taschen, Uhren, Schreibwaren, Elektrogeräten, Möbeln, Küchenprodukten, Fußböden, Tapeten, Teppichen, Badezimmerprodukten, Armaturen, Lampen, Farben und anderen Baumaterialien“ Da kann man ja durchaus auch mit Antigen-Tests handeln – und warum nicht gleich einen 100-Millionen-Euro Auftrag (geschätzte Annahme) der österreichischen Bundesregierung annehmen?
Der Vollständigkeit halber, auch wenn die Bundesregierung den Liefervertrag nicht direkt mit der Luxus Lebenswelt GmbH abgeschlossen hätte, wäre diese als Vertretungsbefugter der Hangzhouz Realy Tech Co. Ltd. in der EU dennoch voll verantwortlich. Man wird sich in Folge auch die Haftungsfrage stellen müssen.
Händler im Internet nicht sehr beliebt
Im Internet fallen nicht alle Bewertungen zu Luxus Lebenswelt GmbH positiv aus. Man muss aber der Fairness halber dazusagen, dass diese Bewertungen von noch weniger Menschen stammen, wie die Zahl der Probanden der Antigen-Tests. 2,1 von 5 möglichen Sternen weisen jedenfalls nicht unbedingt auf einen vertrauenswürdigen Partner für ein Ministerium hin. Ganz aktuell beschwerte sich ein Kunde, dass die Firma Luxus Lebenswelt im Internet eine ungültige Telefonnummer angibt und auch sonst nicht erreichbar ist – es ging um einen Akku-Staubsauger, der bei einer anderen Firma bestellt aber von der Luxus Lebenswelt ausgeliefert wurde. Ebenso relativ aktuell: Eine Beschwerde in einem internationalen Forum über eine Mobiltelefon-Schutzfolie dieser Firma – die dem Kunden zufolge Funktionsmängel aufweist. Wir haben also einen Ein-Mann-Onlinehändler, der es zumindest in Einzelfällen nicht schafft funktionierende Akku-Staubsauger oder Schutzfolien zu liefern, aber mit der Regierung Kurz einen Deal über 25 Millionen Antigen-Tests in unbekannter preislicher Höhe abschließt.
Gefährlicher Sondermüll – und als solcher zu entsorgen
Oben genannter Roche-Antigen-Schnelltest sorgte unlängst in Hamburg für Negativ-Schlagzeilen. Denn das Detergens, also die Flüssigkeit die dazu benutzt wird, um das Probenmaterial vom Tupfer ins Probenröhrchen zu überführen, beinhaltete hochgiftige Substanzen. Neben anderen wichtigen Erfordernissen und Kenntnissen ist das ein weiterer Grund, weshalb solche Tests nur für die Anwendung durch Fachleute – in Schutzkleidung – zugelassen sind. Der spärliche und sehr klein gedruckte Beipackzettel erklärt auch deutlich: Nur für die professionelle (…) Anwendung. Damit sind gewiss nicht Oma und Opa gemeint, welche sich den Gratistest aus der Apotheke geholt haben.
Millionen mutmaßlich hochgiftiger Tests landen wohl im Hausmüll
Um einiges brisanter ist allerdings dieser Passus: „Entsorgen Sie den sterilisierten Tupfer gemäß ihrem Entsorgungsprotokoll für Biogefährdungsabfall.“ Hand aufs Herz, haben Sie zuhause ein Entsorgungsprotokoll für hochbrisanten, gefährlichen Sondermüll? Nein? Das haben wohl nur Professionisten in Krankenhäusern und Labors. Dennoch verteilt die Bundesregierung die Tests an jeden Österreicher. Man kann davon ausgehen, dass Millionen dieser Tests im Hausmüll landen – mit allen nur denkbaren Folgen für die Umwelt.
Giftige Inhaltsstoffe sehr wahrscheinlich – Sicherheitsdatenblatt fehlt
Die umweltgefährlichen Problemstoffe im Roche-Antigen-Schnelltest sind die Octyl‑/Nonylphenolethoxylate. Sie tragen das Prädikat: „Besonders besorgniserregend: ernsthafte Auswirkungen auf die Umwelt gelten als wahrscheinlich; zulassungspflichtig“. Nonylphenol und seine Ethoxylate sind in der Europäischen Union in zahlreichen Verwendungen verboten. Ohne Laboruntersuchung können wir nicht belegen, dass diese Stoffe auch in den Tests von Realy als Detergens zum Einsatz kommen. Von uns befragte Fachleute gehen aber davon aus, dass dem so ist. Denn die meisten Hersteller würden in denselben Werken produzieren und die Produkte nur in eine unterschiedliche Schachtel stecken.
Faktum ist: Wären die Inhaltsstoffe der „Tröpfchenlösung“ unbedenklich, müsste man sie wohl nicht als gefährlichen Sondermüll entsorgen, oder? Ein Sicherheitsdatenblatt, Gefahren- oder Giftstoffhinweise fehlen. Report24 hat diese Unterlagen beim Händler, beim Hersteller und bei staatlichen Stellen in Deutschland und Österreich angefragt, aber bislang nicht erhalten. Im Internet findet sich ein solches Dokument nicht. Der Hersteller gibt also an keiner öffentlich einsichtigen Stelle an, welche Stoffe und Substanzen in diesem Testkit enthalten sind. Beim laut Fachleuten vergleichbaren Test von Roche sieht das Sicherheitsdatenblatt so aus (siehe Link). Das bedeutet dennoch nicht automatisch, dass im Realy Test dieselben Mittel enthalten sind – aufgrund des fehlenden Datenblattes wissen wir es schlichtweg nicht. Klar ist, dass ein Detergens für diese Art von Test notwendig ist.
Was, wenn getropft, geschüttet wird, was bei Hautkontakt, was bei Verschlucken?
Labortechniker beurteilten das auf unsere Nachfrage als nicht so problematisch, da die Tröpfchenlösung ja nicht mit den Getesteten in Berührung kommen soll. Dem halten wir entgegen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass irgendwo in Österreich bei der „Zubereitung“ gepatzt wird. Am Ende wischt man dann den Tisch gedankenlos mit der Hand ab, vielleicht leckt man sich noch über den Finger. Vielleicht spielen Kinder mit den Testkits, vielleicht zerbeißt sie ein Hund oder ein sonstiges Haustier. Wenn sich in einer Verpackung gefährliche Giftstoffe befinden, ist dies normalerweise klar ersichtlich kenntlich zu machen. Dies ist im Fall der Realy Antigen-Tests nicht geschehen. Auch die obligatorische Warnung vor Kleinteilen, welche durch Kinder verschluckt werden können, fehlt völlig. Ebenso fehlen sämtliche Sicherheitshinweise, was zu beachten ist, wenn die Stoffe ins Auge kommen, versehentlich verschluckt werden oder auch nur eine Berührung mit der Haut geschieht.
Wer zieht die Regierung zur Verantwortung?
Auf Tests wie diesem fußt also das Corona-Sicherheitskonzept der Regierung Kurz. Für solche Produkte werden Abermillionen an Steuergeldern ausgegeben, wobei noch nicht einmal geklärt ist, ob es eine ordnungsgemäße Ausschreibung gab. Eine Anfrage an das Gesundheitsministerium ist am Laufen. Wer aber wird der Regierung Kurz all die unangenehmen Fragen stellen, die sich durch die in diesem Artikel dargelegten Fakten ergeben? Und wird es Konsequenzen haben? Sie kennen die Antwort.