Sowohl Indien als auch Pakistan leiden unter einem Mangel an Trink- und Nutzwasser. Der Kaschmirkonflikt hat auch damit zu tun. Immerhin ist diese Region für die Wasserversorgung beider Länder essenziell. Der Streit um die Wasserressourcen könnte eskalieren.
Der Kaschmirkonflikt zwischen Indien und Pakistan wird generell als Territorialkonflikt mit ethnisch-religiöser Hauptkomponente betrachtet. Doch in Wirklichkeit geht es bei diesem Konflikt zwischen den beiden Atommächten vor allem um die Versorgungssicherheit mit Trink- und Nutzwasser. Denn wer Kaschmir kontrolliert, kontrolliert auch die drei großen Flüsse Indus, Chenab und Jhelum, die insbesondere für die fruchtbare Punjab-Region Pakistans von essenzieller Bedeutung sind. Und auch die anderen großen Indus-Zuflüsse Ravi, Sutlej und Beas kommen aus Indien (aus dem Bundesstaat Himachal).
Um das Ganze einmal in Relation zu setzen: Knapp zwei Drittel des Wassers in Pakistan kommen über den Fluss Indus ins Land. Das Indus-Becken ist mit insgesamt 21,2 Millionen Hektar auch das größte Bewässerungssystem der Welt. Gleichzeitig gilt Pakistan mit weniger als 1.000 Kubikmetern Wasser pro Person und Jahr als „extrem stark belastet“, was die Wassersicherheit angeht. Doch auch Indien ist mit weniger als 1.700 Kubikmetern Wasser pro Person und Jahr „hochgradig gestresst“. Doch Neu Delhi kontrolliert mit Jammu und Kaschmir das Einzugsgebiet der wichtigsten Flüsse Pakistans und damit auch die Versorgung des Nachbarlandes.
Beide Länder haben entlang der Flüsse ein System aus Staudämmen (für die Stromerzeugung und zur Bewässerung von landwirtschaftlich genutztem Land) errichtet. Im Punjab, welches zwischen beiden Ländern aufgeteilt wurde, hatten die Briten ein komplexes Bewässerungssystem errichtet, welches nach der Aufteilung der ehemaligen britischen Kolonie in die beiden unabhängigen Staaten Indien und Pakistan im Jahr 1947 gemeinsam verwaltet werden sollte. Doch die indische Seite drehte nach einem Jahr, im April 1948, den Wasserfluss nach Pakistan ab. Dies führte – zusammen mit dem ursprünglich mehr ethnisch-religiösen Kaschmirkonflikt – zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen beiden Ländern.
Wenn man nun bedenkt, dass beide Länder ein anhaltend hohes Bevölkerungswachstum aufweisen und entsprechend auch der Bedarf an sauberem Wasser steigt, wird klar: Da braut sich ein gewaltiger Konflikt zusammen. Indien wird immer mehr Wasser aus den Flüssen ableiten, was das weitestgehend aride bzw. semi-aride Pakistan und dessen Landwirtschaft massivst unter Druck setzen dürfte. Für die Pakistanis hieße dies, entweder zu leiden, oder aber einen Krieg gegen das ebenfalls atomar bewaffnete Indien zu führen. Islamabad befindet sich also in einer äußerst prekären Lage, in der es faktisch nur verlieren kann. Indien hält faktisch alle Karten in der Hand und Pakistan kann es sich einfach nicht leisten, die Ansprüche auf die Kaschmir-Region fallen zu lassen.
Über kurz oder lang wird Pakistan dazu genötigt sein, einen Krieg ums Überleben der eigenen Bevölkerung zu führen. Doch ein solcher Krieg würde – vor allem im Falle einer nuklearen Eskalation – das Leben von rund zwei Milliarden Menschen in der gesamten Region aufs Spiel setzen. Gleichzeitig ist dieser Konflikt eine Warnung dafür, wie Streitigkeiten um Wasserressourcen in Zukunft noch viel mehr Kriege und militärische Auseinandersetzungen mit sich bringen werden.