Null Transparenz beim WHO-Pandemievertrag: Wer verhandelt überhaupt für Deutschland?

Bild: freepik / vsr3168

In der 77. Weltgesundheits-Generalversammlung vom 27. Mai bis 1. Juni 2024 sollen sowohl der Pandemievertrag als auch die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften verhandelt werden. Kritischen Beobachtern stellen sich diesbezüglich noch viele Fragen. Der ehemalige Präsident des LKA Thüringen, Uwe Kranz, prangert in seinem jüngsten Kommentar die mangelnde Transparenz nicht nur hinsichtlich der neuen Rechtsinstrumente selbst, sondern auch seitens der Bundesregierung an. Denn wer genau hier eigentlich auf welcher Grundlage verantwortlich ist und bei der Versammlung deutsche Interessen vertreten soll, ist völlig unklar.

Ein Gastkommentar von Uwe Kranz (Hervorhebungen und Zwischentitel durch Redaktion)

Die aktuelle Situation in Sachen WHO-Pandemievertrag (PA) und den damit verbundenen Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations, IHR) wird immer dramatischer. Seit am 20. September 2023 elf Staaten (Arabische Liga, Belarus, Bolivien, Demokratie Volksrepublik Korea, Eritrea, Islamische Republik Iran, Kuba, Nicaragua, Russland, Simbabwe und Syrien) dankenswerterweise dem UN-Generalsekretär António Guterres in der 78. UN-Generalversammlung (UN-GA) die Gefolgschaft verweigerten und ein Veto gegen die geplante Political Declaration On Pandemic Prevention, Preparedness and Response einlegten, wächst die Zahl der Petenten stetig. Äthiopien rüffelt als Sprecher von 47 (!) afrikanischen Staaten den Vertragsentwurf ebenso wie Südafrika als Sprecher der 29 sogenannten „Equity-Staaten“.

Mehr noch: In einem gemeinsamen Brief von 70 „Civil Society Organizations“ werden gravierende Bedenken erhoben; die Petitionsplattform CitizenGO schreibt fortlaufend Petitionen; der Verein Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie (MWGFD), der Ärztliche Berufsverband Hippokratischer Eid (ÄBVHE), die Ärzte für Aufklärung (ÄfA), die Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) und viele, viele andere Vereinigungen und NGOs mehr sehen statt Lösungen eher gravierende Fehlentwicklungen und fordern vehement den sofortigen Stopp der Planungen; selbst die International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Traders (IFPMA) beklagte am 7. November 2023 in der Tagung des Zwischenstaatlichen Verhandlungsgremiums (Intergovernmental Negotiating Board, INB), das im Auftrag der WHO den Entwurf des Pandemievertrags fortschreiben soll, die globalen Differenzen, die gefährliche Entwicklung und die allzu große Bürokratie, die den beiden Rechtsinstrumenten innewohnten.

In Großbritannien erregten sich Abgeordnete des Unterhauses über die neuen Befugnisse, die sich die WHO geben will, und fordern eine Abstimmung. Selbst Vertreter der Regierung erklären, dass sie niemals einer derartigen Verletzung der Souveränität des Landes zustimmen würden. Doch während vernichtende Kritiken auf den rosaroten Elefanten im Raum einprasseln, bleibt die WHO unbeirrt auf ihrem Kurs, sich mit den zwei gruseligen Rechtsinstituten zu einer mächtigen internationalen Weisungs-, Zensur- und Kontrollinstanz mit einem satten Finanzpolster zu erheben und so quasi eine WHO-Diktatur zu errichten. Etwas milder urteilt die “Neue Zürcher Zeitung”, die von “einzelnen Vertragsbestimmungen” des Pandemievertrages spricht, die einen „autoritären Geist atmen“ und die Meinungsfreiheit durch Zensur und Propaganda gefährdeten – mit Bezugnahme auf Artikel 18, der die Bekämpfung angeblich falscher oder irreführender Meldungen und Fehlinformationen durch gesteuerte politische Kommunikation behandelt.

Bis heute liegen die Endfassungen nicht vor

Kaum ein Staat hat bis zum 1. Dezember 2023 der von der WHO-Generalversammlung im Mai 2022 verabschiedeten Verkürzung der Einspruchsfrist der Mitgliedsstaaten gegen einzelne oder sämtliche Anpassungen an den IHR von 18 auf 10 Monate sowie der Verkürzung der Frist des automatischen Inkrafttretens der von der WHO entschiedenen IHR-Änderungen von 24 auf 12 Monate widersprochen. Dabei gab es Mahnungen genug. Solch drastische Verkürzungen der Fristen machen es Parlament und Regierung noch schwerer, sich mit den Folgen der Änderungen in angemessenem Maße zu beschäftigen und demokratische Prozesse einzuhalten. Entscheidungen unter Zeitdruck sind aber nach dem jüngsten Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht grundgesetzkonform.

Am 27. Januar 2024 war ein weiterer „Milestone“ verstrichen, an dem sich die künftige, die wahre WHO-Strategie und -Politik ermessen lassen: Nach Artikel 55 der WHO-Satzung müssen Änderungsanträge zu den IHR (immerhin gemäß Artikel 21 der WHO-Satzung ein völkerrechtlich verbindliches Sekundärrecht der WHO!) oder gar zu einem gänzlich neuen Vertragsentwurf den Mitgliedsstaaten “rechtzeitig” zur Einsicht und Prüfung vorgelegt werden. Genauer: vier Monate vor der kommenden 77. WHO-Generalversammlung (WHA). Dieser Termin verstrich; den Mitgliedsstaaten liegen beide Rechtsinstrumente bis heute nicht in der Endfassung vor. Das Arbeitsgremium für die IHR-Änderungen (WGIHR) warnte bereits im Oktober 2023, mit der Bearbeitung der 307 Einsprüche nicht rechtzeitig fertig zu werden.

Doch die Generaldirektion erteilte vorab Absolution: Artikel 55 gelte nur für die Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten und dem Generaldirektor, nicht aber für WHO-Unterorganisationen (wie der WGIHR). Heißt das, dass die Einladungen mit den Tagesordnungspunkten zwar termingerecht den Mitgliedsstaaten zugeleitet worden sind, aber die in der Agenda genannten Dokumente erst kurz vor der Generalversammlung bekannt gemacht werden? Das dürfte klar satzungswidrig und somit völkerrechtswidrig sein. WGIHR und INB arbeiten seit Monaten fieberhaft und geheim an den jeweiligen Fassungen. Bekannt sind derzeit der IHR-Entwurf vom Februar 2022 und drei Entwürfe des Pandemievertrages (die “Zero-Version” vom Januar 2023, die “Bureau-Version” vom Juni 2023 und die “Negotiating Version” vom Oktober 2023).

Wer verhandelt für Deutschland?

Warum tagen die Arbeitsgremien geheim, und warum wird nicht jede Version als Zwischenergebnis ihrer Arbeit öffentlich für die politische Debatte freigegeben? Wer ist Mitglied in diesen Arbeitsgremien? Alle Staaten sollen in der INB vertreten sein; nur wer ist es real? Wer hat sie mit welchem Auftrag und Verhandlungsmandat entsandt? Gibt es Stimmgewichte innerhalb der INB? Gibt es Rückkopplungs-, Anzeigen- und Meldepflichten gegenüber dem Entsendestaat? Auch sollten in der WGIHR eigentlich nur ausgewählte Mitglieder aus den Mitgliedsstaaten vertreten sein. Wer hat sie ausgewählt? Unter welchen Bedingungen fanden das Auswahlverfahren und die Erteilung des Verhandlungsmandats statt? Gibt es auch hier Stimmgewichte? Bestehen auch hier Rückkopplungs-, Anzeigen- und Meldepflichten gegenüber dem Entsendestaat?

Ist zum 27. Januar 2024 eines der beiden fraglichen Rechtsinstitute bei irgendeiner der BRD-Institutionen eingegangen, sei es bei Bundeskanzler Olaf Scholz, bei Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach oder bei irgendeiner Abteilung oder irgendeinem Referat des Bundesgesundheitsministeriums? Wenn ja: In welcher Version? Mit welchen Änderungen? Wer aus der gesamten Bundesregierung hat nach Übertragung des Verhandlungsmandats an die Europäische Kommission (EC) im Frühjahr 2023 Kontakt mit der verhandelnden EC-Stelle gehalten und eventuelle bundesdeutsche Stellungnahmen zu den Rechtsinstituten – IHR und PA – geschrieben? Wer hat den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages, die Fraktionen oder gar das Parlament über den Fortgang der Verhandlungen informiert?

Wer kennt die 140-seitige Stellungnahme der EC zum IHR-/PA-Entwurf? Wer hat daran mitgearbeitet? Wie fand die Rückkopplung der jeweiligen Sachstände zu den 27 Mitgliedsstaaten statt? Gab es vor Absendung der EC-Stellungnahme eine Abstimmung mit der Regierung und dem Parlament? Wer ist Mitglied der Delegation, die die BRD-Interessen in der 77. WHGA in Genf vertreten soll? Aus den Protokollen der WHO für die 75. und 76. WHGA geht hervor, dass die BRD “in der Regel” mit rund 24 Delegationsmitgliedern unter der Leitung des Bundesgesundheitsministers an der Generalversammlung teilnimmt; das waren in der Vergangenheit Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und aktuell Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. 12 Mitglieder kamen aus dem BRD-Büro bei der WHO und 12 reisten aus dem Bundesgesundheitsministerium an.

Undemokratisches Verfahren zur Abnickung eines undemokratischen Regelwerks?

Bei der 76. WHGA waren zusätzlich ein Fotograf und zwei Beamte des BKA „nominiert“. Der Fotograf sollte wohl schöne, gesundheitspolitisch “vermarktbare” Bilder schießen; aber auf was sollten die BKA-Beamten schießen? Oder ging es da um die Diskussion des “unmittelbaren Zwangs” bei Impfpflichten? Werden auch dieses Jahr wieder BKA-Beamte dabei sein? Wenn die BRD ohnehin nur eine Stimme hat – wozu braucht es dann eigentlich 24 Delegierte? Wer sind diese Delegierten? Welche Aufgaben haben sie? Welchen Weisungen sind sie unterworfen? Haben das Parlament, der Gesundheitsausschuss, die Fraktionen irgendwelche Fragerechte an diese Delegierten? Haben die Delegierten Auskunftspflichten – oder agieren sie weisungsfrei, in einem undemokratischen Verfahren auserwählt, unverantwortlich und sozusagen „sakrosankt“ bei ihrer Zustimmung zu einem der womöglich folgenschwersten demokratie- und existenzbedrohenden Regelwerke der Geschichte namens IHR?

Ich hätte da noch viele, viele Fragen. Aber das wären zunächst die wichtigsten.

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