Die sogenannte Pandemie öffnete Grundrechtseinschränkungen Tür und Tor: Indem man sich auf eine angebliche Krise beruft, verleiht man scheinbar jeder noch so restriktiven Maßnahme eine Legitimation – selbst dann, wenn sie den Bürgern Schaden zufügt. Doch ist das wirklich so? Damit eine Einschränkung von Grundrechten verfassungskonform ist, müssen mehrere Kriterien erfüllt sein. Die GGI-Initiative erörtert diese in einer aktuellen Aussendung. Diese Kriterien sind nicht nur für die Aufarbeitung des Corona-Unrechts bedeutsam, sondern auch im Hinblick auf weitere Einschränkungen, wie sie uns in Zukunft wegen neuer sogenannter Krisen drohen.
Einschränkung der Grundrechte – wann ist das zulässig? (Teil 1)
Presseaussendung der GGI-Initiative am 21.09.2023
Viel wurde in den letzten Jahren über Grundrechte und Verfassung gesprochen. Während die einen zahlreiche Maßnahmen für verfassungswidrig hielten, behauptete insbesondere die Regierung stetig die Verfassungskonformität von Maßnahmen. Der Verfassungsgerichtshof hob zahlreiche Verordnungen als verfassungswidrig auf, bestätigte jedoch andere. Doch wie lässt sich überhaupt bewerten, ob eine Maßnahme verfassungswidrig ist? Welche Kriterien werden herangezogen? Dies wollen wir im Folgenden beleuchten.
Einschränkungen der Grundrechte sind nur zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind (Eingriffsvorbehalt). In der Regel findet man derartige Eingriffsvorbehalte im zweiten Absatz der Grundrechtsbestimmung. Nur zu den dort angeführten Zwecken dürfen Grundrechte eingeschränkt werden. Das aber auch nicht in beliebiger Form, sondern anhand klarer Kriterien.
Die vier Kriterien der Verfassungskonformität
Die vier Kriterien der Verfassungskonformität sind wesentliche Aspekte, die bei der Beurteilung von Gesetzen oder Maßnahmen durch Gerichte herangezogen werden, um zu prüfen, ob sie mit den Bestimmungen der Verfassung, speziell der Grundrechte in Österreich im Einklang stehen. Diese Kriterien dienen als Richtlinien, um sicherzustellen, dass staatliches Handeln rechtmäßig und verfassungskonform ist. Daher hat der Gesetzgeber vor Erlassung eines Gesetzes oder der Minister vor Erlassung einer Verordnung den Gesetzesvorschlag auf diese Kriterien hin zu prüfen. Die genannten Kriterien sind:
- Legitimes Ziel: Dieses Kriterium besagt, dass das Gesetz oder die Maßnahme ein rechtmäßiges und verfassungsmäßiges Ziel verfolgen muss. Das bedeutet, dass das Ziel, das mit der Maßnahme erreicht werden soll, im Einklang mit den Prinzipien und Werten der Verfassung stehen muss. Ein Ziel ist dann legitim, wenn es darauf ausgerichtet ist, ein oder mehrere Grundrechte zu schützen. Beispielsweise könnte ein legitimes Ziel die Sicherung der öffentlichen Ordnung (zum Zweck des Schutzes des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit) oder der Gesundheit der Bevölkerung sein. Die legitimen Ziele sind explizit in den Eingriffsnormen aufgezählt.
- Tauglichkeit: Hier wird geprüft, ob die gewählte Maßnahme oder das Gesetz geeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen. Es muss nachvollziehbar sein, dass die vorgeschlagene Maßnahme tatsächlich dazu beitragen kann, das Ziel zu verwirklichen. Es muss also eine kausale Verbindung zwischen der Maßnahme und dem angestrebten Ziel bestehen. Dass durch eine Maßnahme alleine das Ziel erreicht werden kann, ist nicht gefordert. Aber der Beitrag zur Zielerreichung darf auch nicht ganz unwesentlich sein.
- Notwendigkeit (gelindestes Mittel): Das Kriterium der Notwendigkeit verlangt, dass die gewählte Maßnahme das mildeste Mittel ist, um das Ziel zu erreichen. Das bedeutet, dass es keine weniger einschneidenden Alternativen geben darf, die das gleiche Ziel genauso effektiv erreichen können. Wenn es mildere oder weniger grundrechtsbeschränkende Möglichkeiten gibt, muss die gewählte Maßnahme vermieden werden. Kriterien, um die Notwendigkeit zu prüfen, sind beispielsweise die Eingriffsintensität, also wie schwer der Eingriff in die persönliche Freiheit des Einzelnen wirkt, aber auch die Quantität, also wie viele Menschen vom Eingriff betroffen sind.
- Verhältnismäßigkeit: Dieses Kriterium besagt, dass die Belastung oder der Eingriff, der durch das Gesetz oder die Maßnahme verursacht wird, nicht außer Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen darf. Mit anderen Worten: Der Nutzen, der durch das Gesetz oder die Maßnahme erzielt wird, muss in einem angemessenen Verhältnis zu den Grundrechtsbeschränkungen oder anderen negativen Auswirkungen stehen, die daraus resultieren können. Hier wird – bei einer gesundheitsbezogenen Maßnahme – nicht nur der Schutz der Gesundheit sowie die möglichen negativen Folgen für die Gesundheit abgewogen, sondern auch die gesamtgesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sonstigen negativen Auswirkungen. Ist der Schaden größer als der Nutzen, ist die Regelung nicht verfassungskonform.
Wenn auch nur eines der Kriterien nicht erfüllt ist, ist das Gesetz oder die Verordnung verfassungswidrig.
Lehren für die Zukunft
Es braucht kein vertiefendes rechtswissenschaftliches Verständnis, um zu erkennen, dass einige der Corona-Maßnahmen diesen Kriterien nicht entsprachen. Umso wichtiger ist es, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und zukünftig die Verfassungskonformität strikt zu beachten. Die österreichische Verfassung ist ein wichtiges und durchdachtes Instrument, um das gute Zusammenleben zu sichern – die Verantwortlichen müssten sich nur daran halten.