Wie auch die Vereinigten Staaten von Amerika modernisiert Russland sukzessive das eigene Atomwaffenarsenal. Doch nun sprach Präsident Putin auch eine Änderung der Erstschlagdoktrin an. Ist dies eine Eskalation, wie der US-Außenminister behauptet, oder vielmehr nur eine Anpassung an die Regeln der Amerikaner?
Auch wenn Russland insgesamt mehr Atomwaffen besitzt als die nuklear bewaffneten NATO-Länder USA, Großbritannien und Frankreich zusammen (4.477 nukleare Sprengköpfe zu 4.315), so ist das Arsenal Moskaus eher defensiv ausgerichtet, während die NATO stärker auf U-Boote und Flugzeuge setzt. Dies zeigt die folgende Grafik von Statista durchaus sehr deutlich auf:
Dennoch modernisieren auch die Russen seit Jahren ihr nukleares Waffenarsenal, welches im Gegensatz zu jenem der Amerikaner lediglich in Russland selbst stationiert ist. Washington hingegen hat über das Programm der „nuklearen Teilhabe“ einige seiner Atomwaffen in NATO-Ländern wie Deutschland, der Türkei oder Italien stationiert. Diese sollen durch neuere Modelle ausgetauscht werden, um das Abschreckungspotential gegen Russland zu vergrößern.
Bislang hat Russlands Präsident Wladimir Putin jedoch stets daran festgehalten, dass Moskau sein Atomwaffenarsenal entsprechend der eigenen Erstschlagdoktrin nicht zuerst einsetzen werde. Putin warnte erst kürzlich davor, dass das „Risiko eines Atomkriegs in der Welt steigt“. Er nutzte die Gelegenheit, um Russlands „defensive“ Nukleardoktrin zu bekräftigen und betonte, dass Atomwaffen als Antwort auf einen Angriff auf russisches Territorium in Betracht kämen, während er gleichzeitig erklärte, er sei bereit, russisches Territorium „mit allen verfügbaren Mitteln“ zu verteidigen.
Mittlerweile denkt man im Kreml jedoch offensichtlich bereits an eine Änderung der nuklearen Erstschlagdoktrin. Ein solcher Schlag gegen den Gegner, um diesen zu entwaffnen, würde in Erwägung gezogen. „Wir denken darüber nach“, sagte der russische Präsident vor Reportern nach einem Gipfeltreffen in Kirgisistan, wie „Bloomberg“ berichtet. „Wenn wir über einen Entwaffnungsschlag sprechen, sollten wir vielleicht darüber nachdenken, die Ansätze unserer amerikanischen Partner zu nutzen“, sagte er und verwies auf die US-Strategie, hochpräzise Raketen für einen Präventivschlag einzusetzen. Wobei man hierbei jedoch anmerken sollte, dass Putin mit dieser Aussage auch auf die Doppelzüngigkeit Washingtons diesbezüglich hingewiesen haben könnte, ohne wirklich eine Änderung dieser Doktrin zu erwägen. Denn die Amerikaner haben erst kürzlich ihre eigene Erstschlagdoktrin geändert und den Einsatz von taktischen Atomwaffen auch ohne nukleare Bedrohung erlaubt.
Angesichts dessen wirken die Äußerungen von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bei der Inauguration des neuen Chefs der U.S. Strategic Command (Stratcom), Anthony Cotton, etwas scheinheilig. „Und während der Kreml seinen grausamen und unprovozierten Krieg gegen die Ukraine fortsetzt, hat die ganze Welt gesehen, wie Putin ein zutiefst unverantwortliches nukleares Säbelrasseln betreibt“, sagte er. „Machen Sie also keinen Fehler. Die Atommächte haben eine große Verantwortung, provokatives Verhalten zu vermeiden, das Risiko der Weiterverbreitung von Atomwaffen zu senken und eine Eskalation und einen Atomkrieg zu verhindern“, so der US-Verteidigungsminister, ohne mit der Wimper zu zucken weiter. Wohl wissend, dass das Pentagon selbst schon den Einsatz von taktischen Atomwaffen selbst bei konventionellen Bedrohungen erlaubt. Ist eine Anpassung der russischen Erstschlagdoktrin an jene der Vereinigten Staaten nun also tatsächlich eine Eskalation?