Die regionalen Spannungen im östlichen Mittelmeer dürften wieder aufflammen, nachdem die Türkei ein neues Explorationsschiff losschickte. Immerhin geht es hierbei um enorme Erdgasreserven, die auf Ausbeutung warten.
Die Türkei hat die Offshore-Gasförderung in umstrittenen Gewässern des östlichen Mittelmeers nach zweijähriger Unterbrechung wieder aufgenommen, was die regionalen Spannungen weiter anheizen dürfte. Das neue türkische Bohrschiff Abdülhamid Han ist Meldungen zufolge am Dienstag zu Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer aufgebrochen. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, das Schiff werde 55 Kilometer vor der türkischen Küste in einem Gebiet operieren, das er als „souveränes Territorium“ der Türkei bezeichnete.
„Die Vermessungs- und Bohrarbeiten, die wir im Mittelmeer durchführen, liegen innerhalb unseres Hoheitsgebiets. Wir brauchen dafür keine Erlaubnis oder Zustimmung von irgendjemandem“, sagte Erdogan bei einer Zeremonie zum Stapellauf des Schiffes. Allerdings gibt es überlappende Ansprüche der Anrainerstaaten und anstatt sich zusammenzusetzen und sich für eine gemeinsame Ausbeutung der Vorkommen stark zu machen, dominieren nationale Egoismen die Lage.
Das östliche Mittelmeer ist reich an Erdgasvorkommen und könnte zu einem Brennpunkt für regionale und überregionale Streitigkeiten werden, nachdem die russische Militäroffensive in der Ukraine eine weltweite Energiekrise ausgelöst und die Importeure auf die Suche nach alternativen Kohlenwasserstoffquellen geschickt hat. Die Begehrlichkeiten nach den Erdgasreserven in der Region wachsen also immer weiter an.
Der türkische Energieminister Fatih Dönmez kündigte am 26. Juli an, dass das 238 Meter lange Bohrschiff der letzten Generation die Türkei in Richtung eines nicht näher bezeichneten Ortes verlassen werde. Natasa Pilides, Zyperns Energieministerin, sagte einen Tag vor Dönmez‘ Ankündigung, dass Europas Bestreben, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern, die strategische Bedeutung der zyprischen Offshore-Funde erhöht habe. „Europa ist ein guter potenzieller Abnehmer für zyprisches Gas“, sagte Pilides. Die EU hat bestätigt, dass Erdgas bis 2049 ein Brückenkraftstoff im Rahmen des grünen Übergangs sein wird. Seit der Entdeckung von Gasfeldern Anfang der 2000er Jahre wird in zypriotischen Offshore-Blöcken weiter nach Gas geforscht.
Zypern ist seit langem zwischen türkischen und griechischen Zyprioten umkämpft. Ein Militärputsch in Zypern im Jahr 1974 mit dem Ziel, die Insel mit dem griechischen Festland zu vereinen, führte zu einer türkischen Invasion des nördlichen Drittels der Insel und zu einer dauerhaften Teilung. Die selbsterklärte Türkische Republik Nordzypern erkennt das Recht der international anerkannten Republik Zypern – die seit 2004 Mitglied der EU ist – nicht an, ohne ihre Zustimmung Explorationsrechte an ausländische Unternehmen zu vergeben.
Griechenland und die Türkei standen im August und September 2020 kurz vor einer militärischen Konfrontation, nachdem die Türkei ihr seismisches Untersuchungsschiff Oruc Reis entsandt hatte, um in Gebieten, die Griechenland als Teil seines Territoriums beansprucht, nach Öl und Gas zu suchen. Die Spannungen schwelten, bis die Türkei die Offshore-Gasexploration im Dezember 2020 einstellte, kurz nachdem die Europäische Union Ankara mit Wirtschaftssanktionen gedroht hatte.