Der ehemalige Polizeibeamte Björn Lars Oberndorf, Kriminologe und Politikwissenschaftler, beobachtet eine besorgniserregende Zunahme von Hausdurchsuchungen, oft aus geringfügigen Gründen und manchmal unter Einsatz von Spezialeinheiten. Dienen diese Aktionen wirklich der Beweissicherung oder werden politische Ziele verfolgt? Polizeibeamte stehen moralisch und rechtlich oft vor schwierigen Entscheidungen. Die aktuellen Entwicklungen müssen vor allem aus demokratischer Perspektive dringend kritisch hinterfragt werden.
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Mein Name ist Björn Lars Oberndorf, ich bin ehemaliger Polizeibeamter, Kriminologe, Polizei- und Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Verfassungsrecht und bin der erste Vorsitzende des im Dezember 2020 gegründeten Vereins Polizisten für Aufklärung.
Was uns gerade seit März 2020 aufgefallen ist, ist eine massive Zunahme der Vollstreckung von Durchsuchungsbeschlüssen, also Hausdurchsuchungen, teilweise wegen in unserer Rechtserfassung sehr nichtigen Gründen. Da geht es teilweise um vermeintliche Beleidigungen, es geht um Verstöße gegen das Kunsturhebergesetz. Diese Hausdurchsuchungen werden in Teilen auch mit polizeilichen Spezialeinheiten durchgeführt und die haben sich massiv erhöht, gerade auch zum Nachteil der außerparlamentarischen Opposition oder auch bestimmter Parteien, die im Bundestag und den Landtagen vertreten sind.
An dieser Stelle muss die Frage erlaubt sein, ob es bei diesen Hausdurchsuchungen wirklich um das Auffinden von Beweismitteln für ein mögliches Strafverfahren geht oder ob es sich gegebenenfalls um Ausforschungsdurchsuchungen handelt, um an Daten ranzukommen, von Vereinen z.B., oder auch ob es um Einschüchterung geht, von Kritikern der Corona-Maßnahmen der Regierung der letzten drei Jahre. Wir werden dazu in absehbarer Zeit auch ein eigenes Forschungsprojekt starten, damit wir wirklich wissenschaftlich valide die Zunahme und auch die schwerpunktmäßige Verteilung, aber auch die Hinzuziehung von polizeilichen Spezialkräften besser noch belegen können. Aber der Anfangsverdacht steht im Raum, dass sich hier in gewisser Art und Weise die Polizei, aber auch die Staatsanwaltschaften, instrumentalisieren lassen für eine bestimmte politische Agenda.
Es gab einige Durchsuchungen, wonach in der gerichtlichen Prüfung festgestellt wurde, dass die Hausdurchsuchung rechtswidrig war und nicht verhältnismäßig war. Praktische Auswirkung hat das jetzt erst mal sehr wenig, was die eingesetzten Kräfte angeht, weil jeder Beamte ist für sein Handeln vollumfänglich persönlich haftbar. Man kann es teilweise zivilrechtlich nutzen, wenn es auch um Schadensersatz geht, weil natürlich oft auch bei den Zugriffen Eingangstüren oder auch Mobiliar beschädigt wird. Dafür kommen so oder so die Polizeibehörden auf. Aber gerade, wenn festgestellt wird, das Ganze war rechtswidrig, habe ich einfach zivilrechtlich noch andere Ansprüche.
Uns sind keine Fälle bekannt, wo die Polizeibeamten, die im Einsatz waren, irgendwelche disziplinarrechtlichen Konsequenzen dadurch gehabt hätten. Wobei ich natürlich auch darauf hinweisen möchte, ist mir ganz wichtig als erster Vorsitzender von Polizisten für Aufklärung, dass wir dieses Fehlverhalten natürlich bitte nicht auf alle Polizeibeamten verallgemeinern. Aber die Fälle, die natürlich bei uns auf dem Schreibtisch landen vom Verein, sind natürlich Fälle, die wir prüfen, und da kommen wir leider in sehr vielen Fällen zu dem Ergebnis, dass sie nach unserer Rechtserfassung rechtswidrig sind.
Die grundsätzliche Frage, ob es moralisch vertretbar ist, heutzutage noch bei der Polizei zu sein oder anzufangen, die muss natürlich jeder Beamte für sich selber stellen. Ich kann ganz kurz meine Meinung dazu kundtun: Grundsätzlich stabilisiert natürlich jeder Beamte, der nach unserer Auffassung rechtswidrige Maßnahmen durchsetzt, erst mal das rechtswidrige System, was diesen Kontext angeht. Das heißt nicht, dass das System grundsätzlich rechtswidrig ist, aber diese polizeiliche Maßnahme. Das heißt, der Beamte ist für seine Handlung vollumfänglich persönlich haftbar. Das ist in Deutschland z.B. für Landesbeamte in Paragraph 36 Beamtenstatusgesetz geregelt. Das heißt, wenn der Beamte Sorgen hat, dass die dienstliche Anordnung rechtswidrig ist, muss er remonstrieren. Jetzt ist die Remonstration aber in vielen Bereichen ja nicht wirkungslos, aber ein recht stumpfes Schwert, und der Beamte hat natürlich dann auch disziplinarrechtliche Konsequenzen teilweise zu befürchten.
Das heißt, ob man heutzutage noch bei der Polizei mit gutem Gewissen arbeiten kann, nach den Erfahrungen der letzten drei Jahre, und ob man jetzt auch neu bei der Polizei anfangen kann, wo wir immer noch keine Aufarbeitung der Zeit seit März 2020 hatten und nicht wissen, ob das Ganze verhältnismäßig war (nach dem jetzigen Erkenntnisstand war es das eben nicht, und damit waren die Maßnahmen rechtswidrig), das muss jeder Beamte für sich selber beantworten. Ich könnte es momentan nicht mehr. Wobei mir ganz wichtig ist zu betonen, dass natürlich ein Rechtsstaat, eine Demokratie, eine Polizei braucht, die auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht und rechtskonform arbeitet.
Ich hätte damit momentan große Probleme, noch für die Polizei zu arbeiten, aber diese Frage müsste jeder für sich selber entscheiden. Wobei ich auch da noch drauf hinweisen möchte, ich möchte es nicht verallgemeinern, es gibt auch viele Polizeibeamte, die immer noch versuchen, nach bestem Wissen und Gewissen ihren Dienst zu versehen, aber natürlich stabilisieren sie trotzdem durch ihre Tätigkeit bestimmte Maßnahmen, die dann wiederum rechtswidrig sein könnten.
Was mir persönlich noch sehr wichtig ist, der Punkt: Wir müssen wirklich in Deutschland, Österreich, in der Schweiz oder auch weltweit wirklich schauen, dass wir die Entwicklungen gerade seit März 2020, gerade in Deutschland, möglichst schnell rechtlich und gesellschaftlich aufarbeiten. Weil das Problem ist, das Vertrauen in die Rechtsstaaten, das Vertrauen in die Demokratien, das Vertrauen auch in die Institution Polizei, ist in vielen Bereichen sehr stark erodiert. Und dadurch, dass z.B. der Deutsche Bundestag entschieden hat, dass es keinen Untersuchungsausschuss gibt auf Bundesebene (wir haben jetzt einen in Brandenburg initiiert durch die AFD-Fraktion), ist genau das falsche Signal.
Denn wir müssen unsere demokratischen Kontrollmechanismen überprüfen, wir müssen schauen, was seit März 2020 falsch gelaufen ist, und wir müssen uns für die nächste, gegebenenfalls vorhandene Pandemie aufstellen. Und solange wir das nicht getan haben und die demokratischen Kontrollmechanismen wieder so versagen, wie sie jetzt versagt haben, auch die Medien leider in großen Teilen ihrer Aufgabe als vierte Gewalt nicht nachkommen, also gerade die sogenannten Qualitäts- oder Leitmedien, sowie auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so was darf nicht noch mal passieren.
Und dass gerade in Deutschland die Politik momentan kein Interesse an einer Aufarbeitung hat, ist leicht nachzuvollziehen, denn es stehen sehr, sehr viele zivil- und strafrechtliche Ansprüche im Raum, wo sich viele, wie auch teilweise Minister auf Bundesebene, selber durchaus auch strafbar gemacht haben. Und das, aber nur von diesen Leuten, dann eine Aufarbeitung abhängig gemacht wird, kann nicht sein.
Wir haben seit März 2020 bemerkt, dass in Deutschland und auch Österreich, in der Schweiz, unsere demokratischen Strukturen sehr leicht auszuheben sind. Wir haben bemerkt, dass die Regierungen teilweise einen Hang zum Totalitären haben. Wichtig ist: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit muss tagtäglich auf der Straße friedlich verteidigt und neu erkämpft werden. Es gibt nach Jellinek die sogenannte Drei-Elemente-Lehre: Ein Staat ist definiert über ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsmacht. Und nur das Staatsvolk als Souverän kann die Regierung zur Ordnung rufen.
Und das ist der Grund, warum Untersuchungsausschüsse, ob auf Landesebene oder auf Bundesebene, initiiert durch Parteien, die zum intermediären System einer Gesellschaft gehören, die Verbindung herstellen zwischen Volk und Bundespolitik, genau wie Vereine, sich dafür einsetzen, dass wir eine Aufarbeitung hinbekommen, wie wir unsere demokratischen Strukturen stärken können, wie wir die gesellschaftliche Spaltung überwinden können und wie wir aus den letzten drei Jahren gesamt als Volk gestärkt hervorgehen und auch wieder Demokratie und Rechtsstaatlichkeit leben.