Der Pharmakonzern Johnson & Johnson hatte sich stets erbittert gegen die Vorwürfe von Asbestverunreinigungen in seinen Pflegeprodukten gewehrt und diese als absurde Verschwörungstheorie bezeichnet. Zehntausende Menschen in den USA, darunter vor allem Frauen, die nach Nutzung der Produkte an Krebs erkrankten, sehen das anders. Aktuell sieht J&J sich mit rund 60.000 Klägern konfrontiert – und bittet nun um einen Kompromiss. 8,9 Milliarden will man locker machen, damit sämtliche Klagen beigelegt werden.
„Johnson & Johnson knew for decades that asbestos lurked in its Baby Powder“ – „Johnson & Johnson wusste seit Jahrzehnten, dass Asbest in seinem Babypuder lauert“. Dieser Enthüllungsbericht kam 2018 ausgerechnet von „Reuters“, das mittlerweile so für Pharma-Freundlichkeit bekannt ist. Seinerzeit hakte man aber noch kritisch nach und kam zu dem Schluss, dass der Pharma-Riese jahrzehntelang von Verunreinigungen seines Babypuders mit Asbest wusste: In Proben konnten demnach zwischen 1971 und 2000 immer wieder kleinere bis höhere Mengen von Asbest in Talk- und Puderprodukten des Unternehmens nachgewiesen werden, doch diese Informationen haben offenkundig nie die entsprechenden Aufsichtsbehörden oder die Öffentlichkeit erreicht. Und nicht nur das: Reuters fand in gesichteten Dokumenten auch Hinweise auf erfolgreiche Bemühungen, die Pläne der US-Regulierungsbehörden zur Begrenzung von Asbest in kosmetischen Talkprodukten zu beeinflussen. Auch auf Wissenschaftler wirkte man ein.
Asbest gilt bekanntlich als krebserregend – und tatsächlich machten in den letzten Jahren immer mehr Menschen die Puder-Produkte von J&J (wozu auch Marken wie Bebe und Penaten-Babypflege gehören) für ihre Krebserkrankungen verantwortlich und klagten. Sehr viele der Betroffenen leiden unter Eierstockkrebs. Einige Klagen verliefen bereits erfolgreich – und J&J gerät entsprechend zunehmend unter Druck. Die fraglichen Produkte wurden bereits vom Markt genommen, auch wenn man weiterhin auf deren Sicherheit pocht.
Nun bietet der Konzern eine Vergleichszahlung von 8,9 Milliarden Dollar für rund 60.000 Kläger an, die ihre Krebserkrankungen mit den J&J-Produkten in Verbindung bringen. Zudem soll ein Trust finanziert werden, der beim Konkursgericht in Trenton, New Jersey, eingerichtet wurde, um zukünftige Ansprüche abzudecken. So will man „die juristische Dauergroßbaustelle“ schließen.
Ursprünglich hatte man nur 2 Milliarden geboten. Der neue Vorstoß folgte auf ein Urteil des Berufungsgerichts aus dem Januar, das das umstrittene „Texas Two-Step“-Insolvenzmanöver von J&J ungültig machte: J&J wollte die Haftung für die Talk- und Puder-Problematik auf eine Tochtergesellschaft (LTL Management) abwälzen, die dann sofort Insolvenz per „Chapter 11“ beantragte. Dieses Vorgehen war laut Reuters von langer Hand geplant und wird auch von anderen Unternehmen genutzt – man wollte durch Insolvenzen den Klagen von Opfern der eigenen Produkte entgehen. Mittlerweile hat LTL auf Basis des neuen Vergleichsangebots einen erneuten Antrag gestellt.
Wenn genügend Opfer der Einigung zustimmen, wird J&J von der Verteidigung gegen Ansprüche von Krebskranken im Zusammenhang mit Babypuder und anderen mit Asbest verunreinigten Produkten befreit, wie „Fortune“ berichtet. Allerdings regt sich bereits Widerstand. Anwälte von Tausenden Klägern lehnen die Beilegung ab: „Dieser Schein-Deal bezahlt nicht einmal die Arztrechnungen der meisten Opfer“, kritisierte einer von ihnen.