Biometrik und Künstliche Intelligenz sollen für den „Bildungsbereich“ gebündelt werden. Eine neue Allianz will für mehr Akzeptanz dieser fatalen technischen Entwicklung werben. Doch geht es wirklich darum – oder um die Ermöglichung von Totalüberwachung und -kontrolle?
Tatsächlich drohen uns eben diese Konsequenzen aus dieser Wissenschaft, die Grenzen sprengt und die politischen Folgen ihrer Erkenntnisse selten in letzter Konsequenz abschätzt: Das ist nicht erst seit dem Manhattan-Projekt und Dürrenmatts „Die Physiker“ ein Dauerbrenner. Allen heutigen ethischen Standards und Compliance-Selbstverpflichtungen zum Trotz haben die meisten Forschungseinrichtungen und akademischen Thinktanks dennoch wenig Skrupel, Grenzen zu verschieben, Tabus zu brechen und vor allem neue Technologien zu entwickeln, die ein erhebliches Missbrauchspotenzial entfalten können.
Manchmal können sie es sogar schon vorher genau wissen, wofür ihre Neuerungen dereinst zweckentfremdet werden – so wie im Fall einer neuen internationalen „Bildungsoffensive“ namens „EdSAFE AI Alliance“, die nun vom auf den Bildungsbereich spezialisierten Unternehmen Riid und dem gemeinnützigen Konsortium DXtera gemeinsam ins Leben gerufen wurde, um, so beschreibt es das Portal „BiometricUpdate.com“, “das öffentliche Vertrauen in den Einsatz künstlicher Intelligenz im Bildungssektor zu stärken“. Denn dieses, so die Überzeugung der Allianz, sei vor allem „durch Probleme mit auf Gesichtserkennung basierenden Prüfungssystemen erschüttert“ worden.
Es handelt sich hier also um eine Art PR-Zweckbündnis, mit dem wohlbegründete und mehr als berechtigte Sorgen großer Bevölkerungsgruppen in eine Technologie zerstreut werden sollen – und das, obwohl sich die Risiken einer durch Künstliche Intelligenz amplifizierten Biometrik bereits realisiert haben. Der Blick auf die Social-Scoring-Abgründe in China samt Echtzeit-Personentracking und algorithmengestützter Verhaltensvorhersagen zeigt, dass Orwells 1984 nicht erreicht, sondern bei weitem übertroffen wurde.
Zwar will die neue Allianz „freiwillige Benchmarks“ und „Standards zur Messung der Qualität und Zuverlässigkeit“ von KI-Technologien im Bildungsbereich festlegen – doch dabei handelt es sich letztlich nur um Selbstverpflichtungen, die von den Marktteilnehmern und vor allem interessierten Regierungen und ihren Geheimdiensten absehbar ebenso ernst genommen werden, wie etwa die Bestimmungen des Atomabkommens durch den Iran. Erst vor wenigen Wochen hatte die Association for Computing Machinery (ACM) Richtlinien für Ferntests und Prüfungsaufsicht veröffentlicht, nachdem Bedenken hinsichtlich der „Effektivität und Fairness“ von Prüfungssystemen, die biometrische Gesichtsdaten verwenden, lautwurden. Man fühlt sich hier an die Totgeburt „Google Glass“ erinnert, das keine öffentliche Akzeptanz erlangen konnte, weil es die meisten Menschen als Stalker- und Spionageinstrument wahrnahmen – obwohl es für ganz andere Zwecke im reinen Privatgebrauch gedacht war.
So könnte es auch bei der Biometrik-KI-Anwendung für Schulen und Unis sein. Was fürs Klassenzimmer oder den Hörsaal gedacht ist, landet am Ende als nützliche Anwendungsmöglichkeit beim Militär oder beim Staatsschutz – und wird gegen „Feinde“ in Inneren und Äußeren eingesetzt. (DM)
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