Die kriegsbedingten Ernteausfälle beim Weizen fallen in der Ukraine nicht so extrem aus, wie es gerne dargestellt wird. Vor allem können sie die starken Preiserhöhungen nicht rechtfertigen. Denn global existiert kein wirklicher Mangel und Russland will die Exporte sogar ausweiten.
Wieder einmal scheinen einige Händler eine Krise für ihren eigenen finanziellen Vorteil auszunutzen. In diesem Fall ist es der Krieg in der Ukraine, der auch die Weizenproduktion trifft. Allerdings nicht so stark, dass so extreme Preiserhöhungen allein dadurch gerechtfertigt wären. Dies zeigen aktuelle Daten und Schätzungen hinsichtlich der Anbaufläche und der saisonalen Ernteerwartungen.
So hat die Ukraine im Fünfjahresschnitt (Saison 2017/18 bis 2021/22) auf einer Anbaufläche von insgesamt knapp sieben Millionen Hektar jährlich etwa 28 Millionen Tonnen Weizen produziert. Üblicherweise wird nämlich im September und Oktober ausgesät, im Juli und August geerntet. Für die aktuelle Ernte im Sommer wurden rund 33 Millionen Tonnen an Ernte erwartet, was sich infolge der Kampfhandlungen etwas reduzieren dürfte. Für die kommende Saison 2022/23 gehen Experten davon aus, dass sich die Anbaufläche auf 5,85 Millionen Hektar reduzieren dürfte, während die Ernte auf 21,5 Millionen Tonnen fällt. Das heißt: Im kommenden Jahr wird rund 6,5 Millionen Tonnen weniger Weizen geerntet als im Fünfjahresschnitt oder sogar 12,5 Millionen Tonnen weniger als für dieses Jahr erwartet wurde.
Zum Vergleich die Daten aus den Vereinigten Staaten: Dort liegt der Fünfjahresschnitt bei 15,3 Millionen Hektar Anbaufläche und 49,2 Millionen Tonnen Ernte. Wobei viele Anbauflächen in den letzten Jahren verschwanden, da die Farmer auf finanziell lohnendere Saaten umstiegen. Auch Kanada, welches in dieser Saison mit einigen Missernten zu kämpfen hatte, erwartet in der kommenden Saison wieder eine gute Ernte bei wieder steigenden Anbauflächen. In dieser Saison sind es 9,2 Millionen Hektar Fläche und 21,7 Millionen Tonnen an Ernte, im kommenden Jahr sollen es bei 9,7 Millionen Tonnen Anbaufläche dann 33 Millionen Tonnen an Weizenernte sein.
Wenn man bedenkt, dass die globale Weizenproduktion (Zahlen von 2020) bei etwa 760 Millionen Tonnen liegt, wird deutlich, dass die ukrainische Produktion da zwar eine Rolle spielt, doch nicht jene, die man den Menschen weismachen möchte. Denn die drei größten Weizenproduzenten (China, Indien und Russland) zusammen stellen rund 43 Prozent der globalen Ernte. Die EU insgesamt ist für 16,7 Prozent der globalen Produktion verantwortlich, Nordamerika (USA und Kanada) für 11,2 Prozent. Und die Ukraine? Obwohl auf dem achten Platz liegend stellte sie im Jahr 2020 nur 3,3 Prozent der weltweiten Produktion.
Klar, gerade die bevölkerungsreichen Länder wie China, Indien, USA, Pakistan, Deutschland, Türkei und so weiter verbrauchen die nationale Weizenproduktion weitestgehend selbst, während die Ukraine und Russland in Relation zur Bevölkerung deutlich mehr für den Export produzieren – doch rechtfertigt ein Ausfall von vielleicht 1 bis 1,5 Prozent der globalen Produktion keine extremen Preiserhöhungen. Zum Vergleich: In den Jahren 2018 bis 2020 lag der Marktpreis bei zwischen 4 und 6 US-Dollar pro Bushel, zog dann von 2021 bis 2022 auf rund 8 US-Dollar an und bewegt sich nun seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine bei 10 bis 13 US-Dollar (aktuell knapp 11 US-Dollar). Ein Bushel Weizen entspricht 27,216 Kilogramm. Das heißt, eine metrische Tonne Weizen kostet derzeit rund 400 US-Dollar – ein Anstieg um rund ein Drittel gegenüber den Monaten vor dem russischen Einmarsch.
Ist dies durch den Ausfall der oben erwähnten 1 bis 1,5 Prozent der globalen Weizenproduktion infolge des Ukraine-Krieges gerechtfertigt? Wohl eher nicht. Vielmehr sorgen die Exportrestriktionen einiger Länder für ein sinkendes Angebot und auch einige spekulativ agierende Händler dürften sich so ein zusätzliches Zubrot verschaffen. Denn China als weltweit größter Produzent hat eine weiterhin sehr stabile Produktion. Indien als weltweit zweitgrößter Produzent will zwar vorsichtig agieren, hat aber bereits angekündigt, weiterhin Weizen exportieren zu wollen. Und Russland als die Nummer 3? Auch Moskau hat kein großes Interesse daran, die Weizenexporte einzuschränken und will insbesondere die ärmeren Länder beliefern und die Exporte sogar ausweiten. All dies zeigt, dass die extremen Preisanstiege rational nicht mit dem Krieg in der Ukraine erklärt werden können.