Wenn Stiche in den Rücken als Notwehr gelten
Mils, Tirol, am 16. September: Siebenmal stach ein 17-jähriger Asylwerber aus Syrien hier auf einen 16-jährigen Pakistani ein. Sechs Stiche gingen in den Rücken des Opfers. Vor Gericht plädiert der Syrer auf Notwehr – und die Geschworenen glauben ihm.
Der Angeklagte hatte dem jüngeren Pakistani am fraglichen Tag sein Handy abgenommen und weigerte sich, es zurückzugeben. 120 Euro wollte er für das Gerät vom rechtmäßigen Besitzer einfordern – „nur aus Spaß“, behauptete er. Der Scherz kam beim Gegenüber offensichtlich nicht an, denn ein erbitterter Streit entbrannte. Der Syrer zückte daraufhin ein Messer und stach mit einer 5,5 Zentimeter langen Klinge auf den Rücken seines Kontrahenten ein.
Dabei soll der ihn eigentlich gegen eine Mauer gedrückt und mit einem Schlagring bedroht haben. Das berichtete der Syrer zumindest vor Gericht – auch wenn ein Augenzeuge diese Geschichte nicht bestätigte.
Blumige Geschichten
Die Geschworenen indes schienen von den blumigen Erzählungen der Verteidigerin und des Betreuers des jungen Messerstechers so verzückt zu sein, dass sie sämtliche Widersprüche geflissentlich ignorierten. Immerhin wurde ihnen laut Krone-Bericht doch „das Bild eines respektvollen und ausgeglichenen Jugendlichen, der von einem Job als Friseur träumte“, geschildert. Sein regelmäßiger Marihuana-Konsum täte dem auch keinen Abbruch, immerhin war der Syrer angeblich „weder süchtig noch ein Dealer“, wie seine Anwältin betonte. Na dann!
„Kein Mordversuch“
Das schwer verletzte Opfer konnte sich nach dem Angriff noch zu einem Restaurant schleppen – es überlebte. Im weiteren Verlauf tauchte der Pakistani unter. Der einzelne Augenzeuge, der den Geschichten des Angeklagten widersprach, reichte offenbar nicht aus, um die Laienrichter zweifeln zu lassen: Das Achter-Gremium aus Geschworenen sah im Angriff des syrischen Asylwerbers keinen Mordversuch. Vielmehr handelte es sich in ihren Augen lediglich um „fahrlässige schwere Körperverletzung“. Nach Jugendstrafrecht wäre so nur ein schlapper Monat Gefängnis fällig, der durch die U-Haft bereits verbüßt wäre. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, der Staatsanwalt meldete Bedenkzeit an.
Kein Verständnis für mildes Urteil
Die Österreicher sind in jedem Fall fassungslos: Die Kommentarfunktion allein unter den entsprechenden Krone-Artikeln lief regelrecht heiß. Verständnis für den Syrer und die Geschworenen hat dort niemand – im Gegenteil.
Die Krone sah sich gar genötigt, den Ursachen für das Urteil noch einmal auf den Grund zu gehen und zu hinterfragen, inwieweit es noch ausgehebelt werden könnte: Die zuständigen drei Berufsrichter könnten das Urteil nämlich aussetzen und das Verfahren mit neuen Geschworenen wiederholen, wenn sie zu dem Schluss kämen, dass das Gremium sich geirrt hat. Zudem kann der Staatsanwalt Nichtigkeit und Strafberufung beim Obersten Gerichtshof anmelden. Ob das geschieht, ist allerdings fraglich. Immerhin handelt es sich nicht um das erste Kuschelurteil, das in Österreich gefällt wurde.