Spanien im Tiefflug: Während die Regierung Sánchez von Korruption erschüttert wird, plant sie parallel ein umfassendes „Staatsgeheimnisschutzgesetz“ – offenbar nicht zum Schutz sensibler Informationen, sondern zum Schutz ihrer eigenen Macht. Ein „Persilschein“ für Machtmissbrauch.
Von Guido Grandt
Ein brisanter Polizeibericht, der Anfang Juni 2025 publik wurde, hat die politische Landschaft Spaniens in ihren Grundfesten erschüttert. Viele Beobachter sprechen bereits von der schwersten Krise der bisherigen Amtszeit von Premierminister Pedro Sánchez.
Im Zentrum der explosiven Enthüllungen: ein weitverzweigtes, als „mafiaähnlich“ beschriebenes Korruptionsnetzwerk mit mutmaßlichen Verbindungen bis in die höchsten Ränge der regierenden Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE).
Der Skandal hat bereits zu Rücktritten mehrerer Vertrauter des Premierministers geführt und lässt die Sánchez-Regierung taumeln.
Umstrittenes Gesetz zum „Schutz von Staatsgeheimnissen“
Anstatt jedoch Transparenz zu schaffen, reagierte Sánchez’ Kabinett vor Kurzem mit einem politischen Manöver, das Kritiker als Versuch der Selbstabschottung werten: In einer angespannten Sitzung des Ministerrats beschloss die Regierung den ersten Schritt zur Einführung eines neuen Gesetzes zum „Schutz von Staatsgeheimnissen“ – just in dem Moment, in dem der Druck aus Justiz und Öffentlichkeit wächst.
Das geplante Gesetz, ein Nachfolger des Geheimhaltungsgesetzes aus der Franco-Ära, sieht vor, dass künftig allein die Exekutive – sprich: der Regierungschef und sein Apparat – entscheiden darf, welche Informationen als „geheim“ eingestuft werden.
Damit würden Sánchez & Co. faktisch in die Lage versetzt, unbequeme Ermittlungen, interne Dokumente oder politisch brisante Zusammenhänge unter dem Mantel der Geheimhaltung zu verbergen.
Ein gefährlicher Präzedenzfall für den Missbrauch staatlicher Macht zur Selbstprotektion. Vielleicht sogar als „Blaupause“ für andere Regierungen auf EU-Ebene?
Spanien rumort
In Madrid jedenfalls schlägt der Vorstoß hohe Wellen: Kritiker warnen, das neue Gesetz könnte Premier Sánchez und sein Umfeld gezielt vor juristischer Aufarbeitung und öffentlicher Rechenschaft schützen – insbesondere angesichts der laufenden Ermittlungen im Korruptionsskandal, deren nächste Enthüllungen demnächst erwartet werden.
Auch innerhalb der eigenen Regierung rumort es. Laut übereinstimmenden Medienberichten zeigte sich Verteidigungsministerin Margarita Robles unzufrieden hinsichtlich des Gesetzesentwurfs – ein beispielloser Affront gegen den Regierungschef.
Bislang unterstand die Verantwortung für die Einstufung und Verwaltung von Staatsgeheimnissen dem nationalen Geheimdienst CNI, der wiederum Robles’ Verteidigungsministerium zugeordnet ist.
Nach dem neuen Gesetz soll diese Hoheit jedoch dem Präsidialamt und dem Justizministerium übergehen – also in den direkten Einflussbereich von Pedro Sánchez selbst.
Die „dominikanische Verbindung“
Das geplante Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen erhält vor diesem Hintergrund eine brisante zusätzliche Dimension: Es könnte laufende Ermittlungen direkt behindern – insbesondere jene, die sich auf auffällige Flugbewegungen von Premierminister Pedro Sánchez konzentrieren.
Diesbezüglich stellt sich die Frage: Dienten diese Reisen ausschließlich offiziellen Zwecken oder waren sie Teil eines weit verzweigten Korruptionssystems?
Eine Recherche der konservativen Tageszeitung El Mundo offenbart Erstaunliches: In nur fünf Jahren absolvierte Sánchez insgesamt 582 Inlands- und Auslandsflüge auf Staatskosten – mehr als jeder seiner Vorgänger. Besonders ins Auge sticht ein Reiseziel, das auffallend oft angesteuert wurde: 63 Flüge führten in die Dominikanische Republik – wie die Plattform The Objective als erste berichtete.
Ein Zufall? Kaum. Denn die Dominikanische Republik spielt eine Schlüsselrolle im expandierenden Korruptionsskandal rund um die regierende PSOE – insbesondere im Umfeld des früheren Verkehrsministers José Luis Ábalos.
„Mafiaähnliches“ Netzwerk
Die Ermittlungen der spanischen Antikorruptionsbehörde zeichnen das Bild eines mafiaähnlichen Netzwerks, das sich auf Bestechung, manipulierte Auftragsvergaben und die systematische Umleitung öffentlicher Mittel spezialisiert haben soll.
Dabei rückt ein Name besonders in den Fokus: Víctor de Aldama, ein Geschäftsmann, der als Vermittler zwischen Unternehmen und Regierungsstellen fungiert haben soll. Seine Firmenverflechtungen reichen tief in die Dominikanische Republik – und genau dort vermuten die Ermittler den Knotenpunkt für Geldwäsche und Rückführungen von Bestechungsgeldern nach Spanien.
Bargeldkoffer und politische Nähe
Im April 2025 sagten mehrere Zeugen vor dem Obersten Gerichtshof Spaniens aus, dass in der Dominikanischen Republik größere Bargeldbeträge an Koldo García übergeben worden seien. Bei jenem handelt es sich um den ehemaligen Berater und Vertrauten von Ábalos, der mittlerweile als einer der Hauptakteure des mutmaßlichen Korruptionsnetzwerks gilt.
Laut Zeugenaussagen soll Garcías Bruder die Gelder entgegengenommen haben – direkt nach Anweisung Aldamas.
Es ist dieser Kontext, der das neue Geheimhaltungsgesetz in ein neues Licht rückt. Denn sollte es in der geplanten Form verabschiedet werden, würde die Kontrolle über sicherheitsrelevante Informationen und „offizielle Geheimnisse“ direkt ins Präsidialamt und das Justizministerium wandern, also dorthin, wo politische Interessen und strafrechtliche Risiken unmittelbar aufeinandertreffen.
Ein Schutzgesetz für die Regierung – nicht für den Staat?
Die Angst vieler Beobachter: Dass das neue Gesetz nicht dem Schutz des Staates dient, sondern dem Schutz derjenigen, die den Staat missbrauchen. Informationen über Reisen, Deals, Kontakte und dubiose Geldflüsse könnten dadurch dementsprechend nachträglich als „geheim“ eingestuft und so der juristischen oder öffentlichen Aufarbeitung dauerhaft entzogen werden.
Für einen Premier, der inmitten eines sich ausweitenden Korruptionsskandals steht – dessen Tentakel bis in höchste Regierungskreise reichen – wäre das Gesetz nicht weniger als ein politischer Schutzschild, ein „Persilschein“, der Strafverfolgung erschwert und Transparenz unterbindet.
Kritiker sprechen deshalb längst nicht mehr von einer „legislativen Reform“. Vielmehr von einem möglichen Instrument zur systematischen Vertuschung von Machtmissbrauch. Und während sich Sánchez öffentlich betont gelassen zeigt, wächst in Regierung, Medien und Öffentlichkeit die Sorge:, dass die Dominikanische Republik nicht nur ein Ferienparadies ist, sondern der Schlüssel zu einer tiefen Staatsaffäre.
Öffentliche Rechenschaftspflicht – oder gezielte Abschottung der Macht?
Im vergangenen Jahr versuchte Verteidigungsministerin Margarita Robles die auffällige Zahl an Flügen ihres Regierungschefs in die Dominikanische Republik noch herunterzuspielen: Die Karibikinsel sei – so ihre Erklärung auf eine parlamentarische Anfrage der konservativen Partido Popular (PP) – schlicht ein „wichtiger technischer Zwischenstopp“ gewesen. Es habe sich um 62 Flüge, nicht 63 gehandelt, wie betont wurde.
Doch diese Erklärung reicht längst nicht mehr aus. Denn bis heute weigert sich die Regierung, die vollständigen Passagierlisten dieser Flüge zu veröffentlichen.
Der Verdacht, dass sich unter den Mitreisenden auch Korruptionsbeschuldigte oder mit dem Ábalos-Netzwerk verbundene Funktionäre befanden, steht hartnäckig im Raum.
Transparenz? Fehlanzeige. Nun jedoch zeigt sich ein Riss in der bis dato fast hermetisch abgeriegelten Informationsmauer: Der spanische Transparenzrat (Consejo de Transparencia y Buen Gobierno) traf vor Kurzem erst eine rechtsverbindliche Entscheidung. Diese geht auf einen Antrag der Plattform El Debate zurück und verpflichtet die Regierung, detaillierte Informationen zu 122 Flügen aus den Jahren 2023 und 2024 offenzulegen.
Konkret:
- die Ziele der Flüge,
- die genauen Daten,
- die Reisezwecke
- und vor allem: die vollständigen Passagierlisten.
In dem Beschluss wird betont, dass der Zugang zu diesen Informationen „von großer Bedeutung“ sei, da er „klar und direkt zur Kontrolle öffentlicher Aktivitäten, zur Ressourcenverwendung und zur Rechenschaftspflicht der Verwaltung“ beitrage.
Doch genau dieser öffentliche Kontrollmechanismus könnte durch das geplante neue Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen ausgehebelt werden.
„Selbstamnestie“ per Gesetz
Sobald das Gesetz in Kraft tritt – möglicherweise schon direkt nach der Sommerpause – wäre es der Regierung möglich, solche sensiblen Informationen kurzerhand als „geheim“ einzustufen. Eine Überprüfung durch Presse, Justiz oder Transparenzbehörden wäre damit praktisch ausgeschlossen.
Noch einmal, weil es so wichtig ist und Signalwirkung haben könnte: Kritiker sehen darin nicht weniger als den Versuch einer „Selbstamnestie“ per Gesetz: ein juristisches Bollwerk, das die Exekutive dauerhaft vor Kontrolle, Aufklärung und strafrechtlichen Konsequenzen schützen könnte – und das mitten in einer der schwersten politischen Korruptionskrisen der jüngeren spanischen Geschichte.
Während Premier Sánchez weiterhin freundlich in die Kameras lächelt, steigen in Madrid die politischen Temperaturen.
Der Eindruck, dass hier nicht nur ein Korruptionsskandal vertuscht, sondern systematisch juristische Immunität organisiert werden soll, wird immer drängender.
Guido Grandt (geb. 1963) ist investigativer Journalist, Publizist, TV-Redakteur und freier Produzent. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf Recherchen zu organisierter Kriminalität, Geheimgesellschaften sowie auf brisanten Themen aus Politik, Wirtschaft, Finanzen, Militär und Sicherheit. Darüber hinaus widmet er sich der Aufdeckung verborgener oder tabuisierter Hintergründe zeitgeschichtlicher Ereignisse. Guido Grandt veröffentlichte bisher über 40 Sachbücher und verfasste rund 6.000 Artikel. Sein kostenloser Blog: https://www.guidograndt.de/
Quellen:
- https://www.euractiv.de/section/politics/news/regierungskrise-in-madrid-sanchez-unter-druck/?amp;amp;amp;amp;
- https://elpais.com/espana/2025-07-24/sanchez-revertira-las-rebajas-investigadas-por-el-juez-que-hizo-montoro-a-grandes-empresas.html
- https://www.euractiv.com/section/politics/news/sanchez-fights-for-control-as-political-crisis-is-far-over
- https://www.elmundo.es/espana/2025/07/23/68811287e9cf4ae0438b4572.html
- https://lab.elmundo.es/viajes-falcon-2024/sanchez.html
- https://theobjective.com/espana/2025-07-22/gobierno-oculta-informacion-vuelos-dominicana-falcon
- https://www.vozpopuli.com/espana/los-informes-de-la-uco-respaldan-los-pagos-en-republica-dominicana-que-desvelo-aldama-ante-el-juez.html
- https://www.elconfidencial.com/espana/2025-03-17/ts-pone-foco-lavadero-republica-dominicana-viajes-placer-trama-koldo_4086139
- https://elpais.com/espana/2025-04-02/dos-testigos-admiten-pagos-en-efectivo-en-republica-dominicana-al-hermano-de-koldo-garcia-por-orden-de-aldama.html
- https://www.euractiv.com/section/politics/news/sanchez-fights-for-control-as-political-crisis-is-far-over
