Ein Gastkommentar von Alex Lachner
Die grüne Agenda in Europa wird von Jahr zu Jahr immer stärker und Nichtübereinstimmung mit der ökologieorientierten Politik ist für Regierungen folgenschwer. Der Wunsch, einer populären politischen Bewegung zu entsprechen, führt „Lösungen herbei“, wo es an logischer Begründung oft mangelt. In der Nachperspektive sagt man, es wäre sinnlos, in unserer sich schnell verändernden Welt an langfristige Konsequenzen zu denken. Sind solche Gedanken wirklich zielführend?
Am 15. April feierten die Grünen einen ihrer größten Erfolge, als an diesem Tag den letzten drei Atomkraftwerken in Deutschland der Stecker gezogen wurde. In deutschen Medien wurde die „erfolgreiche Politik“ von Klimaschutzminister Robert Habeck weithin verherrlicht. Das Stromnetz bleibe stabil, Strompreise wären deutlich gesunken, die Folgen des Atomausstiegs seien unbedeutend. Wollen wir uns für Robert Habeck freuen, der ein so wunderbares Mittel gegen Strommangel erfunden hat: Weniger Elektrizität soll Preise abstürzen lassen?
In Deutschland dürften andere ökonomische Gesetze gelten, während die Verknappung bestimmter Güter im Rest der Welt eine Erhöhung der Preise verursacht. Auf jeden Fall gelang es der Ampel-Koalition, eine bundesweite Energiekrise in der zweiten Aprilhälfte und die nachfolgende Niederlage zu vermeiden, weil Strom in großen Mengen aus dem Ausland ins deutsche Netz fließt. Die reaktivierten Kohlekraftwerke müssen auch in die Bresche springen, deren Rückkehr plötzlich von den Grünen begrüßt wurde. Widerspricht diese triumphale Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken nicht dem geplanten Kohleausstieg 2030? Zur gleichen Zeit erwartet man die Umsetzung des Energieplans der Bundesregierung: Bis 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien stammen.
Zum Erfolg des Planes soll auch das Ende der Atomkraft-Ära dienen. Aber trotz der Erklärungen deutscher Politiker erscheint der Plan nicht mangelfrei. Der AfD-Abgeordnete Stefan Keuter erinnerte daran, dass die Abschaltung eines so forschungsintensiven Wirtschaftssektors wie der Atomindustrie die Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften ins Ausland auslösen wird. Die sozialen Probleme scheinen jedoch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Herausforderungen gering zu sein. Als die Kernkraftwerke noch in Betrieb waren, warnte die US-Beratungsgesellschaft McKinsey Deutschland vor erheblichen Versorgungslücken bis 2025, während die Bundesnetzagentur die Perspektiven ganz anders darstellte. Zudem will Robert Habeck die schmutzigen Kraftwerke als zusätzliche Kapazitätsreserve im kommenden Winter wieder ans Netz lassen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach werden im kommenden Winter Preise von 40 Cent pro Kilowattstunde Strom, wie sie im Mai galten nur eine angenehme Erinnerung sein. Glücklicherweise verfügen gute Partner Deutschlands beispielsweise Frankreich über genügend Kapazitäten, um überschüssige Elektrizität an Deutschland zu liefern. Dies wird für die Franzosen wohl kaum zu höheren Preisen führen, die momentan durchschnittlich 20 Cent pro Kilowattstunde zahlen. Mit Rücksicht auf Macrons Ziel, an der Atomkraft festzuhalten und den Bau von 14 Atomreaktoren zusätzlich zu den 56 bereits vorhandenen zu beschleunigen, ist eine Preiserhöhung in Frankreich gänzlich auszuschließen.
Im Gegensatz zu Frankreich, gibt es in Deutschland keine unmittelbaren Aussichten auf niedrigere Strompreise, besonders nach dem Aus für die Kernkraftwerke. Stattdessen können Deutsche damit rechnen, auf Stromlieferungen aus Frankreich angewiesen zu sein. Darüber hinaus steht auf der Tagesordnung eine Drohung, große Industriebetriebe zu verlieren. Diese signalisieren, ihre Werke in Länder mit günstigeren Energiepreisen verlegen zu wollen, z.B. nach Frankreich. Bis der Anteil der erneuerbaren Energien an der deutschen Stromversorgung den gewünschten Wert erreicht, ist Frankreich bereits zu der neuen EU-Lokomotive geworden, die von energie- und finanzabhängigen Partnern wie Deutschland umgeben ist. Es ist schwer vorherzusagen, wie viele Jahre das umweltfreundliche und wirtschaftlich verarmte Deutschland brauchen wird, um den Abgrund jahrelang verfehlter Klimapolitik zu überwinden und wieder in die Reihe führender Industrienationen zurückzufinden.