Die Anführerin der österreichischen Reichsbürger wurde im Jahr 2020 in zweiter Instanz zu 12 Jahren Haft verurteilt, sie sitzt seit 2017 im Gefängnis. Ob es seither weitere Verhandlungen gab, ist unbekannt. Was motiviert den Staat in Österreich, aber auch in Deutschland zu so einem harten Vorgehen gegen „Staatsverweigerer“? Was wollen diese Menschen überhaupt, was bringt es ihnen – und sind sie wirklich so gefährlich, wie die Staatsapparate behaupten?
Ein Kommentar von Willi Huber
In Deutschland gibt es laut Behördenangaben 23.000 Menschen, die als „Reichsbürger“ oder „Selbstverwalter“ eingeordnet werden. Etwa 1.150 davon wären zusätzlich „rechtsextrem“. In Österreich geben die Behörden an, dass es „genau“ 3.856 Reichsbürger gäbe. Sie alle kann man nicht einsperren, so viel Gefängnisplatz gibt es nicht. Doch geht es nach den so genannten Staatsschützern, wäre das der Plan. Denn vielen der Protagonisten dieser Szene wirft man Hochverrat vor.
§ 242 StGB
(1) Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu ändern oder ein zur Republik Österreich gehörendes Gebiet abzutrennen, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren zu bestrafen.
(2) Ein Unternehmen im Sinn des Abs. 1 liegt auch schon bei einem Versuch vor.
Der Name „Reichsbürger“ stammt daher, dass die Mitglieder dieser Organisationen, aber auch Einzelpersonen darauf beharren, dass das Deutsche Reich nie untergegangen ist, sondern weiter existiert. Dabei wird nicht unbedingt Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne bezweckt, sondern man beruft sich auf juristische und vertragliche Ereignisse oder eben Nicht-Ereignisse. Die heute auf dem Gebiet existierenden Staaten wären nur nicht demokratisch legitimierte Firmen, was man anhand diverser Firmenbucheinträge festhalten könne. Deshalb erkenne man die staatliche Hoheit nicht an. Menschen wären in diesem falschen System nur Nummern und „Personen“ – wohingegen man sich stets darauf beruft, ein „Mensch aus Fleisch aus Blut“ zu sein.
Die harte Vorgangsweise gegen die Reichsbürger in Österreich, die sich hier „Staatenbund“ nannten, liegt daran, dass diese nicht nur staatliche Organe und Institutionen nicht mehr anerkennen wollten, sie gründeten quasi eine Parallelstruktur. Sie formten eine Schattenregierung mit einer Präsidentin inklusive Gerichtsbarkeit und bedrohten Menschen im „normalen“ System mit Klagen, Verhaftungen und Gerichtsprozessen. Die Präsidentin des Staatenbundes verfasste Haftbefehle und forderte das Österreichische Bundesheer dazu auf, diese umzusetzen.
Wurden mögliche psychische Probleme je untersucht?
Jetzt könnte man angesichts der Umstände auch auf die Idee kommen, dass die Dame vielleicht ein psychisches Problem hat. Ob ihr Geisteszustand untersucht wurde, ist nicht bekannt. Selbst ihre Verteidigung argumentierte in erster Instanz, dass es sich um dilettantische Vorgangsweise im Zuge von Verschwörungstheorien gehandelt hatte. Faktum ist, dass die Präsidentin bereits seit 2017 in Haft sitzt und noch mehrere Jahre folgen werden. Wenig entspannt reagierte das Gericht auch darauf, dass der Staatenbund mit einem eigenen „Landbuch“ das eigentliche Grundbuch ersetzen wollte und 100 Euro pro Eintrag kassierte. Ebenso wurden wohl eigene KFZ-Kennzeichen verliehen.
Die Reichsbürgerszene in Deutschland ist vielfältig, wird aber genauso hart verfolgt wie jene in Österreich. Eine Ausprägung davon ist das „Indigene Volk der Germaniten“. Für 500 Euro kann man beitreten und sich ebenso etliche alternative „amtliche Dokumente“ kaufen. Auch dort geht es darum, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 fortbestünde. Gründerin ist Ute B., sie hat die Bewegung schon vor 16 Jahren aus der Taufe gehoben. Neben der Ablehnung des heutigen deutschen Staates hat sie auch Ideen, die im Jahr 2023 höchst befremdlich wirken. Verurteilte Pädophile, Kriminelle und Kinderschänder dürfe jedermann lynchen – das wäre Volkskörperbereinigung. Das „offizielle Deutschland“ will davon nichts wissen, es gibt Gerichtsurteile, dass ein Volksstamm indigener Germaniten nicht anerkannt werde.
Hat Deutschland einen Friedensvertrag?
Der möglicherweise in Teilen wahre Kern der Reichsbürger-Geschichten ist darin zu suchen, dass es beispielsweise nie einen Friedensvertrag nach der Kapitulation Deutschlands im Jahr 1945 gegeben habe. Der behauptete Rechtsstatus als Demokratie existiere deshalb nicht. Die offizielle Erzählweise besagt, dass dieser Rechtsstatus erst 1990 im Zuge der Wiedervereinigung geschaffen wurde.
„Im Zuge der Wiedervereinigung 1990 kam es mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag zu einer Regelung von Fragen, die seit dem Zweiten Weltkrieg noch offen waren. Insbesondere gaben die vier Mächte ihre noch bestehenden Rechte im Hinblick auf Deutschland als Ganzes auf.“
Prof. Claus Kreß, Universität Köln, zitiert in SWR
Es gilt zwar auch im Mainstream als unbestritten, dass es bis heute keinen Friedensvertrag für Deutschland gibt – allerdings wäre dies seit 1990 eben auch nicht mehr notwendig, denn alle wichtigen Fragen wären sehr wohl schriftlich geregelt – nicht nur mit den Siegermächten, sondern auch mit Polen und Tschechien. Offiziell gilt die Erzählweise, dass Deutschland seit diesem Zeitpunkt ein souveräner Staat ist. Dagegen spricht möglicherweise die Vielzahl US-amerikanischer Sonderrechte und Militäranlagen auf deutschem Boden, aber das ist eine andere Frage.
Ein weiterer Punkt, an dem sich Reichsbürger stoßen, ist der Umstand, dass Deutschland zwar ein Grundgesetz hat, aber keine Verfassung. Das Grundgesetz war von seinen Verfassern nur als Übergangslösung gedacht, es enthält einen Passus, nachdem es durch eine in freier Entscheidung beschlossene Verfassung ersetzt werden kann. In der Praxis wird das Grundgesetz aber als Verfassung angesehen und hat auch denselben Stellenwert wie die Verfassung eines anderen Landes.
Egal wer sachlich Recht hat – es zählt wer die Macht hat
Report24 hat sich hinsichtlich der Reichsbürger-Thematik vor längerer Zeit in einem Interview mit Rechtsanwalt Markus Haintz auseinandergesetzt. Dieses Interview ist jedem zu empfehlen, der Zweifel in der Thematik hat. Rechtsanwalt Haintz: Staat delegitimieren ist Realitätsverweigerung; Widerstand wo es Sinn ergibt. Die Argumentation ist simpel, einleuchtend und beschreibt schlichtweg die Realität. Diese werde von jenen gemacht, welche sichtbar und greifbar die Macht in den Händen halten. Dabei ist es unerheblich, wer möglicherweise in einzelnen Fragen, die auf historische Dokumente fußen, „Recht“ hat. Denn das Recht geht faktisch vom Stärkeren aus.
Wer sich hinstellt und auf deutschem Boden sagt, er akzeptiert den Staat und seine Staatsgewalt nicht, dem wird diese Staatsgewalt zeigen, wer das Sagen hat. Und es gibt kein Gericht oder keine Macht auf der Welt, die daran etwas ändern kann. Folglich ist die Delegitimierung des Staates völlig sinnfrei – man steht auf verlorenem Posten und hat mit massiven Strafen bis hin zu langjähriger Inhaftierung zu rechnen. Perfekt anwendbar ist auch der alte Spruch von Goethe:
Wer sich den Gesetzen nicht fügen lernt, muss die Gegend verlassen, wo sie gelten.
Johann Wolfgang von Goethe
Wer sich zum Reichsbürgertum bekennt und teilweise sogar bereit ist, diese Meinung mit Gewalt gegen Andersdenkende oder gegen die reale Staatsgewalt zu verteidigen, ist auf einem gefährlichen Irrweg. Dabei gefährdet er nicht nur sich selbst, sondern auch sein gesamtes Umfeld. Denn die harte Vorgehensweise der real existierenden Staaten wird vor nichts und niemandem Halt machen, der sich zu Delegitimierung im Sinne der Staatsverweigerer entschlossen hat.
Welche friedlichen und legalen Möglichkeiten existieren?
Anstelle Gruppierungen zu formieren, eigene Dokumente auszustellen und Menschen mit Haftbefehlen zu bedrohen, hätten so genannte Reichsbürger ganz andere Möglichkeiten, um ihre Meinung auf den Prüfstand zu stellen. Man kennt sowohl im deutschen als auch im österreichischen Recht das Mittel der Feststellungsklage. Damit kann man gerichtlich feststellen lassen, ob ein Rechtsverhältnis besteht.
Reichsbürger könnten beispielsweise all ihre Beweise, Dokumente und Belege auf den Tisch legen und öffentlichkeitswirksam ein oder mehrere Verfahren anstrengen. Die Klärung, ob das Deutsche Reich von 1937 noch existiert, wäre eine grundlegende Anwendung dieses Rechtes. Nachdem man alle Gerichtsdokumente öffentlich machen kann und auch zahlreiche Interviews zum Verlauf eines solchen Verfahrens geben kann, wäre dies ein rechtsstaatlicher Zugang unter großer Öffentlichkeit – und niemand muss mit Gewalt drohen und dafür ins Gefängnis.
Denselben Zugang könnte man wählen hinsichtlich der Vermutung, es gäbe keinen Staat, keine Ministerien und sonstigen Staatsorgane, sondern nur noch registrierte Firmen, die keine Legitimität besitzen. Auch hier kann man alle Unterlagen offen auf den Tisch legen und gerichtlich feststellen lassen, ob man beispielsweise als Bürger einen Vertrag mit diesen vermuteten Firmen hat und wie dieser Vertrag ausgestaltet ist. Ein Gericht muss dann argumentieren – und auf Basis dieser Argumentation kann man mit Vernunft und Intelligenz weiterarbeiten.
Teilweise ganz simple Betrugsabsicht?
Bei manchen Reichsbürger-Organisationen, so leid es mir tut, es aussprechen zu müssen, dürfte handfeste Betrugsabsicht dahinterstecken. Denn für ein Fake-Grundbuch, das sich nicht durchsetzen lässt, nennenswerte Beträge zu kassieren, Reisepässe, Führerscheine, KFZ-Zulassungen und sonstige Dokumente zu verkaufen, die in der Realität nicht verwendbar sind und keinen Wert haben – was soll das sonst sein, als die Täuschung anderer mit dem Zweck, sich selbst zu bereichern?
Unser Fazit: Jeder, dem an seiner Freiheit liegt, sollte sich von Reichsbürgern fernhalten oder diesen so behutsam wie möglich erklären, in welche Schwierigkeiten sie sich mit ihrer Ideologie bringen. Wie ausgeführt, wäre es möglich, diese Menschen bei einer gerichtlichen Klärung ihrer Annahmen zu unterstützen – sofern sie die Ergebnisse dann überhaupt akzeptieren würden. Aber man kann nicht behaupten, Teil eines frei herbeifantasierten Staates zu sein, wenn die gesamte Realität nach anderen Regeln abläuft und die Staatsgewalt jederzeit klarstellen kann, wie der Hase läuft.
Nähe zu Reichsbürgern kann zu Haft führen
Es muss jedem klar sein, der sich in die Nähe von Reichsbürgern begibt, dass er damit zum Ziel staatlicher Überwachung werden kann und jederzeit mit einer Verhaftung und Anklage rechnen muss. Mit den zuerst 14 Jahren Haft für die österreichische Staatenbund-Chefin, welche später auf 12 Jahre reduziert wurde, setzte der Staat ein starkes Signal – und zahlreiche andere Verurteilungen zu unbedingten Haftstrafen folgten bis heute. Wer es als Zukunftsziel sieht, mit diesem Nischenthema vermeintlich „im Recht zu sein“, aber dafür jahrelang in Haft zu gehen, kann dies natürlich weiter betreiben – hat aber hoffentlich den Anstand, nicht auch andere zu gefährden und hineinzuziehen. Ich denke nicht, dass man über die Themen nicht sprechen sollte, welche die Reichsbürger als Grundlage ihres Glaubens ansehen. Doch es besteht ein gewaltiger Unterschied darin, ob man eine akademische Debatte auf Basis von Fakten führt – oder sich gegenseitig radikalisiert, was bis dahin führt, dass bereits auf Menschen geschossen wurde.
Wie schon im heutigen Leitartikel Zerbrechen am System: Wenn man vor blindem Glauben inmitten von Bäumen keinen Wald sieht stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, sich in einem Nebenthema zu verlieren, während vor der Nase Tag für Tag sichtbare Tatsachen geschaffen werden, die unser Leben massiv beeinträchtigen oder gefährden. Denn, so ehrlich muss man sein, es ist für uns alle komplett unerheblich, ob bei der Gründung Deutschlands alle völkerrechtlichen Bedingungen zu hundert Prozent erfüllt wurden oder nicht. Es ändert nichts an unserer alltäglichen Lebensrealität. Wenn man aber enteignet wird, zu Lockdowns oder Zwangsimpfungen gezwungen wird, ist das ein gänzlich anderes Problem – vielleicht sollte man gegen echte Bedrohungen kämpfen und seine Stimme erheben und andere Fragen dann klären, wenn sie als einziges und letztes Problem übrig geblieben sind.
Gegendarstellung vom „Indigenen Stamm der Germaniten“
Die aus unserer Sicht klar den Reichsbürgern zuzuordnende Gruppe „Indigener Stamm der Germaniten“ haben uns am 19. Juni eine Gegendarstellung zukommen lassen, die wir aufgrund journalistischer Sauberkeit gerne veröffentlichen. Wir haben allerdings eine Rückfrage formuliert, weshalb ihre Aussagen und Selbstsicht sich nicht mit jenen deckt, die im Jahr 2017 im Zuge eines Gerichtsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt wurden.
Wer oder was sind wir nicht?
Gerade weil man lieber davon spricht, was man ist, und weniger davon, was man nicht ist, so scheint es an dieser Stelle geboten, uns von mißverständlichen bis hin zu verleumderischen Aussagen zu unserem Volk, welche in gedruckten oder elektronisch publizierten Zeitungsartikeln veröffentlicht wurden, zu distanzieren.
So leugnen wir weder die Existenz der Bundesrepublik Deutschland noch bezweifeln wir das historisch gegebene 3-Elemente-Prinzip (Staatsvolk – Staatsgebiet – Staatsgewalt). Wir sind weder gewaltbereit noch gewalttätig, sondern friedliebend und friedfertig. Wir wollen weder Staatsgrenzen aus irgendwelchen vergangenen Jahren/Jahrzehnten zurückhaben, noch verflossene Staaten/Reiche wiederbeleben.
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß man uns mitunter als „Reichsbürger“ bezeichnet. Die Anwendung einer solchen Bezeichnung ist vor allem aus zwei Gründen sach- und rechtsfremd:
Zum einen sind wir durch unser öffentliches Bekenntnis zum Indigenen Volk Germaniten keinem Staat (oder Reich) zuzuordnen und bürgen für keinen solchen (resp. kein solches).Zum anderen haben sich ebenfalls Friesen zu unserem Volk bekannt, welche, historisch belegt, nichts mit einer Reichs-Rechtsgrundlage zu tun haben.
Daher wäre eine fortgesetzte Anwendung der Bezeichnung „Reichsbürger“ auf uns sogar eine offenkundige Verleumdung unserer indigenen Identität, weshalb wir diese Betitelung in aller Form zurückzuweisen!