Vorläufer von Sozialkreditsystemen nach chinesischem Vorbild sind bereits in mehreren EU-Ländern geplant – auch in Deutschland und Österreich. In Verbindung mit einer digitalen ID können diese Belohnungs- und potenziell auch Bestrafungssysteme zu wirksamen Werkzeugen eines totalitären Systems werden: Wer nicht pariert, verliert – beispielsweise den Zugang zu seinem Bankkonto. Die Möglichkeiten für Missbrauch scheinen endlos, entsprechend groß ist auch der Widerstand. In Frankreich lässt man sich davon nicht beirren: Nur zwei Tage nach Emmanuel Macrons Wiederwahl kündigte man den Start eines neuen Systems für die Digitale ID an.
Premierminister Jean Castex bestätigte am 26. April die Einrichtung eines sogenannten „Service de garantie de l’identité numérique“ (SGIN). Die App authentifiziert die Identität einer Person für den Zugriff auf öffentliche und private Dienste und verwendet den NFC-Leser des Smartphones, um die biometrischen Ausweise der Benutzer zu scannen. Das System basiert auf den biografischen Daten der neuen französischen Personalausweise, die im August 2021 eingeführt wurden. Auf diese Weise soll es französischen Bürgern ermöglicht werden, über eine digitale ID in Übereinstimmung mit der European Digital Identity zu verfügen.
Auf biometrische Daten wie Fingerabdrücke wird angeblich nicht zugegriffen. Verpflichtend ist das System aktuell nicht. Auch wird hervorgehoben, dass die Nutzer bei Transaktionen selbst entscheiden können, welche persönlichen Daten übermittelt werden (was natürlich nichts daran ändert, dass alle Daten im System gespeichert sind).
Manch einer mag die neue Applikation noch als harmlos empfinden: Deutschland etwa verfügt bereits über ein ähnliches System. Andere sehen hier einen ersten Schritt in Richtung totaler Überwachung. Immerhin lassen sich derartige Anwendungen stetig erweitern: Emmanuel Macron ist ein Young Global Leader und damit ein Anhänger des WEF, das die Schaffung einer sehr umfassenden digitalen ID mit allen relevanten Daten der Bürger propagiert. Das umfasst nicht nur die Daten des Personalausweises, sondern auch beispielsweise Bankkonten, Führerschein und Gesundheitsinformationen. Die Funktionen der Digitalen ID sollen auf diese Weise stark erweitert werden: Sie soll dann bei der medizinischen Versorgung, finanziellen Transaktionen, Reisen, Shopping, dem Zugang zu sozialen Netzwerken, der Telekommunikation und sogar bei Wahlen zum Einsatz kommen. Wozu das führen kann, musste jüngst die Bevölkerung in Nigeria am eigenen Leib erfahren: Dort wurden kurzerhand 73 Millionen Handy-SIM-Karten gesperrt, weil die Nutzer sie nicht brav mit der nationalen digitalen Identitätsdatenbank verknüpft hatten. Wer nicht gehorcht, muss in derartigen Systemen stets mit Konsequenzen rechnen.
Die französische Partei „Les Patriotes“, entstanden aus einer Abspaltung vom Front National, äußert jedenfalls scharfe Kritik am neuen SGIN. Das Ziel sei ein Sozialkreditsystem nach chinesischem Vorbild: Man ruft zum Boykott auf. Auch bei vielen Franzosen hält sich das Vertrauen in Grenzen.
Träume von Digitaler Identität schon 2019
Frankreich liebäugelt schon länger mit der Digitalen ID: Das französische Innenministerium kündigte im Oktober 2019 sogar als erstes EU-Land Pläne an, die Gesichtserkennung für die Registrierung in seinem nationalen digitalen Identifizierungsprogramm namens Alicem einzusetzen. Frankreichs Staatssekretär für Digitales, Cédric O, der zuvor ein Berater Macrons war, zeigte sich zwar unsicher gegenüber dem Projekt, deutete damals jedoch an, dass es „eine Online-Identitätslösung“ mit Gesichtserkennung geben werde. O wünschte sich ganz in WEF-Manier eine hochgradig zertifizierte digitale Identität sowohl für staatliche als auch private Dienstleistungen wie dem Gesundheitswesen, der Eröffnung eines Bankkontos oder dem Zugang zu Online-Gaming-Diensten. Auch Experimente zur Echtzeit-Gesichtserkennung bei Videoüberwachung hatte er sich sehnlichst gewünscht. Die Alicem-App war ein voller Misserfolg – SGIN dürfte nun ihren Nachfolger darstellen. Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, wenn das neue Produkt zunächst möglichst unscheinbar und harmlos daherkommen soll.