Mitten in der Migrationskrise will Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Familiennachzug erheblich erleichtern – Migranten ohne Asylberechtigung sollen mit asylberechtigten Ausländern gleichgestellt werden. Das berichteten verschiedene Medien auf Basis eines Referentenentwurfs. Nach einer Welle der Empörung wurde der Vorstoß nun eilig dementiert. Zuvor hatte Faeser ein Schnell-Wahlrecht für Asylanten gefordert und war nach scharfer Kritik ebenfalls zurückgerudert. Alles nur peinliche Fehler – oder doch ein gezieltes Austesten?
Europa wird förmlich mit Migranten geflutet. Weder eine europäische noch eine deutsche Lösung dieser sich weiter zuspitzenden Krise ist in Sicht. In Deutschland sind die Kommunen völlig überlastet – es fehlt an Geld und Unterbringungsmöglichkeiten. Aber auch das Gesundheitssystem stößt an seine Grenzen, das Angebot an Kita- und Schulplätzen reicht nicht aus und der Wohnungsmarkt leer gefegt. In dieser angespannten Situation hat die Innenministerin einen Referentenentwurf zum „Familien- und Arbeitsmarktintegrationsgesetz“ (FAMIntG) vorgelegt, wie die „Welt am Sonntag“ berichtete. Darin heißt es, die Regierung „möchte einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland“ gerecht werde. Dazu sollten Menschen „schneller in die Gesellschaft integriert“ werden.
Bis 2016 wurde bei subsidiär Schutzberechtigten der Familiennachzug dem von anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt. Diese Regelung soll laut Entwurf künftig wieder gelten, wobei auch eine Begrenzung der Personenzahl entfallen soll. Subsidiär Schutzberechtigte sind Personen, deren Asylantrag zwar abgelehnt wurde, aber deren Leben oder Gesundheit im Herkunftsland „bedroht“ wird.
Auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind deutliche Erleichterungen beim Familiennachzug vorgesehen. So heißt es in dem Entwurf, dass „erstmals der Geschwisternachzug, das heißt die gemeinsame Einreise von Eltern mit Kindern zum bereits in Deutschland lebenden unbegleiteten minderjährigen Schutzberechtigten, geregelt und damit wesentlich erleichtert werden“ soll. Bisher war dieser Nachzug nur bei in Deutschland bereits erfolgter Schutzzuerkennung eines Elternteils möglich. Jetzt wird vorgeschlagen, dass der Geschwisternachzug „künftig gleichzeitig mit dem Elternnachzug zum unbegleiteten Minderjährigen erfolgen“ soll.
Außerdem sollen Asylbewerber und Geduldete demnach einfacher Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. „Wer bereits vor dem 7. Dezember 2021 nach Deutschland eingereist ist und sich geduldet oder mit Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält, wird arbeiten dürfen“, heißt es. Die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit soll dabei unter anderem eine Voraussetzung sein, während die Ausländerbehörden nicht mehr zustimmen müssen. Keine Arbeitserlaubnis sollen demnach Personen aus sicheren Herkunftsstaaten, Personen, die die Identitätsfeststellung „hartnäckig“ verhinderten sowie Personen, deren Asylantrag als „offensichtlich unzulässig oder unbegründet“ abgelehnt wurde, erhalten. Und: Wenn es Behörden nicht gelingt, die Identitäten festzustellen, soll als „letztes Mittel“ künftig möglich sein, dass Ausländer Angaben zu ihrer Identität und Staatsangehörigkeit durch eine Versicherung an Eides statt abgeben können.
Einige Verschärfungen sind geplant, die kaum nennenswert erscheinen. So sollen Verstöße gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote künftig eigene Haftgründe im Rahmen der Sicherungshaft werden. Außerdem soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage verlängert werden. Des Weiteren sei geplant, für bessere Abschiebungserfolge das Betreten von Flüchtlingsunterkünften zu erleichtern.
Scharfe Kritik – promptes Dementieren
Dieser Gesetzesentwurf befand sich Medienberichten zufolge noch nicht in einer Ressortabstimmung. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP waren Erleichterungen für den Familiennachzug vereinbart worden. Nach massiver Kritik wurden die Pläne für die Erleichterung des Familiennachzugs für Migranten vom Bundesinnenministerium nun sofort dementiert: Auf Anfrage erklärte ein Sprecher, dass es sich bei dem besagten Gesetzentwurf angeblich um einen ein Jahr alten Arbeitsentwurf aus der Migrationsabteilung des Ministeriums handele, der derzeit nicht weiterverfolgt werde. „Erleichterungen beim Familiennachzug haben aktuell angesichts der angespannten Unterbringungssituation in den Kommunen keine Priorität“, behauptete man.
Man muss sich wundern: Gerade war Faeser ein „Fehler“ bei ihrem Hessen-Wahlkampf – sie möchte hessische Ministerpräsidentin werden – unterlaufen. Die Hessen-SPD strebt eine Änderung des Ausländer-Wahlrechts an – demnach sollten auch Nicht-EU-Ausländer bei Kommunalwahlen in Deutschland wählen dürfen, wenn sie länger als sechs Monate (!) in hessischen Kommunen leben. Die Aufenthaltsdauer wurde dann nach scharfer Kritik zügig auf sechs Jahre korrigiert und behauptet, es habe sich um einen „redaktionellen Fehler“ im Wahlprogramm gehandelt. Waren es wirklich Fehler oder ist man nur schnell zurückgerudert? Man erinnere sich an das folgende Zitat von Jean-Claude Juncker:
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter.“
Jean-Claude Juncker, 1999
Ist das Geschrei womöglich zu groß geworden, als dass man einfach weitermachen könnte?