Kauft China Europas Wirtschaft auf?

Bilder: freepik (Hai via julos, Hintergrund via nicedream30)

Chinesische Unternehmen kaufen sich immer mehr in europäische Unternehmen ein. Auch der deutsche Mittelstand steht im Fokus der Staatskonzerne aus dem Reich der Mitte. Allerdings hinken sie den Amerikanern noch weit hinterher.

China und Europa sind seit Langem verlässliche Handelspartner. Was sich in den letzten zehn Jahren geändert hat, ist Chinas wachsende Präsenz bei europäischen Investitionen. Chinesische Direktinvestitionen in der Europäischen Union (EU) sind in nur acht Jahren um fast das 50-Fache gestiegen, von weniger als 840 Millionen US-Dollar im Jahr 2008 auf ein Rekordhoch von 42 Milliarden US-Dollar (37 Milliarden Euro) im Jahr 2016, wie aus den Statistiken der Rhodium Group hervorgeht. Die weltweiten M&A-Aktivitäten Chinas im Ausland fielen im Jahr 2020 allerdings auf ein 13-Jahres-Tief, da die abgeschlossenen Fusions- und Übernahme-Transaktionen (M&A) insgesamt nur 25 Milliarden Euro betrugen, ein Rückgang von 45 Prozent gegenüber 2019. Die derzeitige Situation spiegelt einen Paradigmenwechsel in den chinesisch-europäischen Beziehungen wider, der im Hinblick auf seine wirtschaftlichen und geopolitischen Auswirkungen auf Europa sorgfältig bewertet werden muss.

Chinas Interessen in Europa sind vielfältig – vom Zugang zu neuen Technologien, Hightech-Ressourcen und Wissen bis hin zu einem breiteren kommerziellen Zugang zum europäischen Markt und dem Zugang zu Drittmärkten (wie den Vereinigten Staaten) über europäische Unternehmensnetzwerke. Chinesische Investoren suchen nach Markennamen, um die Marktfähigkeit ihrer Produkte zu verbessern – sowohl im Inland als auch im Ausland – und übernehmen damit eine Schlüsselrolle in integrierten regionalen und globalen Wertschöpfungsketten. China ist sich darüber im Klaren, dass es seinen politischen und diplomatischen Einfluss in Europa ausbauen kann, wenn es strategische Schritte unternimmt, um in der gesamten Region zu einem wichtigen wirtschaftlichen Akteur zu werden.

Mehr als 350 europäische Unternehmen von China übernommen

Während die europäischen Investitionsströme nach China in der Vergangenheit die chinesischen Investitionsströme ins Ausland übertrafen, hat sich das Blatt seit 2014 rasch gewendet, angetrieben durch Chinas ausländische Direktinvestitionen (ADI) in der EU. Im Jahr 2016 waren die neuen chinesischen Investitionen in der EU mehr als viermal so hoch (und erreichten ein Rekordhoch von 35 Milliarden Euro) wie die europäischen ADI in China (8 Milliarden Euro). Die Gesamtinvestitionen Chinas in Europa, einschließlich Fusionen und Übernahmen (M&A) sowie Investitionen in neue Unternehmen beliefen sich im Jahr 2018 auf 348 Milliarden Dollar, und China hat in den letzten 10 Jahren mehr als 350 europäische Unternehmen übernommen.

Natürlich ist der Anteil der chinesischen Direktinvestitionen in Europa mit 2,2 Prozent im Vergleich zu den marktführenden 38 Prozent der Vereinigten Staaten nach wie vor gering. Auch der Anteil der EU-Länder an den gesamten ausländischen Direktinvestitionen in China lag 2016 bei nur 4 Prozent, gegenüber 36 Prozent der gesamten ausländischen Direktinvestitionen in den Vereinigten Staaten. Obwohl die chinesischen Investitionen in der EU immer noch vergleichsweise niedrig sind, entwickeln sie sich rasch weiter und nehmen mit beispiellosen Wachstumsraten zu.

In den Augen chinesischer Investoren ist Europa in drei verschiedene Zonen unterteilt: den Westen, den Süden und den Osten, die sich in Bezug auf wirtschaftlichen Wohlstand, technologischen Fortschritt, geografische Lage und institutionelle Rahmenbedingungen unterscheiden. Diese Sichtweise führt zu einer diversifizierten Strategie für chinesische Investitionen in Europa, wobei der Schwerpunkt auf Kapitalinvestitionen in den Kernländern der EU liegt, die durch große Infrastrukturentwicklungsprojekte in den Randgebieten ergänzt werden.

In Westeuropa zielen chinesische Investoren auf Europas strategische Vermögenswerte und Forschungs- und Entwicklungsnetzwerke ab, wobei die größten und wohlhabendsten europäischen Länder die meisten Investitionen anziehen. Auf das Vereinigte Königreich (70 Mrd. USD an chinesischen Direktinvestitionen), Italien (31 Mrd. USD), Deutschland (20 Mrd. USD) und Frankreich (13 Mrd. USD) entfielen 75 Prozent der chinesischen Gesamtinvestitionen auf dem EU-Markt im Jahr 2017.

In Südeuropa haben chinesische Unternehmen die Wirtschaftskrise und ihre Folgen genutzt, um sich auf groß angelegte Privatisierungsprozesse und die Umstrukturierung nach der Krise zu konzentrieren. In Italien sind die chinesischen Direktinvestitionen seit 2014 sprunghaft angestiegen und belaufen sich auf fast 5 Milliarden Euro (5,7 Milliarden US-Dollar), was etwa 10 Prozent der gesamten chinesischen Investitionen auf dem europäischen Aktienmarkt entspricht. Im Jahr 2015 wurde Italien durch die Übernahme von Pirelli durch China zum wichtigsten Zielland chinesischer Direktinvestitionen in Europa. Dadurch erhielt China Zugang zu einem der wichtigsten Autoreifenhersteller weltweit und trat in den Ersatzreifenmarkt ein – ein Segment, das bis vor Kurzem von den großen europäischen und japanischen Marken beherrscht wurde. Allerdings reduzierte ChemChina den Aktienanteil nach zwei Jahren wieder unter 50 Prozent, um den Bedenken der Europäer entgegenzukommen. In Griechenland hat der chinesische Staatskonzern COSCO Holdings Company einen Anteil von 67 Prozent am Hafen von Piräus, dem größten Passagierhafen Europas, erworben. Da Piräus nun als Chinas „Tor nach Europa“ gilt, haben sich die Versandzeiten für chinesische Waren um eine Woche verkürzt.

Was den Pro-Kopf-Zufluss von Investitionen in Europa betrifft, so ist Portugal mit einem Zufluss von fast 9 Milliarden Euro der wichtigste Empfänger chinesischer Investitionen. China engagierte sich in Portugal nach der Finanzkrise im Jahr 2010 und investierte in eine breite Palette strategischer Vermögenswerte wie Strom, Transport, Öl, Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Gesundheit und Immobilien.

In Mittel-, Ost- und Südosteuropa betreibt China die Plattform „16+1“ (früher 17+1 bzw. CEEC+China), die eine sehr unterschiedliche Gruppe von EU- und Nicht-EU-Mitgliedern zusammenbringt. In dieser Region sind die Anschaffungspreise niedriger, die Nachfrage nach Vorzugskrediten ist hoch, das Humankapital ist kostengünstig und die Zugeständnisse für chinesische Investoren sind vereinfacht. Vor allem aber ist die strategische Lage perfekt. Mittel- und Osteuropa passen ideal zu den wichtigsten Zielen Chinas: Verkehrsnetze für die Belt and Road Initiative und Investitionsziele für die weitere Kapitalerweiterung in der EU. Allerdings machen die chinesischen Investitionen in der Region im Vergleich zu den Kernländern der EU nur einen geringen Prozentsatz aus.

Fragwürdige Gegenseitigkeit

China ist nicht gerade ein einfacher Partner für die EU. Zu den umstrittenen Themen gehören die Rechte an geistigem Eigentum, Preisverzerrungen aufgrund von subventioniertem Dumping, ungleiche Bedingungen für den Marktzugang sowie die Diskriminierung von EU-Unternehmen bei Ausschreibungen der chinesischen Regierung. Hinzu kommt die Frage der Gegenseitigkeit, bei der Sektoren wie Finanzen, Telekommunikation, Logistik und öffentliches Auftragswesen ausländischen Investoren in China vorenthalten werden, chinesischen Investoren in der EU jedoch offen stehen. Dadurch wird der politische Aspekt des asymmetrischen Marktzugangs noch verstärkt. Die schiere Menge an Investitionen – mehr als 70 Prozent stammen von chinesischen Staatsunternehmen, die von der Regierung unterstützt werden – überfordert und verwirrt die politischen Entscheidungsträger, die Auswirkungen auf die europäische Souveränität und Sicherheit zu erkennen.

Viele europäische Volkswirtschaften, die sich noch immer nicht vollständig von der Krise in der Eurozone erholt haben, haben chinesische Investitionen als Quelle von Finanzkapital und damit als Mittel für Wachstum, Steuereinnahmen, Beschäftigung, Infrastrukturentwicklung und Marktchancen positiv gesehen. Erst in den letzten Jahren sind einige Bedenken aufgekommen, da die europäischen Hauptstädte darum ringen, das richtige Gleichgewicht zwischen den Grundprinzipien der wirtschaftlichen Offenheit und den Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit der wachsenden chinesischen Präsenz in Europa zu finden. Zu den Bedenken gehören die wahrgenommene Rolle des chinesischen Staates in der Wirtschaft, das Fehlen von Gegenseitigkeit und fairem Wettbewerb, das Risiko des Verlusts der nationalen Wettbewerbsfähigkeit und der technologischen Führungsrolle sowie eher traditionelle Sicherheitsbedenken in Bezug auf kritische Infrastrukturen, strategische Güter und Verteidigungstechnologien. Aber auch der Wissens- und Technologietransfer über die Patente der übernommenen Unternehmen spielt eine gewisse Rolle.

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