Schockierend: Babys als „Handelsware!“

Symbolbild: Baby; (C) Freepik

Babys als „Ware“, gehandelt wie Zitronen. Was sprichwörtlich dem perfiden Geist eines Irren zu entstammen scheint, ist längst Realität. Beispielsweise in der Ukraine, in China oder in Serbien. Zwischen 14.000 und 60.000 Euro können Säuglinge illegal adoptiert, also „verkauft“ und „gekauft“ werden. Eine unglaubliche Spurensuche in einem niederträchtigen Geschäft mit den Kleinsten der Kleinen …

Von Guido Grandt (gugramediaverlag)

Bereits im Mai 2020 titelt die Tagespost: „In der Ukraine werden Babys zur Abholware.“ In dem dazugehörigen Artikel heißt es: „Die Bilder haben an eine Babyfabrik erinnert: Dutzende Neugeborene, die in den vergangenen Monaten in der Ukraine von Leihmüttern geboren wurden, liegen in Reih und Glied in ihren Bettchen und schreien. Die Pflegerinnen warten darauf, dass die namenlosen Babys von ihren Bestelleltern aus dem Ausland abgeholt werden, was aber derzeit wegen der Corona-Beschränkungen nicht möglich ist. So liegen diese Babys – mehr als 100 sollen es inzwischen sein – abgenabelt von den Müttern, die sie geboren haben, ohne Beziehung zu den Eizellen- und Samenspendern, von denen sie genetisch abstammen, bezahlt von den ausländischen Bestelleltern, die nicht einreisen dürfen – quasi als Abholware bereit.“

Die international werbende „Wunschbabyklinik“ BioTexCom macht es möglich, dass diese Kinder quasi „zum Abholen“ bereitgestellt werden. Denn die bettelarme Ukraine ist eines der führenden Länder in puncto Leihmutterschaften.

Und weiter heißt es in der Tagespost: „Die Ukraine ist zudem bekannt für besonders unwürdige Angebote geschäftstüchtiger Privatkliniken: ‘Es gibt Pauschalangebote von bis zu 60.000 Euro, mit ‚100 Prozent-Baby-Garantie‘, was nichts anderes bedeutet, als dass sowohl Leihmutter als auch Eizellenspenderin – falls eine nötig ist – so lange ausgetauscht werden können, bis eine Schwangerschaft hält und ein Kind geboren wird.‘“ Dementsprechend werden Leihmütter auf eine Art Brutkasten depersonalisiert. Hauptsache, die Kasse klingelt.

Das Kind wird zur Ware, das gegen Geld gehandelt und erworben werden kann. Bestelleltern bezahlen, Agenturen verdienen und Leihmütter erhalten ihre Almosen. „Weder der Körper der Frau noch die Geburt eines Kindes können in Form von Produktion und Warenaustausch gehandelt werden, ohne dass dabei die Rechte des Einzelnen grob verletzt werden. Frauen sind keine Gebärmaschinen, Kinder keine Handelsware.“

Im August 2021, also gut ein halbes Jahr vor dem Ukraine-Russland-Konflikt, wurde in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein skrupelloser Baby-Handel-Ring zerschlagen. Die Täter verkauften über Leihmütter und Scheinehen Neugeborene nach Europa. Es gab eine regelrechte „Kundenlisten“ dafür. Zunächst köderte die Bande in verarmten asiatischen Regionen verzweifelte Frauen, sich für ein wenig Geld „befruchten“ zu lassen und einer Scheinehe mit einem Strohmann im Zielland zuzustimmen. Sobald das Baby geboren war, wurde im Namen der leiblichen Mutter und Schein-Ehefrau eine Vollmacht ausgestellt, damit der vermeintlich leibliche Vater und Ehemann das Kind ins Ausland holen durfte.

Der Preis für ein Baby wurde auf umgerechnet 60.000 Euro festgelegt. Alleine sechzehn Fälle dieses perfiden Babyhandels konnten die ukrainischen Behörden in Zusammenarbeit mit Interpol eindeutig nachweisen. Unter den fünf Hauptverdächtigen befand sich auch ein renommierter Gynäkologe. Die sichergestellten Dokumente belegten, dass die Babyhändler bereits rund 160 „Vorbestellungen“ aus ganz Europa besaßen.

China: „Transaktionen“ mit „Schnäppchen“-Babys

So perfide es sich anhört: Babys aus China sind viel „billiger!“ Gegenüber den Preisen in der Ukraine ein „Schnäppchen.“ Im September 2021 wurde der chinesische Schwarzmarkt für den Handel und Verkauf von Neugeborenen unter dem Deckmantel der Adoption öffentlich. So gab es eine sogenannte „WeChatGruppe“ für Babyhandel, in die eine mutmaßliche Käuferin eintrat. Allerdings erst nach längeren verdeckten Ermittlungen und über eine Mittelsperson. Die Gruppe bestand aus rund 100 Mitgliedern aus verschiedenen Städten und Provinzen Chinas. Aufgrund eines speziellen Wortkennungs-Systems konnte sich die Gruppe aus Sicherheitsgründen immer wieder auflösen und neu entstehen.

Zum Beispiel stand die Bezeichnung bao für Baby, der lateinische Buchstabe S für zur Adoption freigeben und L für Annahme der Adoption. Oder anders ausgedrückt für verkaufen und kaufen. Über verschlüsselte Chat-Nachrichten wurde dann mitgeteilt, ob ein Baby verfügbar ist. Der Preis: umgerechnet 14.000 Euro. Aber nur cash. Dabei wurde die Gesundheit des Kleinkindes mit einer »sauberen genetischen Vorgeschichte« sogar noch garantiert. Geburtsurkunden sollten bei diesen Geschäften nicht nötig sein, weil diese später »leicht beschafft« werden konnten. Falls doch gewünscht, wurden 500 Euro mehr verlangt. Eine solche musste allerdings zum Zeitpunkt der Entbindung ausgestellt werden, damit die leibliche Mutter die Identität des Käufers für die Registrierung des Babys verwenden konnte.

Und so liefen diese unfassbar unwürdigen und unmenschlichen „Deals“ ab: Eine schwangere Frau wird (normalerweise) morgens in den Kreißsaal des Krankenhauses eingeliefert. Nach der Entbindung wird das Neugeborene von den Krankenschwestern drei Tage lang betreut und auf Krankheiten und Missbildungen untersucht. Nachdem die Untersuchungen abgeschlossen sind, kann das Baby entlassen werden. Dabei übergeben die Krankenschwestern das Neugeborene direkt an den Mittelsmann/frau.

Nach der Bezahlung überreicht dieser das Baby zusammen mit einer von der leiblichen Mutter unterzeichneten „Einverständniserklärung zur Adoption“ an den Käufer – die „Transaktion“ ist abgeschlossen! Beziehungen zu den örtlichen Krankenhäusern, zu Ärzten und Krankenschwestern, machten es möglich, einen dementsprechend „reibungslosen Ablauf“ zu gewährleisten. Den Käufern wurde der Tipp gegeben, schon Monate zuvor eine Schwangerschaft vorzutäuschen, um im Umfeld nicht aufzufallen, wenn man plötzlich Mutter/Vater ist.

Serbien: Das perfide Geschäft mit scheinbar „toten“ Babys

Im Jahr 2001 kam der Babyhandel in den 1970- und 1980er-Jahren in Serbien ans Licht der Öffentlichkeit, der jedoch bis heute nicht ganz aufgeklärt ist. Daran beteiligten sich Ärzte, Hebammen und staatliche Beamte. Neugeborene wurden skrupellos aus Geburtskliniken geraubt, nachdem man den Müttern wegen angeblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen ihre Babys nicht zum Stillen gegeben hatte. Ein, zwei Tage darauf wurde ihnen mitgeteilt, ihre Sprösslinge seien gestorben.

Allerdings wurde ihnen nicht erlaubt, die eigenen Kinder zu bestatten. Etwas später wurden die Mütter ohne gesetzlich vorgeschriebene Dokumente aus dem Krankenhaus entlassen, während ihre quicklebendigen Babys an wohlhabende Menschen ohne Nachkommen und Ausländer verkauft wurden. Jahrzehntelang blühte das Geschäft mit den Kleinkindern in Bosnien-Herzegowina, vor allem in Tuzla und Umgebung, sowie in Mazedonien und vor allem in Serbien.

Erst 2001 gingen serbische Mütter mit ihrem schrecklichen Verdacht an die Öffentlichkeit. Dokumente in Krankenhäusern und Matrikelbüchern wiesen auf unglaubliche Verbrechen hin. Ferner wurden die Hinweise auf die Baby-Affäre durch Daten auf den Friedhöfen ergänzt, denn – wie bereits angedeutet – wurde kein einziges der angeblich verstorbenen Kinder dort offiziell bestattet.

Dementsprechend hofften die Mütter, dass ihre Kinder noch lebten. So nahmen sie den Kampf gegen Institutionen und verworrene Adoptionsvorschriften und Einzelpersonen auf.

In Serbien gibt es heute fünf Elternvereinigungen, die nach entführten Kindern suchen. Leider sind sie untereinander vielfach zerstritten und führen Auseinandersetzungen in den sozialen Netzwerken und den Medien, obwohl sie doch eigentlich dieselben Ziele verfolgen. Unter dem Druck des Europarats, an den sich die Eltern wandten, versuchte der Staat Serbien mehrfach, Gesetze mit Bezug auf den Babydiebstahl zu verabschieden. Die Regierung gründete sogar eine Kommission zur Aufklärung der Fälle verschwundener Babys.

Während einige Eltern die Initiative begrüßen und betonen, dass die Regierung Serbiens ehrlich an seiner Aufklärung interessiert sei, vertrauen andere weder dem Staat noch der neugebildeten Kommission. Vielmehr führen sie eigene Untersuchungen durch und arbeiten an der Internationalisierung der Baby-Affäre.

Im Oktober 2019 sprachen Journalisten des Magazins Kosmo mit einigen Eltern dieser gestohlenen Babys. Deren Berichte, die ich nachfolgend zur Dokumentation in Auszügen wiedergeben möchte, bestätigen, dass der Babyhandel tatsächlich im damaligen System „gut eingespielt“ war und man nicht an die „Ehrlichkeit“ der Regierung glauben konnte. So wurde in den Krankenhäusern behauptet, die dementsprechenden Archive seien Wasserschäden zum Opfer gefallen und deshalb vernichtet.

Ana Pejić aus Ruma, Sekretärin der Vereinigung der Eltern der verschwundenen Babys der Vojvodina, glaubt, dass die Täter nicht erwartet hätten, dass sie nach so vielen Jahren beginnen würden, nach den geraubten Kindern zu suchen. Ebenso wenig, dass ihr Verbrechen an die Öffentlichkeit kommen würde. „Leider ist unser Problem, dass der Staat die Baby-Affäre nicht aufklären will.“ Die Mütter der angeblich „verstorbenen“ Babys würden mit den Worten getröstet: „Du bist jung, du wirst weitere Kinder bekommen.“

Tatsache aber sei, dass fast allen Müttern, die nach Dokumenten fragten, gesagt wurde, dass die Archive Wasserschäden hätten, was eine Lüge sei und der Beweis dafür, dass die Entführungen der Babys von einem einzigen Zentrum aus betrieben wurden. „Selbst die Krankenhäuser, die ihre Dokumente im Dachgeschoss lagern, haben behauptet, dass Überflutungen alles zerstört hätten, denn bei ihnen seien Dachziegel eingestürzt“, so Ana Pejić: „Alle haben die Order erhalten, dieselbe Geschichte zu erzählen. Es ist klar, dass die Dokumente versteckt und zurückgehalten wurden, genau wie das auch heute der Fall ist. Aber auch aufgrund der wenigen Dokumente konnte man feststellen, wie dreist sie sind und wie sehr diese Papiere manipuliert wurden. In die Auszüge wurden falsche Geburtsdaten, falsche Geburtszeiten, falsche Gewichte der Babys eingetragen. Sie hatten nicht erwartet, dass jemand das eines Tages suchen und mit den wahren Daten vergleichen würde.“

Und Ana Pejić weiter: „Diese Art von Verbrechen muss als Menschenhandel behandelt werden. Um diesen Betrug nachzuweisen, haben wir alle Dokumente auch für die Kinder herausgesucht, die gesund und munter sind und bei ihren Eltern aufgewachsen sind. Hier gab es nirgendwo solche Manipulationen, sondern es gibt sogar Angaben, wie viele Einmalhandschuhe pro Kind gebraucht wurden. Die Dokumentation für diese Kinder ist absolut komplett, nichts wurde jemals vom Wasser zerstört. Bei unserer Vereinigung melden sich viele Insider: Hebammen, Taxifahrer, Nachbarn (…) Ihre Aussagen sind für uns sehr wertvoll. Es melden sich auch junge Leute, denen gesagt wurde, sie seien adoptiert, und die nach ihren leiblichen Eltern suchen. Dieser Weg ist leichter als die Suche der Mütter nach ihren geraubten Kindern.“

Ein anderes Beispiel der Manipulation: In offiziellen Papieren stand etwa, ein „Junge“, der kurz zuvor von einer Mutter geboren worden wäre, sei gestorben. Dabei brachte die betreffende Mutter ein „Mädchen“ zur Welt!

Der Europarat forderte Serbien auf, ein DNA-Register einzuführen. Dennoch fürchten die Mütter, dass dies nicht viel nützen würde, weil der Diebstahl ihrer Babys unter Veränderung des Familienstands vonstattenging.

Eine dermaßen „beraubte“ Mutter erzählt: „Mein Fall passierte am 24. August 1988 in Sremska Mitrovica, als ich mein zweites Kind bekommen hatte. Es war eine normale Schwangerschaft, während der ich regelmäßig zur Kontrolle ging und auf alle Kleinigkeiten achtgab. Ich hatte ein bisschen Angst und bin darum auf Anraten meines Arztes in eine Geburtsklinik gegangen, obwohl ich noch keine Wehen hatte. Drei Tage lag ich in einem unangenehmen Kreißsaal, belästigt von ständigen Untersuchungen, und am letzten Tag platzte die Fruchtblase.

Obwohl mir der Arzt gesagt hatte, wir würden auf die natürlichen Wehen warten, wurde mir am Nachmittag mitgeteilt, dass man einen Kaiserschnitt machen würde, denn angeblich war der Herzschlag des Babys nur schwach zu hören, und ich glaubte ihm. Ich wachte im Schockraum auf, wo mir der Arzt sagte, dass ich ein Mädchen mit 2.350 Gramm bekommen hätte, das im Inkubator sei, aber es sei alles in Ordnung mit ihr. Das war ein Mittwoch, und man sagte mir, am Freitag dürfte ich mein Baby sehen, wenn ich mich erholt hätte.“

Die Mutter weiter: „Als endlich Freitag war, kam der Doktor in mein Zimmer und sagte, dass mein Baby leider gestorben sei. Ich ging mit einem Entlassungsbrief nach Hause, in dem stand, dass ich eine Geburt gehabt hatte und dass das Baby gestorben sei. Für das Kind bekam ich keinerlei Dokumente, aber ich dachte, dass sei in Ordnung so, und fragte deswegen nicht nach (…) Der Standesbeamte sagte mir zuerst, dass mein Kind nicht in die Bücher eingetragen sei, und ich dachte, dass es auch gar nicht eingetragen sein könnte, da es ja gestorben sei. Dann wurde wenig später doch ein Eintrag gefunden, dass mir ein männliches Kind gestorben sei, aber ich hatte ja ein Mädchen geboren. Das war für mich ein sicheres Signal, dass ich beginnen sollte nachzuforschen.“

Und weiter: „Mein Arzt hat schriftlich eine Obduktion beantragt, das Kind wurde auf die Pathologie gebracht, aber dort verliert sich seine Spur. Angeblich war das ein Samstag, als die Pathologie nicht arbeitete, aber das ist eine Lüge, es war Freitag. Wir alle Mütter angeblich verstorbener Babys in Sremska Mitrovica haben denselben Auftrag an den Friedhof unter derselben Nummer 17-25/25 erhalten, ein verstorbenes Baby aus dem Krankenhaus zum Friedhof zu überführen und denselben Auftrag an eine Privatfirma, einen Sarg und die Ausstattung zu liefern. Ich habe die Bücher der Bestatteten selber durchgesehen, aber mein Kind scheint darin nicht auf, darüber habe ich auch eine schriftliche Bestätigung (…) Die Kinder, die nach ihren Behauptungen über Nacht gestorben sind, wurden von bestimmten Ärzten geraubt, die unter Druck standen, mit der Polizei, der Armee und dem Staat zusammenzuarbeiten. Sie mussten das machen, denn das System war so und sie mussten gehorchen.“

Von einem anderen Fall berichtet Radiša Pavlović, Mitglied der staatlichen Kommission für verschwundene Babys und Vorsitzender der Vereinigung für Wahrheit und Gerechtigkeit für die Babys: „Meine Frau Mirjana und ich waren überglücklich, als wir erfuhren, dass sie Zwillinge bekommen würde. Natürlich hatten wir Angst, als sie vorzeitig Geburtswehen bekam, aber wir hofften das Beste, als sie am 13. November 1988 um 15.10 Uhr in Kragujevac den ersten und fünf Minuten später den zweiten Sohn zur Welt brachte (…) Die Buben wurden wegen angeblicher Atemwegsprobleme in die Kinderabteilung verlegt, und als ich kam, um sie zu sehen, wurde mir das nicht erlaubt, sodass ich nach Hause nach Gruža zurückkehrte. Wenig später erhielt ich ein Telegramm über den Tod des einen Babys und am folgenden Tag teilte mir ein anderes Telegramm mit, dass auch mein zweiter Sohn gestorben sei.“

Radiša Pavlović erzählt weiter Unglaubliches: „Nach Eingang der Telegramme ging ich in die Pathologie, um die Körper der Kinder abzuholen. Dort überzeugte mich der Pathologe, dass ich sie nicht abholen müsse, aber als ich insistierte, sagte er, dass noch keine Obduktion erfolgt sei und dass ich ins Standesamt gehen müsse, um die Geburt und den Tod der Kinder zu melden. Als ich nach einer halben Stunde zurückkehrte, brachten sie mich in einen Raum, in dem tote Babys in einem Kühlschrank lagen. In einer Lade lagen zwei, von denen mir gesagt wurde, sie seien meine Babys. Ich war jung und habe den Ärzten geglaubt, daher habe ich die Kinder ohne offizielle Identifikation mit nach Hause genommen. Unseren Sitten entsprechend haben wir den Sarg geöffnet und darin ein dunkelhaariges und ein blondes Baby gefunden. Vom Schmerz gebeugt haben wir sie begraben.“

Doch als die Baby-Affäre ans Licht kommt, erhärten sich die Zweifel der Pavlović. Ganze drei Jahre vergehen, bis sie im Klinikzentrum endlich Einblick in die medizinischen Papiere erhalten. Die Dokumente von der Kinderabteilung jedoch sollen durch einen Wassereinbruch vernichtet worden sein. Als der empörte Vater damit droht, vor der Klinik einen Protest zu organisieren, werden die Papiere innerhalb von nur acht Minuten auf wundersame Weise gefunden. Es stellt sich heraus, dass die Angaben nicht stimmen. Auch in den Todesbestätigungen der Kinder gibt es keine Angaben über den Arzt, der den Tod festgestellt hat. Ferner steht in den Auszügen aus dem Matrikelbuch der Geborenen, dass ein Kind im November und das andere im Januar 1988 geboren wurde, obwohl es Zwillinge waren!

Radiša Pavlović: „Aufgrund all dessen rief ich täglich einen der Gynäkologen an, der bei der Geburt dabei war, und fragte ihn, wo meine Kinder seien. Nachdem ich eines Tages eine telefonische Todesdrohung erhielt, habe ich Strafanzeige gegen die Person erstattet, die mir gedroht hatte, aber auch gegen den Gynäkologen in Kragujevac und eine unbekannte Person, die an der Entführung meiner Kinder beteiligt war. Ich forderte auch, dass offizielle Ermittlungen aufgenommen würden und dass ich die Erlaubnis bekäme, das Grab zu öffnen und eine DNA-Probe der Leichen zu nehmen, die mir übergeben wurden.“

Pavlović will nicht aufgeben, bis er die Wahrheit über seine Kinder kennt. Auch weitere Drohungen gegen ihn und seine Familie halten ihn nicht davon ab, genauso wenig wie die Versuche, Verkehrsunfälle zu inszenieren. Inzwischen erhält er Polizeischutz. „Ich weiß“, sagt er, „dass die Täter abtrünnige Individuen des Staatssicherheitsdienstes und anderer Institutionen sind. Die Regierungskommission, die auf Initiative der Vereinigung eingerichtet wurde, der ich vorstehe, hat die Kapazitäten, um die Baby-Affäre abschließend aufzuklären, aber das bedeutet, dass wir auch eine Antwort auf die Frage haben wollen, ob es angebliche Verträge über den Export serbischer Babys gab oder Manipulationen stattfanden. Der Staat hat sich endlich auf den Standpunkt gestellt, dass er all das untersuchen wird und dass es in diesen Fällen keine Verjährung gibt.“

Kosmo lässt sogar ein derart „gestohlenes“ Baby zu Wort kommen. Der Junge von damals ist nun Anfang vierzig. Mladjan Radivojević lebt mit seiner Frau Milica und drei Kindern im Dorf Donji Adrovac in der Nähe von Aleksinac. „Ich bin in Kruševac geboren und war in der sechsten Klasse, als mir Kinder in der Schule sagten, dass ich adoptiert sei, was meine Mutter Verica Radivojević bestätigte. Sie war 14 Jahre lang erfolglos gegen Sterilität behandelt worden und hatte sich dann für ein Adoptionsverfahren angemeldet. Da ein enger Verwandter meines Vaters bzw. Adoptivvaters bei der Staatssicherheit arbeitete, mussten meine Eltern nicht lange warten.

Beamte des Zentrums für Sozialarbeit Aleksinac brachten mich, eingehüllt in eine Krankenhausdecke, schon bald in ihr Haus und sagten, dass sie mich auch umtauschen könnten, wenn ich ihnen nicht gefiele. Ich war drei Monate alt und hatte aufgrund des ständigen Liegens überhaupt keine Haare am Kopf. Meinen Adoptiveltern sagten sie, dass meine leibliche Mutter sehr jung gewesen sei und dass sie sofort nach der Geburt aus dem Krankenhaus geflüchtet sei. Später war ich jahrelang wütend auf sie und fragte mich ständig, wie sie das tun konnte.“

Doch eines Tages, als Mladjan Radivojević selbst Vater ist, will er auf Vorschlag seiner Frau seine biologischen Eltern suchen und kennenlernen, damit es nicht passieren konnte, dass seine eigenen Kinder aus Unkenntnis einen Blutsverwandten heirateten.

„Und da beginnt die schreckliche Geschichte“, so Mladjan Radivojević. „Als wir die angeforderten Dokumente nicht bekommen konnten, wandten wir uns an Radiša Pavlović (…) Erst auf seine Intervention hin erhielt ich einen Auszug aus dem Matrikelbuch der Geborenen und machte eine schreckliche Entdeckung. Schon auf den ersten Blick war klar, dass das Dokument gefälscht war.“ So stimmen die Angaben über die Mutter nicht überein, Angaben über den Familienstand sowie das Vorhandensein eines Vaters waren gelöscht. Auf keinem einzigen Dokument existiert die Unterschrift der leiblichen Mutter. Die Angaben des Standesbeamten in das Matrikelbuch der Geborenen stimmen mit den Auszügen des Krankenhauses nicht überein.

Als sich Radivojević auf die Suche nach seiner Mutter macht, stellt sich heraus, dass weder sie noch sein biologischer Vater und auch die Ehe nirgendwo eingetragen sind.

„Die weiteren Nachforschungen führten uns in das Zentrum für Sozialarbeit Aleksinac, wo die Direktorin nach vielen Ausflüchten zugab, dass es für mich keine Akte gab. Es fehlen noch 28 weitere Akten über Adoptionen im Zeitraum von 1975 bis 1985.“

Marko Markić Ivić, Inhaber eines Restaurants in Deutschland, gerät zufällig in die „Baby-Handel-Geschichte“, wie er schildert. Eines Tages im Jahr 1988 fährt er seinem Stiefvater nach Bugojno. „Aber statt seinen Geschäften nachzugehen, machte er mich mit einem Mann bekannt, der sich als Dragan, von Beruf Rechtsanwalt, vorstellte. Er erzählte mir, dass er ein Kind adoptiert hätte und dass ihn das glücklich mache, und schlug mir dann vor, mich in Belgrad mit Leuten zusammenzubringen, die auch mir helfen könnten. Er betonte sofort, dass ich für ein Baby 10.000 Deutsche Mark zahlen müsse und für Zwillinge 15.000, was ich akzeptierte, weil ich dachte, das Geld käme der Waisenfürsorge zugute. Dragan versprach ich aus Dankbarkeit eintausend Mark für ein Kind und zweitausend für Zwillinge.“

Aber es kommt anders. Ivić geht davon aus, dass der legale Adoptionsprozess drei Jahre lang dauert. „Der erste Zweifel wurde in mir geweckt, als ich in ein Krankenhaus gebracht wurde, denn ich nahm an, dass man Kinder aus einem Waisenheim adoptieren würde. Der Arzt, den mir Dragan vorstellte, sagte sofort, dass das Geld, das ich zahlen würde, dem Waisenheim zugutekäme, obwohl ich den Verdacht hatte, dass sich jemand auch privat um einige Tausender aus der Summe bereichern würde. Das ist Teil unserer Mentalität. Der Arzt behauptete, ich würde ungewollte Babys von Minderjährigen und Studentinnen aus dem Landesinneren sehen, und beklagte, dass diese normalerweise in Heimen untergebracht würden und, wer weiß wie lange, auf Eltern warten müssten.“

Interessant an dieser Stelle ist festzuhalten, dass es auch Minderjährige und Studentinnen gibt, die ungewollte Kinder zur Welt bringen, die „weiterverkauft“ werden können. Entweder ohne Registration oder mit falschen Angaben.

Marko Markić Ivić weiter: „Ich fragte, wie die Kinder in die Papiere eingetragen würden, und er antwortete, ohne nachzudenken, dass man überall schreiben würde, dass meine Frau sie geboren habe. Er bot mir drei Optionen an: das Baby sofort zu übernehmen, mit meiner Frau wiederzukommen und das Kind dann mitzunehmen oder der Familie zu sagen, dass sie schwanger sei, und in neun Monaten wiederzukommen. Er garantierte mir, dass auf der Geburtsurkunde stehen würde, dass meine Frau und ich die leiblichen Eltern des Kindes seien.“ Und: „Nach diesem Gespräch, während dessen mir große Zweifel kamen, brachte mir die Schwester einen Kittel und der Arzt und ich gingen auf die Geburtenstation. Während wir in den ersten oder zweiten Stock gingen (…) sagte mir der Arzt, ich sollte die Hand auf das Bett einer Frau legen, die meiner Frau etwas ähnelte. In einem Zimmer sah ich ein Mädchen, dass meiner Ana wirklich ähnlich sah, und ich legt die Hand auf ihr Bett. Anschließend führte er mich in das Zimmer mit den Babys.“

Weiter: „Ich blieb bei einem Baby stehen, seine langen Wimpern hatten mich angezogen. Sie war ein Engel, das sagte ich ihm auch. Er antwortete, dass das genau das Baby der Gebärenden war, auf deren Bett ich meine Hand gelegt hatte. Und dann wiederholte er dreimal ‚Ivić wähle!‘ Da blieb ich stehen. Wie sollte ich ein Baby wählen? Ich hatte gesehen, dass das keine Geburtenstation nur für Studentinnen war, sondern dass hier auch ältere Frauen waren. Ein Schauer durchlief mich, ich fühlte einen Druck in der Brust und mir blieb der Atem weg, konfrontiert mit dem Verdacht, dass da etwas nicht stimmte. Daher sagte ich dem Arzt, ich müsse erst mit meiner Frau reden.“

Letztlich jedoch nehmen Marko Markić Ivić und seine Frau Abstand von dem illegalen „Babykauf“ und gehen an die Öffentlichkeit. „Über dieses Ereignis habe ich eine Erklärung geschrieben, sie beim Notar in Belgrad beglaubigen lassen und sie an die Staatsanwaltschaft übergeben. Bisher hat mich noch niemand eingeladen, eine Aussage zu machen. Wenn sie mich vorladen, werde ich natürlich hingehen und alles in dem Wunsch erzählen, dass mein Fall zur Aufklärung der Affäre der geraubten Babys beitragen kann.“

Das Magazin Kosmo berichtet im Oktober 2019 weiter, dass von 2002 bis zu jenem Jahr bei serbischen Staatsanwaltschaften mehr als 900 Anzeigen aufgegeben worden seien und 165 Vorermittlungen zum eventuellen „Verschwinden“ von Babys laufen würden. Der Verdacht bestehe, dass mehrere tausend Babys aus Geburtskliniken in Serbien verschwunden seien, sprich „geraubt“ und dann verkauft wurden.

Ähnliche Vorkommnisse von Babyhandel werden beispielsweise auch von den Philippinen, Thailand, Nigeria und Indien berichtet. Sie alle an dieser Stelle aufzuzählen, würde jedoch den Umfang dieses Artikels sprengen. Allerdings gleichen allesamt einem: dem menschenunwürdigen, perfiden Geschäft mit der „Handelsware“ Baby!

Bücher von Guido Grandt finden Sie auf: gugramediaverlag.wordpress.com

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