Etwa 73 Millionen Menschen in Deutschland sind gesetzlich bei einer Krankenkasse versichert. Wie nun zu Jahresbeginn bekannt wurde, muss bereits jetzt mehr als jeder Vierte mit einer massiven Beitragssteigerung rechnen. Für den Arbeitnehmer bedeutet dies: Weniger Netto vom Brutto. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: Für 2023 rechnet man mit einem „Beitrags-Tsunami“ von ungeahntem Ausmaß. Lediglich 7 Prozent der Versicherten setzen sich dem mit einer einfachen Maßnahme zur Wehr.
Von Max Bergmann
Gesetzlich versichert ist, abgesehen von wenigen Ausnahmen, wer im klassischen Angestelltenverhältnis arbeitet oder Lohnersatzleistungen bezieht. Bereits Mitte Dezember wurde bekannt, die Finanzierungslücke der deutschen gesetzlichen Krankenkassen liegt im Jahr 2022 bei mindestens zusätzlichen 7 Milliarden Euro. Der allgemeine Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung liegt grundsätzlich bei 14,6 Prozent des Brutto-Lohns, doch seit Jahren dürfen die Kassen in eigenem Ermessen Zusatzbeiträge von ihren Versicherten erheben. Dieser liegt im Durchschnitt bei etwa 1,3 Prozent. Um exorbitante Steigerungen des Zusatzbeitrags zu verhindern muss die gesamte Finanzierungslücke durch den Bund geschlossen werden, erklärte der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Zuschuss der Regierung zu Gesundheitsfonds schwillt auf Rekordhöhe an
Derartige Zuschüsse der Bundesregierung fließen, genauso wie die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern geleisteten Beiträge, in den sogenannten Gesundheitsfonds. Aus diesem Fonds werden die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland finanziert und entschädigt. Während bisher meist 14,5 Milliarden Euro aus Bundesmitteln in den Gesundheitsfonds flossen, sind weitere 7 Milliarden Euro Zuschuss für 2022 bereits seit Längerem beschlossene Sache gewesen. Die nun bekannt gewordene Finanzierungslücke über nochmals weitere 7 Milliarden Euro lässt den Bundeszuschuss zur Gesundheitsvorsorge um 14 Milliarden Euro auf sagenhafte 28,5 Milliarden Euro anschwellen. Steuert die Regierung hier nicht gegen, bedeutet das vor allem eines: Weiter steigende Zusatzbeiträge und weniger Netto-Gehalt für Arbeitnehmer, die ohnehin bereits unter der anhaltenden Demokratie-Krise und der steigenden Inflation leiden.
Weniger Netto vom Brutto bereits ab Januar 2022 für viele bittere Realität
Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte noch im Dezember:
„Wir haben in den letzten drei Jahren viel investiert: in bessere Pflege, in schnellere Digitalisierung, in flächendeckende Versorgung – und vor allem auch in die Pandemiebewältigung. Das zahlt sich für die Patientinnen und Patienten aus. Aber das kostet, zumal nach einer Wirtschaftskrise.“
Ebenfalls im Dezember mahnte außerdem der Verwaltungsratsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Volker Hansen:
„Wir erwarten, dass die Bundesregierung rasch für einen entsprechenden Bundeszuschuss sorgt – und damit die Gefahr von flächendeckend steigenden Zusatzbeiträgen im nächsten Jahr (2022, Anm. d. Red.) abwendet.“
Doch weniger Netto vom Brutto ist für mehr als jeden Vierten gesetzlich Versicherten nun bereits bittere Realität, die von Jens Spahn angepriesenen Investitionen und Verbesserungen für kaum jemanden sichtbar. Im Gegenteil, Personal und Intensivbetten werden eher abgebaut als neu geschaffen, Krankenhäuser geschlossen statt die Versorgung verbessert. Trotz absoluter Rekordzuschüsse des Bundes steigen die Zusatzbeiträge für Arbeitnehmer weiter und weiter.
19 Kassen erhöhen Zusatzbeitrag zu Jahresbeginn – eine Kasse mit 17,1 Prozent Beitrag
Zum Jahresbeginn 2022 haben 19 von 97 gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) in Deutschland den Zusatzbeitrag erhöht. Mit dabei sind neun der insgesamt elf Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). Allein bei diesen neun AOK sind etwa 21 Millionen Menschen versichert, deren Beiträge nun zu Beginn des Jahres erhöht wurden. Die nach aktuellem Stand teuerste aller gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland ist im Jahr 2022 die BKK24 mit einem Beitragssatz von 17,1 Prozent, die günstigste die BMW BKK mit 14,9 Prozent (jeweils allgemeiner Beitrag plus kassenindividueller Zusatzbeitrag). Ohne die Rekordzuschüsse der Bundesregierung in Höhe von 14 Milliarden Euro wären die Beiträge schon 2022 im Durchschnitt nicht nur um 0,1 Prozentpunkte, sondern um einen ganzen Prozentpunkt gestiegen, sagte Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, in der WELT AM SONNTAG. Der wahre Beitrags-Tsunami trifft uns offenbar nur mit Verzögerung: Zu Beginn des Jahres 2023.
Auch private Zusatzversicherungen betroffen: Preissteigerung begründet mit Pandemie
Die sogenannte Pandemie dient regelmäßig zur Begründung von Preissteigerungen, insbesondere im Bereich der Versicherungen. Schon Anfang 2021 erklärten zahlreiche große Versicherer, ihre Beiträge zu erhöhen. Das betraf damals vor allem private Zusatzversicherungen wie Pflegeversicherungen, Pflegetagegeld, Krankentagegeld ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit, Versicherungen mit einer Einmalzahlung bei Auftreten einer schweren Krankheit oder Krankenhauszusatzversicherungen. Zur Begründung nannte man steigende Kosten der Versicherer im Hinblick auf die sogenannte Corona-Pandemie. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung erhöhten schon zu Januar 2021 übrigens 31 gesetzliche Versicherer. Viele Versicherte trifft es nun erneut.
Nur 7 Prozent: Kaum ein Versicherter zieht Wechsel der Krankenkasse in Betracht
Gesetzlich versicherte Arbeitnehmer haben in Deutschland das Recht auf freie Wahl der Krankenkasse. Der Wechsel der Kasse ist in der Regel unkompliziert. In den meisten Fällen gilt eine Mindestlaufzeit von 12 Monaten, ist man bereits länger versichert, kann die Kündigung mit einer Frist von zwei vollen Monaten zum Monatsende ausgesprochen werden. Wurde der Zusatzbeitrag erstmalig eingeführt oder erhöht, besteht meist ein Sonderkündigungsrecht. Die Formalitäten rund um den Wechsel übernimmt in der Regel die neu ausgewählte Krankenkasse, bei der man Mitglied werden möchte. Für den Versicherten entsteht in aller Regel wenig bis kaum Aufwand, Vergleichsportale im Internet bieten Überblick über das Preis-/Leistungsverhältnis. Gerade auch wegen der weiteren Kostenexplosion der Arbeitnehmerbeiträge sollte jeder gesetzlich Versicherte zeitnah die Leistungen und Beiträge seiner Kasse prüfen, mit anderen vergleichen, und einen Wechsel zumindest in Betracht ziehen. Bereits zu Jahresbeginn 2021 stiegen die Beiträge nämlich teils empfindlich, dennoch wechselten lediglich etwa 7 Prozent der gesetzlich Versicherten die Kasse. Ein Kassenwechsel kann leicht hunderte Euro im Jahr Ersparnis bedeuten.