Die russische Führung betrachtet Deutschland als einen von den USA „besetzten Staat“, in dem US-Botschafter der Bundesregierung einfach so Befehle erteilen können. Dem werde mit „boots on the ground“ nachgeholfen.
In Moskau betrachtet man die Abhängigkeit der deutschen Politik von Washington offenbar mit Sorge. Nicht nur, dass transatlantische Organisationen wie die „Atlantik-Brücke“ oder die Bilderberg-Gruppe mit hochrangigen deutschen Politikern durchsetzt sind – auch der direkte Einfluss Washingtons auf die Führung in Berlin wirft in Moskau Fragen nach der politischen Unabhängigkeit Deutschlands auf.
Die USA „besetzen“ Deutschland weiterhin nach wissenschaftlichen Maßstäben, während Amerikas NATO-Verbündete ihre gesamte Souveränität an Washington abgegeben haben und in Fragen wie Nord Stream 2 kein Mitspracherecht haben, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Dienstag in einem Exklusivinterview mit RT. Mit Blick auf die Äußerungen von US-Präsident Joe Biden, der während des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag in Washington von einer „Abschaltung“ der Nord Stream 2-Pipeline sprach, wies Sacharowa darauf hin, dass Berlin auch lange nach dem Ende des Kalten Krieges unter der Fuchtel Washingtons steht. „Deutschland bleibt nach einer Reihe von relevanten Merkmalen – das ist weder meine noch Russlands Meinung, das ist nach politologischen Begriffen und Maßstäben – auf die eine oder andere Weise ein besetzter Staat: 30.000 Amerikanische sind dort stationiert“, sagte sie mit Hinweis auf das US-Truppenkontingent in der Bundesrepublik gegenüber RT.
Sacharowa fügte hinzu, dass „amerikanische Botschafter in Deutschland, die dort arbeiten sollen, um die bilateralen Beziehungen zu verbessern, deutschen Beamten Befehle erteilen“. Richard Grenell, der während der Trump-Präsidentschaft US-Botschafter in Berlin war, „gab ihnen buchstäblich jeden Tag Anweisungen, was in Fragen wie Nord Stream 2 zu tun sei“. Immer wieder gab es Drohungen aus der US-Botschaft gegenüber der deutschen Bundesregierung. Deutschland werde von den USA „einfach wie ein Protektorat“ behandelt. Warum Berlin es zulässt, so behandelt zu werden, ist eine Frage, die man Deutschland stellen müsse, aber „Tatsache ist, dass es sich nicht um eine Beziehung auf Augenhöhe handelt“, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums weiter.
Washingtons Versuche, Berlin am Kauf von russischem Erdgas über die Nord Stream 2-Pipeline zu hindern, zeige die völlige Geringschätzung deutscher Interessen, erklärte sie. „Deutschland braucht dieses Gas nicht, weil es Russland mag oder es uns recht machen will – es braucht es einfach, es ist das, was seine Wirtschaft ernährt, es ist eine Ressource, von der seine industrielle Entwicklung abhängt, es ist das, was es zum Leben braucht, im Grunde eine lebenswichtige Frage“. Dabei haben es sich die Deutschen selbst schwer gemacht, indem sie das Erdgas auf dem Spotmarkt kaufen, anstatt wie beispielsweise die Volksrepublik China auf längerfristige Verträge mit fixen Preisen zu setzen. Stattdessen versuche Washington, Deutschland unter Druck zu setzen, damit es Flüssigerdgas (LNG) aus den USA kauft, so Sacharowa. Der Preis für amerikanisches LNG sei jedoch viel höher, so dass die USA Deutschland aufgefordert haben, die Bürger stärker zu besteuern und die Differenz durch Subventionen auszugleichen, so die russische Sprecherin.
„Was ist das für ein Gerede? Von welchem freien Markt reden Sie? Oder von der liberalen Wirtschaft oder der WTO?“, fragte sie und merkte an, dass dies buchstäblich der Einsatz von Energie als politisches Druckmittel sei: „Das ist genau das, was die USA mit ihren engsten Verbündeten gemacht haben, nicht mit Rivalen oder Feinden, sondern mit ihren eigenen NATO-Partnern… Niemand hat ihnen irgendeine Art von Unabhängigkeit oder Souveränität gewährt.“