„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“: Grundgesetz für deutsche Behörden nun eine Gefahr für öffentliche Ordnung?

Bilder vom Herstellungsprozess der Stele - Screenshots via https://deine-verfassung.de/

Quo vadis, Deutschland? Weil das Kunstwerk „Grundgesetz 49“ des israelischen Künstlers Dani Karavan nur die Artikel des Grundgesetzes 1 bis 19 abbildet, haben Künstler unter Mitwirkung von vielen Bürgern eine Stele kreiert, die in goldenen Lettern den fehlenden Artikel 20 zeigt: Dieser legt fest, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und dass jeder Deutsche das Recht zum Widerstand hat, wenn jemand diese Ordnung zu beseitigen versucht. Doch dieses Kunstwerk aufzustellen, gilt in Deutschland scheinbar als „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“: Am 1. Februar wird nun über die Vernichtung des Kunstwerks verhandelt. Der „Verein zur Erneuerung der BRD an ihren eigenen Idealen e.V.“ berichtet in einer Presseaussendung über die unfassbaren Vorgänge.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Art 20 

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Art. 20 GG (Hervorhebungen durch Redaktion)

Nachfolgend lesen Sie die Pressemitteilung des Vereins zur Erneuerung der BRD an ihren eigenen Idealen e.V. (Hervorhebungen und Zwischentitel durch Redaktion):

Gefährdet Artikel 20 GG die öffentliche Sicherheit und Ordnung?

Künstler fordern am Bundestag mit dem Artikel 20 GG die Gültigkeit des Grundgesetzes ein. Der Staat fasst das als Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf und ordnet die Vernichtung des Kunstwerks an.

Zur Verhandlung über die Vernichtung

  • am 01.02.2024
  • um 10:00 Uhr
  • im Verwaltungsgericht, Kirchstraße 7, 10557 Berlin

sind Sie herzlich eingeladen …

Zum Hintergrund:

Am 01.02.2024 wird im Verwaltungsgericht Berlin über die behördlich angeordnete Vernichtung eines Kunstwerkes verhandelt werden. Bei dem Kunstwerk handelt es sich um eine 3 Meter hohe und 1,6 Meter bereite Stele aus Buchenholz, in die der Text des Artikels 20 GG geschnitzt und mit Gold überzogen wurde. Diese Stele wurde vom „Verein zur Erneuerung der Bundesrepublik an ihren eigenen Idealen“ zu Ehren des 70. Geburtstages des Grundgesetzes, zum 23.05.2019 und zu Ehren der Geschehnisse um die deutsch-deutsche Wiedervereinigung für die Frist vom 03.10.2019 (à 29. Jahrestag der Wiedervereinigung) bis zum 09.11.2019 (à 30. Jahrestag des Mauerfalls) am Stelenkunstwerk Dani Karavans „Grundgesetz ’49“ am Reichstagufer 2 am Bundestag errichtet.

Sie war durch das ganze Vorjahr hindurch in Form eines Volksbildungsprojektes über das Wesen des Grundgesetzes und unter Anteilnahme und Mitwirken sehr vieler Bürger und Passanten öffentlich am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin geschnitzt worden. (Siehe etwa http://tinyurl.com/yoh6eop3)

Der Grund für ihre Errichtung war, dass Artikel 20 am Stelenkunstwerk Dani Karavans am Bundestag fehlt und der Verein das Grundgesetz zu seinem 70. Geburtstag mit der notwendigen Ergänzung als Ganzes feiern wollte. Aus Sicht des Künstlerkollektives des Vereines stellen die von Dani Karavan gestalteten Artikel 1 bis 19 (nur) die unveräußerlichen Grund- und Menschenrechte im Grundgesetz, aber noch nicht das Grundgesetz in seinem vollen Wesensgehalt dar.

Aus Sicht des Vereines besteht die Besonderheit des Grundgesetzes darin, dass es nicht nur die Grundrechte benennt, sondern aus ihnen in Artikel 20 auch eine ihnen radikal verpflichtete Staatsstruktur entfaltet. Erst beide zusammen: Artikel 1 und Artikel 20 machen in seiner Sicht das Grundgesetz aus. (Vgl. Artikel 79, Absatz 3 GG)

Zur Ehrung des gesamten Grundgesetzes: Aufstellung am Grundgesetzfragment Dani Karavans

Das Fehlen des Artikel 20 GG und damit das Fehlen der gesamten, aus den Grundrechten gehobenen Prinzipien der Staatsstruktur, hat den Verein dazu bewogen, die Stele trotz der Verweigerung der Genehmigung durch die entsprechenden Behörden zu den genannten Festeszeitpunkten am Grundgesetzfragment Dani Karavans aufzurichten.

Die von der Behörde angeführten Gründe, die Genehmigung zur Aufstellung zu verweigern,
waren
a) dass keine Grünflächen zerstört werden dürften – und
b) dass die Durchfahrt von Krankenwagen durch die Aufstellung der Stele behindert werden könnte.

Dass die Stele die Durchfahrt nicht berührte, da sie nur 2 Meter an der Außenseite des 4 Meter breiten Bürgersteiges und nicht einen Millimeter der freizuhaltenden, noch 10 Meter breiten Durchfahrt in Anspruch nahm, und dass auf der gepflasterten Promenade keine Grünanlagen vorhanden sind, haben die Behörden dabei leider übersehen.

Auch übersehen haben sie, dass der etwas provokante Charakter der Aktion, zum 70sten Geburtstag des Grundgesetzes den fehlenden Artikel 20 GG am Kunstwerk Dani Karavans aufzustellen, auch – und gerade wenn! – es den „Obrigkeiten“ nicht gefällt,

  • dies als ein Sinnbild für die Pflicht der Bürger, auch gegen Entscheidungen der „Obrigkeiten“ für das Grundgesetz einzustehen –

zu Wesen und Aussagegehalt des Kunstwerks selbst gehört – und damit der Schutz des Artikels 5, Abs. 3 GG auf es anzuwenden ist.

„Erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“?

„Nicht übersehen“ haben die Behörden dagegen den mehr als verwunderlichen „Tatbestand“, dass durch die Aufrichtung der Prinzipien der Staatsstruktur an der weltweit wohl hochrangigsten und bedeutendsten künstlerischen Repräsentation des Grundgesetzes, selbst nachdem der THW die statische Sicherheit der Aufstellung festgestellt hatte, noch „eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ ausgegangen sein soll …

Aus diesem Grunde wurde die Stele von den Behörden konfisziert und, da den Künstlern weitere „die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdende“ Unternehmungen mit der Stele unterstellt werden, ihre Vernichtung angeordnet.

Was es bedeutet,
dass von der Aufrichtung des Artikel 20,
dass von der Erinnerung an Sätze wie

  • „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“,
  • „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden“, oder
  • „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung außer Kraft zu setzen, haben alle Deutschen Recht auf Widerstand …“

„eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung“ ausgeht, und ob der behördliche Impuls zur Kunstvernichtung auch noch vor Gericht Bestand haben kann, das gilt es am 01.02.2024 im Verwaltungsgericht zu verhandeln.

Entsetzen auch unter jüdischen Mitbürgern: „Unser Gesetz sollte uns heilig sein“

Nach Bekanntgabe der Entscheidung zur Vernichtung der Stele schrieb eine jüdische Mitbürgerin an den damals dafür verantwortlichen Präsidenten des deutschen Bundestages, Herrn Dr. Wolfgang Schäuble:

„… das Volk Israel lebt seit fast 2000 Jahren in der Diaspora. Aber wie ist es diesem Volk gelungen unter dieser Bedingung eins zu sein? Einzig und allein durch das Gesetz. Jede Torarolle verkörpert das von G-tt gegebene Gesetz, an das Israel gebunden ist, daher ist jede Torarolle heilig. Niemals, selbst wenn die darauf niedergeschriebenen Worte längst nicht mehr lesbar sind, darf eine Torarolle vernichtet werden.
Als Tochter eines deutschen Juden lebe ich mit dem widersprüchlichen Erbe zweier Völker in der Hoffnung, mich zu beiden bekennen zu dürfen, das Gesetz des einen ebenso zu achten, wie das des anderen. Ich bin entsetzt darüber, dass ein Kunstwerk mit dem Wortlaut des Artikel 20 unseres Grundgesetzes am Bundestag zur Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erklärt und die Vernichtung der Stele Artikel 20 GG angeordnet ist und ich bitte Sie in Ihrer besonderen Verantwortung dringend, diesen symbolischen Akt der Zerstörung zu verhindern. Unser Gesetz sollte uns heilig sein.“

(Siehe: http://tinyurl.com/yohr9rds)

Dass die Anordnung der Zerstörung der Stele vom Präsidenten des Bundestages NICHT verhindert wurde, sei hier abschließend angemerkt.

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