Trotz bekannter gesundheitlicher Negativauswirkungen der Überjodierung hält man in Deutschland bis heute an der sogenannten Jodprophylaxe fest. Ein offener Brief an alle deutschen Volksvertreter sowie an die Minister Karl Lauterbach und Cem Özdemir im Speziellen fordert nun, diese Praktik endlich im Sinne der Gesundheit der Bürger zu hinterfragen. Kritische Nachfragen gehen zudem an den Arbeitskreis Jodmangel und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Unterzeichnet wurde der Brief von Dr. Timo Böhme, Autor des Buches „Chronik und Kritik zur Jodprophylaxe“, der Deutschen Selbsthilfegruppe der Jodallergiker, Morbus Basedow- und Hyperthyreosekranken, dem bekannten kritischen Mediziner Dr. Gerd Reuther und einigen weiteren Unterstützern.
Nachfolgend lesen Sie die Appelle aus dem offenen Brief – als pdf finden Sie ihn am Ende des Artikels:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Seit 40 Jahren wird in Deutschland jodiertes Salz eingesetzt. Die EU ermöglichte mit der Richtlinie 70/524/EWG des Rates zudem den Einsatz von jodierten Futtermittelzusätzen in der Größenordnung eines möglichen Jodtransfers von bis zu 10 mg Jod pro Liter Milch. Die sogenannte Jodprophylaxe in Deutschland besteht damit aus 5 Komponenten:
1.) Eine nicht gekennzeichnete und nicht quantifizierte, faktische Zwangsjodierung sämtlicher Konsumenten von Lebensmitteln tierischen Ursprungs.
2.) Ein nicht gekennzeichneter Einsatz von jodiertem Salz beim Absatz loser Ware wie z.B. Backwaren und Wurstwaren.
3.) Ein nicht gekennzeichneter Einsatz von jodiertem Salz im Gaststättengewerbe und in der Gemeinschaftsverpflegung.
4.) Ein nur zum Teil gekennzeichneter Einsatz von jodiertem Salz bei der Herstellung verpackter Lebensmittel für den Einzelhandel.
5.) Ein aus Sicht des Verbrauchers freiwilliger Einsatz von jodiertem Speisesalz im Haushalt.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
Es ist einer freien Gesellschaft und selbstbestimmten Bürgern nicht würdig, einer faktischen Zwangsmaßnahme im Bereich von Ernährung und Gesundheit unterworfen zu werden, welche nicht nachvollziehbar und zum Teil kaum bekannt ist. Die Unterzeichner fordern Sie daher auf, nach 40 Jahren Jodsalzeinsatz in Deutschland und einer Zulassung der Futtermitteljodierung in der EU seit 1970, endlich Transparenz zu Methoden, dem Umfang und den Auswirkungen der Jodprophylaxe zu schaffen. Befragen Sie den Bundesgesundheitsminister und den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft und fordern Sie eine öffentliche Stellungnahme der involvierten Oberbehörden Robert Koch-Institut, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Bundesamt für Risikobewertung und Max Rubner-Institut. Geben Sie sich nicht, wie in der Vergangenheit geschehen, mit oberflächlichen Aussagen zum Einsatz von jodiertem Speisesalz zufrieden. Die Jodprophylaxe umfasst zusätzlich den Einsatz von jodiertem Nitritpökelsalz und vor allem den Einsatz jodhaltiger Futtermittelzusätze. Hinterfragen Sie vor allem auch die Mengen an Jod, welche im Verlauf und der Geschichte der Jodprophylaxe wirklich zur Futtermitteljodierung eingesetzt worden sind und zumindest zulassungsseitig beträchtlich waren. Befragen Sie den Bundesgesundheitsminister zur Anzahl und zahlenmäßigen Entwicklung von Schilddrüsenerkrankungen in Deutschland vor und seit Beginn der Jodprophylaxe und legen sie vor allem Augenmerk auf Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse, da diese durch den Jodeinsatz bedingt sein könnten. Schaffen Sie im Rahmen einer öffentlichen Debatte im Bundestag vor allem auch Transparenz zu den möglichen unerwünschten Nebenwirkungen der Jodprophylaxe.
Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. med. Karl Lauterbach,
Die Jodprophylaxe ist ein ca. 100 Jahre andauerndes, von Seiten der WHO forciertes und mittlerweile weltumspannendes Gesundheitsprojekt. Nach Zeitdauer und Anzahl der involvierten Länder und deren Einwohner dürfte es eines der größten, wenn nicht sogar das größte Gesundheitsprojekt der Welt sein. Im Gegensatz dazu ist das Wissen um Methoden und Auswirkungen der Jodprophylaxe erstaunlich gering, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in Politik, Behörden und Wissenschaft. Auch die zum Teil sehr unterschiedlichen Herangehensweisen, selbst innerhalb der Länder der EU, sind intransparent und schwer recherchierbar. Die Unterzeichner bitten Sie daher, im Rahmen der Gespräche mit den Gesundheits- und Ernährungsministern der EU, sowie der Europäischen Kommission, auf den Aufbau eines EU-Internet-Portals zu drängen, welches die unterschiedlichen Herangehensweisen der Mitgliedsstaaten sowie Geschichte und Rechtslage zur Jodprophylaxe in der EU transparent und wissenschaftliche Ergebnisse sowie Statistiken, u.a. zu Schilddrüsenerkrankungen, recherchierbar macht. Eine Erweiterung des EUthyroid-Projektes wäre dazu möglicherweise geeignet. Wir fordern Sie zudem auf, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina mit einer entsprechenden Recherche und Meta-Analysen zu den Ergebnissen der Jodprophylaxe weltweit zu beauftragen und diese zu finanzieren.
Sehr geehrter Herr Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir,
Die Jodprophylaxe fällt in die Zuständigkeit Ihres Ressorts und wird von den Bundesländern überwacht, wenngleich nur wenige Aktivitäten in dieser Hinsicht bekannt sind. Die Unterzeichner fordern Sie auf, gemeinsam mit den zuständigen Vertretern der Bundesländer und den Oberbehörden Ihres Hauses eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung und Überwachung der Jodprophylaxe zu bilden und deren Ergebnisse öffentlich zu machen. Wir fordern Sie weiterhin auf, jodiertes Salz endlich verpflichtend der Liste der Allergene und Zusatzstoffe hinzuzufügen, welche im Gaststättengewerbe zur Verfügung gestellt werden muss.
An die Mitglieder des Arbeitskreises Jodmangel e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V.,
Sie haben mittels institutioneller Macht und Ihrer Netzwerke in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie unter Einflussnahme mächtiger nationaler und internationaler Lobby-Organisationen, wie der WHO, der WIA (World Iodine Association) u.a., die Jodprophylaxe in Deutschland installiert und durchgesetzt. Die Unterzeichner fordern Sie hiermit auf, öffentlich Rechenschaft abzulegen über Ihr Wirken und das Wirken Ihrer Vorgänger in den nationalen und internationalen Institutionen. Legen Sie die Dokumente offen, mit denen Sie Einfluss auf die nationale, europäische und internationale Politik genommen haben. Z.B. interessiert es uns, warum bei der Entscheidung des Bundesrates zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Vorschriften über jodiertes Speisesalz (Drucksache 554-93) und der entsprechenden Ausschussempfehlung (Drucksache 554-1-93) die Futtermitteljodierung keine Erwähnung fand, obwohl diese zum gegebenen Zeitpunkt weit mehr Jod beigetragen haben dürfte als der Jodsalzeinsatz selbst? Warum wurde die Futtermitteljodierung in den letzten 40 Jahren nur selten am Rande erwähnt und nicht quantifiziert? Welche wissenschaftlichen Ergebnisse und Erwägungen haben das entsprechende EFSA-Panel (der europäischen Behörde für Nahrungsmittelsicherheit) dazu bewogen, die Futtermitteljodierung von 40 mg Jod pro kg Tierfutter nach Richtlinie 70/524/EWG auf 2-3 mg zu senken (Empfehlung). Welche Jodmengen wurden durch Desinfektionsmittel und verwertete Abfälle in die Tierernährung eingetragen? Haben Sie sich mit den Stellungnahmen der Lebensmittelsicherheitsbehörden anderer Mitgliedsländer beschäftigt, u.a. der Stellungnahme der französischen AFFSA vom Jahr 2005 (Évaluation de l’impact nutritionnel de l’introduction de composés iodés dans les produits agroalimentaires)? Welche Schlussfolgerungen haben Sie gegebenenfalls aus den Hinweisen zur Gefahr einer Überjodierung und der Einschränkung des Jodsalzeinsatzes in Frankreich gezogen? Wir möchten zudem wissen, warum zum wohl größten deutschen Gesundheitsprojekt, der Jodprophylaxe, kein valides Monitoring installiert wurde? Warum gibt es z.B. keine bundesweite Statistik zu Schilddrüsenerkrankungen, aus der man Erfolg und Nebenwirkungen der Jodprophylaxe ableiten könnte? Warum fehlt es an epidemiologischen Studien und Meta-Analysen, die den Jodeinsatz und seine Auswirkungen auf europäischer Ebene vergleichen?