Drama und Katastrophen bestimmen das Leben der jüngeren Generationen: Alles ist ungerecht, toxisch, inkorrekt, muss seziert und gecancelt werden. Und sowieso: Alles steht in Flammen, ist kurz vor dem Untergang. Drama hatten wir in den 90ern zwar auch, aber das Lebensgefühl war ein gänzlich anderes. Unser Gastautor denkt an diese Zeiten zurück und vergleicht sie mit dem Heute.
Ein Gastkommentar von Lothar Renz
Es gab eine Zeit, da war Popkultur roh. Kratzig. Mit kaputten Vans, zerfetzten Jeans und Soundtracks, die mehr Wut als Weisheit transportierten.
Die 90er waren keine Ära, sie waren ein kollektives Schulterzucken in Richtung Zukunft. Nicht perfekt. Nicht nachhaltig. Aber genau deshalb so verdammt lebendig.
Die Musik? Ein Drei-Akkorde-Mittelfinger. Punk, Grunge, Skate-Rock – Lärm, der keine Antworten liefern wollte, sondern einfach raus musste. Laut, ungehobelt, echt. Kein Algorithmus bestimmte, was „gut“ war. Wir mixten unsere eigenen Tapes, voller Songs, die uns genau dann abholten, wenn alles scheiße war – und uns zeigten, dass Scheiße auch einfach mal scheiße sein darf.
Die Filme? Absurde, dreckige Satiren, Teeniekomödien ohne Weichzeichner, Mutanten, Roboter, Highschool-Dramen mit Pickeln und echter Peinlichkeit. Keine 20-Stufen-Diskussion über Repräsentation, keine 10.000 Tweets, ob das alles noch moralisch okay ist.
Man lachte, weinte, lebte – ohne Fußnoten. Und genau da liegt der Unterschied zu heute.
2025. Eine Generation, die ständig alles hinterfragt, alles zerpflückt, alles hasst – weil sie gelernt hat, dass die Welt ungerecht ist, toxisch, kurz vorm Kollaps. Sie haben gelernt, kritisch zu sein, immer alles zu entlarven, zu dekonstruieren, zu canceln, zu korrigieren. Und sie haben vielleicht auf ihre Weise Recht. Aber sie vergessen dabei oft, dass man auch einfach mal feiern kann.
Nicht alles muss dekodiert, diskutiert, desinfiziert werden. Manchmal ist es okay, einfach zu genießen, ohne Disclaimer. Denn wenn alles immer falsch ist, bleibt kein Platz mehr für das Unperfekte.
Für das Lärmen, das Rumspinnen, das Draufscheißen. Für die Fehler, die einen nicht brechen, sondern wachsen lassen. Für das Leben, das weh tut und trotzdem schön ist.
Unsere Generation war nicht klüger. Aber wir hatten diesen instinktiven Reflex, Spaß zu haben, selbst wenn die Welt brannte – und ja, auch das ist ein Überlebensmodus. Vielleicht ein naiver. Aber einer, der half, Luft zu holen.
Wir hatten keine Selfcare-Apps, sondern kaputte Skateboards. Keine Detox-Kuren, sondern Abstürze mit Freunden, bei denen man sich danach eine Pizza reingezogen hat. Keine Achtsamkeitsseminare, sondern Nächte, die endeten, ohne dass jemand wusste, wie.
Unperfekt. Ungesund. Unbesiegbar. Und genau deswegen – vielleicht das letzte Jahrzehnt, das sich selbst noch genießen konnte, ohne schlechtes Gewissen. Und ja, vielleicht war das dümmer – aber wenigstens hatten wir Spaß, während wir draufgegangen sind.