Wollen Teile des ukrainischen Militärs tatsächlich eine Invasion ihres Landes durch die russische Armee provozieren? Offensichtlich sind einige Kräfte an einer Eskalation des Konflikts im Donbass interessiert. Doch wie wird Präsident Putin darauf reagieren?
Kaum kündigt Moskau den schrittweisen Abzug von Truppen aus der Grenzregion zur Ukraine an (und leitete so Schritte zur Deeskalation der Krise ein), startet das ukrainische Militär eine neue Offensive gegen die abtrünnigen Gebiete in der Donbass-Region – die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Diese spalteten sich im Nachspiel des von Washington und Brüssel unterstützten Maidan-Putsches ab, nachdem dort rechtsextremistische Kräfte (die teils einen Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung des Landes forderten) die Macht übernahmen. Seitdem herrscht ein Bürgerkrieg, der bereits tausende Menschenleben forderte. Nach einigen ruhigeren Phasen scheint nun jedoch wieder eine neue Eskalation der Kämpfe aufzuflammen.
Denis Puschilin, der Führer der selbsternannten Volksrepublik Donezk, kündigte an, Frauen, Kinder und Senioren an die Kontaktlinie zu Russland evakuieren zu lassen. Das Risiko einer Eskalation des Konflikts sei zu groß, da Präsident Zelensky bereits die Invasion des Donbass angeordnet habe. Man habe zudem bereits ein Abkommen mit der russischen Region Rostow, wonach man Zivilisten dorthin evakuieren dürfe. Laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS sind bereits die ersten Evakuierten in Rostow angekommen.
Gaspipeline explodiert
In der Nacht wurde eine gewaltige Explosion in einer Gasleitung gemeldet, an deren Stelle ein Feuer wütete. Ersten unbestätigten Berichten zufolge erschütterte die gewaltige Explosion einen Teil der Pipeline in der pro-russischen Separatistenregion in oder nahe der Stadt Luhansk. Russische Medien bestätigten einen „Pipelinebrand in der Ostukraine nach einer starken Explosion“… Schnell tauchten dramatische Videos auf, die einen hellen Feuerball am Horizont zeigten.
Einem Bericht von „Sputnik“ zufolge sollen rund 40 Granaten auf die Stadt Dokutschaewsk in der Luhansker Region abgefeuert worden sein. Eine davon könnte demnach die Beschädigung der Gaspipeline verursacht haben. In einem weiteren Bericht wurde Bildmaterial aus der Region veröffentlicht.
Washington gibt Moskau die Schuld
Der neokonservative republikanische Senator Marco Rubio zeigte sofort mit dem Finger auf Russland wegen Sabotage und deutete an, dass Washington seinen „False Flag“-Moment haben könnte, um ihn Moskau anzuhängen. Aber klar, die (frisch mit neuen Waffen ausgerüsteten) ukrainischen Truppen starten eine neue Angriffswelle und dann sollen es die Russen gewesen sein, die kritische Infrastruktur im Donbass zerstören. Wozu? Cui Bono? Vor allem, liegt eine Eskalation des Konflikts nicht einmal annähernd im geopolitischen Interesse Moskaus.
Kurz nachdem die Bilder der Explosion der Gaspipeline in den sozialen Medien aufgetaucht waren, trat Präsident Biden hinter das Rednerpult im Weißen Haus (mit einer Stunde Verspätung), um der Welt mitzuteilen, dass er „überzeugt“ sei, dass der russische Präsident Wladimir Putin beschlossen habe, eine weitere Invasion in der Ukraine zu starten, einschließlich eines Angriffs auf die Hauptstadt Kiew. Nachdem die USA wochenlang erklärt hatten, sie seien sich nicht sicher, ob Putin die endgültige Entscheidung für eine groß angelegte Invasion getroffen habe, sagte Biden, diese Einschätzung habe sich geändert, und berief sich dabei auf „bedeutende nachrichtendienstliche Fähigkeiten“.
„Von diesem Moment an bin ich überzeugt, dass er die Entscheidung getroffen hat“, sagte Biden in Bezug auf Putin. „Wir haben Grund, das zu glauben.“ Er bekräftigte, dass dies in den „kommenden Tagen“ geschehen könnte. „Wir glauben, dass sie die ukrainische Hauptstadt Kiew angreifen werden, eine Stadt mit 2,8 Millionen unschuldigen Menschen“, sagte er über die russischen Streitkräfte. Da US-Außenminister Antony Blinken für Donnerstag ein Gespräch mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow anberaumt hat, sagte Biden, es sei noch Zeit für Verhandlungen zur Entschärfung der Krise. „Die Diplomatie ist immer eine Möglichkeit“, sagte er.
Wie wird Moskau reagieren?
Die jüngsten Äußerungen von Präsident Wladimir Putin deuten darauf hin, dass Moskau im Falle einer weiteren Eskalation des Donbass-Konflikts nicht tatenlos zusehen wird. „Sanktionen werden in jedem Fall verhängt werden. Ob sie heute einen Grund haben, zum Beispiel im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine, oder ob es keinen solchen Grund gibt – man wird ihn finden, denn das Ziel ist ein anderes, in diesem Fall ist das Ziel, die Entwicklung Russlands und Weißrusslands zu bremsen“, sagte der russische Präsident auf einer Pressekonferenz nach Gesprächen mit dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. „Mit diesem Ziel wird es immer einen Grund geben, bestimmte unrechtmäßige Beschränkungen einzuführen, und das ist nichts anderes als unlauterer Wettbewerb“, fügte der russische Staatschef hinzu. Er betonte, dass der Sanktionsdruck „absolut illegitim“ sei. „Das ist eine grobe Verletzung des internationalen Rechts, aber diejenigen, die jetzt darüber reden, kümmern sich nur darum, wenn es für sie von Vorteil ist. Wenn es für sie nicht vorteilhaft ist, vergessen sie gerne alle Normen des internationalen öffentlichen Rechts“, sagte Putin.
Dies deutet auf eine gewisse Resignation in Bezug auf die Gespräche mit Washington, London und Brüssel hin. Vor allem jedoch könnte eine offensichtlichere militärische Unterstützung der Milizen im Donbass eine Option sein, die Moskau in Erwägung ziehen könnte. Nicht ganz so eskalativ wie eine direkte Entsendung von Truppen und Militärgerät, aber dennoch ein deutliches Zeichen. Ganz nach dem Motto: Wenn der Westen das ukrainische Militär mit neuen Waffen ausrüstet und die dann für eine Donbass-Offensive eingesetzt werden, gleichen wir das ebenso mit Waffenlieferungen an die Milizen aus, damit dort kein Massaker mit zehntausenden Toten in wenigen Wochen stattfindet. Immerhin kämpfen in den Reihen der ukrainischen Regierungstruppen auch Einheiten des „Asow-Battaillons“ mit, dessen Reihen mit Neonazis durchsetzt sind und auch mit Kriegsverbrechen in Verbindung gebracht werden.
Doch laut der russischen Verfassung ist die russische Regierung dazu verpflichtet, den Auslandsrussen (ein großes sowjetisches Erbe) beizustehen. Also auch den ethnischen Russen in der Ukraine. Dies ist ein Faktor, der in Bezug auf die Ukraine-Krise gerne in Vergessenheit gerät. Das heißt aber auch, dass Moskau nicht einfach so zusehen kann, wenn nationalistische ukrainische Milizen einen Genozid an den ethnischen Russen im Osten des Landes durchführen wollen. Auf jeden Fall werden wir eine russische Reaktion sehen, sollten sich die Kämpfe im Donbass ausweiten und ein Blutbad unter den Zivilisten erwartet werden. Und wie Putin schon sagte: Sanktionen kommen so oder so, also warum einfach abwarten und nichts tun?