Analyse: Diese manipulativen Tricks nutzt der Mainstream zum Framing von Regierungskritikern

Bild: freepik / asier_relampagoestudio

Vom 26. bis zum 29. Juni wurde im Ö1-Radiokolleg eine Sendung ausgestrahlt, die den Eindruck erwecken wollte, objektiv über die Corona-Jahre zu berichten. Doch eine Analyse der GGI zeigt, mit welchen manipulativen Tricks man arbeitete, um kritische Bürger und deren Ansichten zu delegitimieren. Diese Methoden dürften viele Menschen wiedererkennen, denn sie finden in Berichten der Öffentlich-Rechtlichen und anderer Systemmedien breite Verwendung. Die GGI fordert eine sachliche Korrektur des Berichts sowie eine Rückkehr zum unvoreingenommenen, seriösen Journalismus.

Manipulative, rhetorische Trickkiste – Ö1 Radiokolleg auf Abwegen

Presseaussendung der GGI-Initiative am 04.07.2023

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist mittlerweile seit Jahren für Versuche bekannt, Protest und Kritik an der Corona-Politik zu diskreditieren. Die jüngste derartige Entgleisung geschieht in Form einer vierteiligen Serie im Ö1-Radiokolleg “Die Risse in unserer Gesellschaft”. In dieser Aussendung decken wir anhand konkreter Beispiele die vielen rhetorischen Manipulationen auf. Wir fordern eine entsprechende Korrektur und die Rückkehr des Journalismus zu Unvoreingenommenheit und Seriosität.

Die vierteilige Serie Die Risse in unserer Gesellschaft” von Ulla Ebner, ausgestrahlt von 26.06. bis 29.06.2023 im Ö1 Radiokolleg, erweckt den Anschein einer objektiven Dokumentation über die Corona-Jahre. Wer die Serie verfolgt hat, kann vielleicht nicht benennen, warum sie tendenziös erschien und ein seltsames Gefühl zurückblieb, obwohl beide Seiten – Experten wie Maßnahmenkritiker – zu Wort kamen. Tatsächlich kommt in dem Format manipulative Rhetorik zum Einsatz, die wir nachfolgend analysieren, wobei wir auf die Systematik nach Damer zurückgreifen. [1], [2]

Die Serie geht von der Grundannahme aus, dass es ab 2020 tatsächlich eine brandgefährliche gesundheitliche Krise gegeben hat und demnach alle Maßnahmen vollumfänglich gerechtfertigt und richtig waren. Dass dies nicht der Fall war, ist an anderer Stelle schon ausreichend erörtert worden. Hier soll als Beleg genügen, dass die unten beschriebenen Manipulationen – hätte es tatsächlich eine dramatische Krise gegeben – gar nicht notwendig gewesen wären.

Übergeordnetes Ziel

Die übergeordnete Vorgangsweise der Serie lässt sich mit Brunnenvergiftung zusammenfassen. Dabei wird die Sachebene komplett verlassen, ein gegnerischer Standpunkt gar nicht mehr berücksichtigt und nur mehr versucht, den Gegner direkt zu delegitimieren. Konkret werden die Protestierenden und Kritiker der Corona-Maßnahmen mittels Unterstellungen und rhetorischen Kniffen insgesamt und grundsätzlich als intellektuell und/oder charakterlich unterlegen dargestellt.

Während der Serie wird jedoch nie die Frage gestellt, warum Verschwörungsmythen (ein Begriff, der nun in der medialen Kommunikation die Verschwörungstheorien ersetzt, da das Wort “Theorie” einen wissenschaftlichen Anstrich habe) [3] und dubiose Messenger-Kanäle plötzlich so viel Zulauf bekommen haben sollen. Warum hat es eine Pandemie gebraucht, warum gerade ab 2020 und danach, warum nicht schon früher? Kein Experte scheint dafür eine plausible Erklärung zu haben. Dabei ist die Antwort trivial. Weder die Verschwörungstheoretiker oder der QAnon-Kult, noch russische Desinformations-Trolle oder ähnliche Strömungen haben tatsächlich nennenswerten Zulauf bekommen. Der vermeintliche Zulauf, die vermeintliche Radikalisierung der Mitte, alles beruht auf lockeren, willkürlichen Verknüpfungen, gleichgeschaltetem medialen Framing und Kontaktschuld. D. h. wer sich örtlich oder thematisch in der Nähe von Rechtsextremen und Reichsbürgern, aber auch links-affinen Esoterikern und Naturheilkundigen aufhält, dem wird deren Anschauung – interessanterweise alles kombiniert – als Ganzes unterstellt.

Das Ziel ist der Versuch, ein falsches Dilemma zu etablieren. Die breite Öffentlichkeit soll nur zwei Möglichkeiten wahrnehmen: entweder Maßnahmen kritisieren bzw. an Protesten teilnehmen und somit als ungebildet, rücksichtslos und abgehängt dastehen; oder die Maßnahmen vorbehaltlos unterstützen, um als gemeinschaftlich orientiert und gebildet zu gelten. Dies ist insofern falsch, als es zum einen eine unzulässige Schlussfolgerung darstellt, die sämtliche andere Faktoren ignoriert, und es zum anderen viele Zwischenpositionen gibt. Ein dahingehender Klassiker ist das komplette Ignorieren der Mitte der Proteste und die Verknüpfung der linken und rechten Ränder, die sich nun gegen den gemeinsamen Feind verbünden.

Manipulatives Methoden-Repertoire

Als Gesprächspartner der Autorin begleitet ein gewisser Arthur die Serie. Er dient als Strohmann und “Lieblingsverschwörungstheoretiker”, den die Redakteurin vorgibt, von früher zu kennen. Ein Strohmann lässt das Argument der Gegenseite verfälscht oder stark vereinfacht aussehen (ein Trick, den auch die Faktenchecker häufig einsetzen). Der Strohmann ist recht einfach zu widerlegen, was suggeriert, als wäre mit ihm die ganze Gegenseite widerlegt oder delegitimiert. Strohmänner können völlig frei erfunden, bezogen auf einen in der Wirklichkeit nicht existierenden Stereotyp (z. B. Flacherdler), oder auch eine echte Person sein, die in Verteidigung bzw. Vorbringen des eigenen Arguments nicht oder wenig geschult ist.

Arthur wird eine Art Fundamentalopposition gegen den sog. Mainstream angedichtet, er nimmt teilweise absurde Extrempositionen ein (die Welt werde von satanistischen Mächten beherrscht), er ist nunmehriger Rechtswähler trotz kommunistischer Vergangenheit, der Naturheilkunde verbunden und skeptisch gegenüber der Schulmedizin. Auch den Wunsch nach einer starken Führungspersönlichkeit schreibt ihm die Autorin zu.

Arthur kommt in allen Teilen laufend zu Wort. Dabei ist zu beachten, dass eine Konversation nur vorgetäuscht ist. Meist wendet die Autorin eine simple Art des argumentum ad ignorantiam an. Sie urteilt außerhalb der Konversation über Arthurs Aussagen und gründet dieses Urteil auf ihre Intuition.

Das argumentum ad verecundiam bezeichnet Hörigkeit gegenüber Experten, im Englischen auch als appeal to authority bekannt. Der Experte hat stets recht, egal was er sagt. In der Serie wird diese Zuschreibung noch durch den unterschiedlichen Auftritt verstärkt: Experten sprechen hochdeutsch, sachlich ruhig und verwenden Fachausdrücke, wodurch sie besonders glaubwürdig und seriös wirken. Arthur spricht Mundart, bleibt bei seinen Ausführungen oberflächlich und bringt seine Sätze manchmal nicht zu Ende. Das soll ihn fachlich und durchaus auch intellektuell unterlegen erscheinen lassen.

Das argumentum ad hominem ist neben dem Strohmann und dem falschen Dilemma besonders gebräuchlich. Auch hier geht es nicht um die Sache, sondern um die Person, die ein Argument vertritt. Üblicherweise werden ungünstige Aspekte der Person beleuchtet. Protestierenden und Maßnahmen-Kritikern wird dabei alles Mögliche unterstellt. Kern ist das oben erwähnte Dogma der Unfehlbarkeit von Maßnahmen und Experten, woraufhin kreative Erklärungen für Kritik und Protest gesucht werden:

Es handle sich um eine allgemeine Anti-Mainstream-Bewegung, Teile der Mitte würden an den Rand drängen, weil sie sich von den Eliten verspottet und zurückgelassen vorkommen. Eine neue Ausprägung der Mitte, die sog. nostalgisch-bürgerlichen, soll es geben, die 13 Prozent der österreichischen Bevölkerung ausmachen. Sie sehnen sich nach der “guten alten Zeit”, ziehen sich in ein neues Biedermeier zurück. Sie sind geplagt von Abstiegsängsten und wünschen sich Sicherheit.

An anderer Stelle sehen sie als wirtschaftlich besonders Betroffene den Staat als Unterdrücker, der ihnen Möglichkeiten zum Geldverdienen und wirtschaftlichen Gestalten nimmt. Angeblich sollen Freiberufler überproportional vertreten sein.

Von gekränktem Freiheitsgefühl, über Rücksichtslosigkeit, geringem Informationsstand bis zu sozialer Abstiegsangst, Langeweile und Einsamkeit wird alles Mögliche in Kritiker hinein interpretiert.

Caroline Amlinger unterläuft in ihrem Buch zum angeblich gekränktem Freiheitsgefühl eine Verwechslung hinreichender und notwendiger Bedingung. Sie stellt jenes Gefühl sowie Kapitalismus und Leistungsgesellschaft den Protesten als notwendig – also zwingende Voraussetzung – voran (conditio sine qua non). Da auch die sachliche Fehlerhaftigkeit und nicht-vorhandener Nutzen bei enormen Kosten der Corona-Maßnahmen Tatsachen sind, ist die Prämisse von Amlinger und ihrem Mitautor Oliver Nachtwey allerdings nicht notwendig, sondern lediglich hinreichend (ein möglicher Faktor); d. h. Proteste und Kritik können auch andere Ursachen haben.

Pavel Zerka begeht eine kausale Übervereinfachung. Er bezeichnet ein Österreich und Deutschland eigenes Freiheitsgefühl als Ursache für den Protest; Grund sei, dass laut Eurobarometer-Daten in den meisten anderen Ländern Zufriedenheit mit den Maßnahmen besteht. Dabei missachtet er zum einen, dass gerade Österreich und Deutschland deutlich länger strengere und unverhältnismäßige Maßnahmen und auch besonders starke Diskriminierung aufrechterhalten haben; zum anderen ignoriert er, dass es zwischen Ländern noch weitere Unterschiede gibt, die im Entstehen von Protesten eine Rolle spielen können. Die objektiv naheliegende Erklärung wird hier durch eine subjektiv konstruierte ersetzt.

Zu Wort kommt auch die Extremismusforscherin Julia Ebner. Sie stellt fest, dass es seit Jahren angeblich zu verstärktem Zulauf zu ehemals randständigen Bewegungen kommt, die Mitte würde sich radikalisieren. Sie begeht damit einen post-hoc Fehlschluss. Sie argumentiert, dass Proteste und Kritik an Corona-Maßnahmen zeitlich ihren Beobachtungen nachfolgen, letztere also die Ursache sein müssen. Dies ist angesichts des Trugschlusses, wonach die Maßnahmen jedenfalls gerechtfertigt waren, reine Spekulation.

Forderung: Rückkehr zur Objektivität

Bei den oben genannten Beispielen handelt es sich nicht um Einzelfälle. Im Gegenteil werden aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer feststellen, dass sich die genannten (und weitere) Tricks durch alle Teile dieses Radiokollegs ziehen. Vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk fordern wir eine sachliche Korrektur und eine Rückkehr zum unvoreingenommenen, seriösen Journalismus.

Dass es höchste Zeit für eine Kehrtwende ist, zeigt auch das jüngste Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, welches die Verletzung des Objektivitätsgebots hinsichtlich der ORF-Berichterstattung feststellte. Bis dahin raten wir allen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur dann zu konsumieren, wenn man über ein solides Grundwissen zu rhetorischen Tricks und Möglichkeiten der Manipulation verfügt.

Zu guter Letzt sei noch angemerkt, dass der Grüne Verein für Grundrechte und Informationsfreiheit stets für einen offenen Diskurs zur Verfügung steht, sollte sich Ö1 entscheiden, auf reale, kritische Menschen anstatt Strohmanndebatten zu setzen.

Quellenangaben

[1] Damer T. Attacking Faulty Reasoning. 7. Auflage, 2012. Cengage Learning, Boston, MA (USA). ISBN: 978-1133049982

[2] Anonym. Typen von Argumenten. Wikimedia Foundation Inc, 2023. online: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Typen\_von\_Argumenten&oldid=233510733

[3] Bericht der Bundesstelle für Sektenfragen an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration, Mai 2021, Das Phänomen Verschwörungstheorien in Zeiten der COVID-19-Pandemie S.10 https://www.bmi.gv.at/bmi_documents/2632.pdf (Seite 10)

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