Der jüngste Sieg von Lai Ching-te bei den Präsidentschaftswahlen in Taiwan hat Peking verärgert. Der Vertreter der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) ist eine Stärkung der Unabhängigkeitsbestrebungen der Insel. Das „Ein China“-Prinzip wackelt damit weiter.
Taiwans politische Führung bleibt mit dem Sieg von Lai Ching-te einem Souveränitätskurs der Insel verpflichtet. Für die kommunistische Führung in Peking, welche die selbstverwaltete Insel im Rahmen der „Ein China“-Politik als abtrünniges Gebiet betrachtet, stellt dies einen Affront dar. Denn Peking will Taiwan nach dem Beispiel von Hongkong unter dem Motto „Ein Land, zwei Systeme“ unter Kontrolle bringen.
Dies wirft die Frage auf, ob die chinesische Führung nun ihre Bestrebungen diesbezüglich verstärken wird und auch militärische Mittel einsetzt. Zwar dürfte es in den kommenden Monaten noch nicht zu einer Invasion der Insel kommen, allerdings dürfte die sogenannte „hybride Kriegsführung“ verstärkt werden, wie Analysten anmerken. Dies jedoch gilt als Vorbereitung einer tatsächlichen militärischen Invasion durch die Volksbefreiungsarmee (PLA).
Angesichts dessen, dass Russlands verlustreiche und langwierige Militäroperation in der Ukraine ein abschreckendes Beispiel für Peking sein dürfte, wird sich die kommunistische Führung wohl für einen anderen militärischen Ansatz entscheiden. Anstelle des Einsatzes von großen Landungstruppen zur Stürmung der stark befestigten Insel wird es wohl eher zur Belagerung und Aushungerung Taiwans kommen. Wenn die chinesische Marine die Insel umzingelt und jeglichen Verkehr zu Luft und zur See blockiert, könnten die militärischen Verluste minimiert und eine Kapitulation der taiwanesischen Führung erreicht werden.
Allerdings weiß man in Peking auch, dass ein solcher Krieg die eigene internationale Reputation schädigen würde. Doch je stärker der Druck der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten auf China wird, desto weniger wird man sich in Peking um den eigenen Ruf scheren. Zwar bleibt das Invasionsrisiko selbst weiterhin relativ gering, dennoch wächst es infolge der aktuellen regional- und geopolitischen Entwicklungen weiter an. Insbesondere eine deutlichere Pro-Unabhängigkeits-Haltung der Führung in Taipeh könnte zu entsprechenden Reaktionen führen.