Das australische Unternehmen Cortical Labs züchtet künstliche menschliche Mini-Gehirne. Diese bestehen aus ca. einer Million Neuronen, die sich elektrisch stimulieren lassen und deren Reaktionen man auslesen kann. In einer Studie beschreiben die Wissenschaftler, wie sie diesen Konstrukten ein Computerspiel beibrachten, welches sie schneller erlernten und beherrschten als eine künstliche Intelligenz. Diese „Gott-Spiele“ werfen zahllose ethische Fragen auf, die nicht im Ansatz geklärt sind.
Die auf bioRxiv verfügbare Studie „In vitro neurons learn and exhibit sentience when embodied in a simulated game-world“ erklärt die Errungenschaften der Wissenschaftler. Während künstliche Intelligenzen zur Zeit der Forschungen, Ende 2021, etwas mehr als eine Stunde benötigten, um die Aufgabe zu meistern, konnten die künstlichen menschlichen Gehirne bereits innerhalb von fünf Minuten das Videospiel „Pong“ spielen. Dabei hätten sich die Neuronen wie in einem echten Gehirn umstrukturiert und an die Problemstellung angepasst.
„Gott spielen“ ist damit sicherlich in einer neuen Dimension angekommen. Ethische Fragen werden in den Medien, welche über die Forschungsergebnisse berichten, nicht gestellt. Zum Sachverhalt wurde von New Scientist auch ein Video via YouTube veröffentlicht.
Das Fachmagazin Nature beschäftigte sich im Jahr 2020 mit der naheliegenden Frage: Können laborgezüchtete Gehirne Bewusstsein entwickeln?
Muotri, ein Neurowissenschaftler an der University of California, San Diego (UCSD), hat einige ungewöhnliche Wege gefunden, seine einzusetzen. Er hat Organoide mit Laufrobotern verbunden, ihre Genome mit Neandertaler-Genen modifiziert, sie an Bord der Internationalen Raumstation in die Umlaufbahn gebracht und sie als Modelle verwendet, um menschenähnlichere künstliche Intelligenzsysteme zu entwickeln. Wie viele Wissenschaftler hat sich Muotri vorübergehend auf die Untersuchung von COVID-19 konzentriert und mithilfe von Gehirnorganoiden getestet, wie Medikamente gegen das SARS-CoV-2-Coronavirus wirken .
Nature.com am 27. Oktober 2020
Die Besorgnis über im Labor gezüchtete Gehirne hat auch einen blinden Fleck aufgezeigt: Neurowissenschaftler haben keine einheitliche Methode, um Bewusstsein zu definieren und zu messen. Ohne eine Arbeitsdefinition befürchten Ethiker, dass es unmöglich sein wird, ein Experiment zu stoppen, bevor es eine Grenze überschreitet.
Nature.com am 27. Oktober 2020
Die notwendigen ethischen Fragen wurden also zumindest in diesem weltberühmten Fachmagazin gestellt und diskutiert – allerdings ist man weit weg von einer Lösung. Die Gesetzgebung dürfte sich weltweit dieser Problematik gar nicht bewusst sein – dort ist es auch wichtiger, dass man als Internetnutzer nervige „Cookie-Banner“ anklickt, weil damit die Datensicherheit gewiss viel effektiver ist. In Nature erklärt man die Probleme in der Definition und der Messung von „Bewusstsein“ – und glaubt, dass es einfacher sein könnte, bewusste organische Strukturen zu schaffen, als sie zu definieren. Derzeitige klinische Tests auf Bewusstsein zielen auf Schmerzreaktionen ab – das könnte viel zu wenig sein und erlaubt auch Gedanken zum Thema, ob als gehirntot deklarierte Intensivpatienten auch wirklich immer so „tot“ sind, wie die behandelnden Ärzte glauben.
Der in Nature zitierte Wissenschaftler Muotri sieht kaum einen Unterschied zwischen der Arbeit an einem menschlichen Organoid oder einer Labormaus: „Wir arbeiten mit Tiermodellen, die bei Bewusstsein sind, und es gibt keine Probleme“, sagt er. „Wir müssen vorankommen und wenn sich herausstellt, dass sie bewusst werden, sehe ich das ehrlich gesagt nicht als große Sache an.“ (Zitat: Nature.com)
Für Verschwörungstheoretiker, die auch fix davon überzeugt sind, dass Gen-Spritzen künstliche Mikrochips und Funkstationen im Körper bilden können (was technisch zurzeit mit menschlicher Technik völlig unmöglich ist), bietet sich so ein völlig neues Betätigungsfeld. Auf den ersten Blick mag das lächerlich wirken, doch denkt man diese relativ neue Technik ein paar Jahre in die Zukunft, ist Gruseln vielleicht angebracht. Künstliche Neuronen zu spritzen wäre jedenfalls deutlich einfacher als technische Komponenten und ihre Energieversorgung – die Problemstellung wäre hier vielmehr, wie sie aktive Handlungen setzen sollen. Doch alleine die Fortschritte darin, aus einem realen neuronalen Netzwerk Daten auszulesen, sollte nachdenklich stimmen und zumindest Horror- und SciFi-Autoren beflügeln.