Nicht nur in Österreich wird zunehmend bezweifelt, dass eine allgemeine Impfpflicht in Kraft treten wird: Auch in Deutschland wankt der geplante direkte Impfzwang gewaltig. Unter den Abgeordneten der Ampel-Regierung herrscht Uneinigkeit über die Ausgestaltung des Gesetzes, Teile der FDP, allen voran Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki, stemmen sich noch immer komplett gegen die Impfpflicht. Und auch von anderer Seite häufen sich negative Stimmen.
So forderte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, gegenüber dem RND eine klare Abkehr von der Impfpflicht:
Die Diskussion über die Impfpflicht überschattet aktuell alles. Doch ob sie wirklich kommt, wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Auch wenn der Bundeskanzler das Thema Impfpflicht zur Chefsache erklärt hat, sollte Olaf Scholz jetzt auch die Größe zur Umkehr besitzen. Denn schon viel zu lange wurden dringendere Themen aufgeschoben.
Er weist darauf hin, dass auch die Virusvarianten der Zukunft nicht aufzuhalten sein werden und dass die Impfung zu keiner sterilen Immunität führt. Anstelle einer Impfpflicht sieht Brysch die Notwendigkeit einer Pflegereform: Pflegebedürftige sollen entlastet werden, die Krankenhausversorgung im ländlichen Raum soll gestärkt werden.
Zuvor hatte auch STIKO-Chef Thomas Mertens der Impfpflicht eine Absage erteilt: „Dies würde zu einer noch stärkeren Polarisierung führen, und viele Menschen würden mit großer Intensität versuchen, dieser Pflicht zu entgehen.“ Er sieht die Impfpflicht keinesfalls als wissenschaftliche, sondern als rein politische Entscheidung.
Ethikrat relativiert seine Empfehlung
Der Deutsche Ethikrat wiederum hatte Ende Dezember noch ein Ja zur Ausweitung der geplanten einrichtungsbezogenen Impfpflicht auf „wesentliche Teile der Bevölkerung“ gegeben (und damit prompt scharfe Kritik selbst aus den eigenen Reihen geerntet). Nun jedoch rudert man plötzlich zurück und hebt hervor, dass das Votum ja gar nicht eindeutig ausgefallen sei und überhaupt auch gar nicht uneingeschränkt gelte. Das Gremium habe sich etwa bei seiner Empfehlung auf die Bedingungen der Delta-Variante gestützt – bei einer Änderung der Lage wie durch die Omikron-Variante müssten jedoch neue Einschätzungen vorgenommen werden. Die Vorsitzende des Rats, Alena Buyx, sagte dazu: „Es kann ja sein, dass sich erneut wichtige Dinge verändern, zum Beispiel, dass unsere bisherige Impfquote bei zukünftigen, harmloseren Mutationen doch ausreicht, um in eine kontrollierte endemische Lage zu gelangen.“ Die weltweite Ausbreitung der Omikron-Variante war zur Zeit der Impfpflicht-Empfehlung durch den Ethikrat zwar schon längst Fakt, aber irgendwie muss man seine eiligen Relativierungen ja begründen: Als der Mainstream im Dezember das Ja zur Impfpflicht feierte, hatte man sich dazu zumindest noch nicht genötigt gesehen. In jedem Fall seien laut Ethikrat noch nicht genügend „niedrigschwellige, flächendeckende Impfangebote“ gemacht worden und es fehle eine „echte zielgruppenspezifische Strategie“ zur Erhöhung der Impfquote. Eine sofortige Einführung einer Impfpflicht sei so problematisch.
Kubicki: „Man muss akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen wollen“
Tatsächlich wird auch unter Kritikern der Impfpflicht stets betont, dass die Impfung für den Einzelnen den „besten“ Schutz darstelle (entgegen der Faktenlage zur natürlichen Immunität). Beim Empfehlen von „milderen“ Mitteln geht es dementsprechend fast immer darum, dass die Menschen auf andere Weise zur Impfung „motiviert“ werden sollen. Dabei verkennt man freilich die simple Tatsache, dass jene, die nun ein Jahr lang dem massiven Druck der Politik standgehalten haben und trotz massiver Diskriminierung und Ausgrenzung Covid-impffrei geblieben sind, sich nicht durch noch mehr bunte Prospekte oder mobile Impfteams zum Schuss bewegen lassen werden. Im Interview mit der „Welt“ hielt FDP-Vize Kubicki nun zumindest endlich fest: „Man muss akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen wollen.“ Damit hat er Recht. Ob dies jedoch auch Politiker wie Scholz oder Lauterbach einsehen werden, darf bezweifelt werden.