Für viele Jahre hat Moskau zugesehen, wie die USA und die NATO in Osteuropa und in Zentralasien für Unruhe sorgten. Farbrevolutionen, die Stationierung von Raketensystemen und Truppen, sowie die Verhängung von immer mehr Sanktionen sorgten für wachsende Spannungen. Nun stellt sich die Frage: Schlägt der Russische Bär zurück?
Ein Kommentar von Heinz Steiner
Die Fronten zwischen Russland auf der einen Seite und den Vereinigten Staaten und der NATO auf der anderen Seite sind verhärtet. Der Westen droht mit mehr Sanktionen und „Strafmaßnahmen“, Russland antwortet mit entsprechenden Gegenmaßnahmen. Der NATO-Russland-Rat ist nicht mehr existent, das „Open Skies“-Abkommen hat genau wie das Abkommen zum Verbot von Mittelstreckenraketen ein Ende gefunden. Der Hauptgrund? Der Maidan-Putsch 2013/2014 samt der Rebellion der vorwiegend von Russen besiedelten Donbass-Region und der Rückkehr der Krim zu Russland (vom Westen als Annexion bezeichnet). Hinzu kommen die „Nowitschok“-Vergiftungsfälle (Skripal, Navalny), die Moskau zugeschrieben werden. Wobei sich hier die Frage stellt, warum es nicht mehr Todesfälle gab, wenn das Nervengift doch angeblich so hochgefährlich ist. Doch das nur am Rande.
Interessanter ist der Umstand, dass Moskau nun nach mehreren verbalen Kritiken von Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow dem Westen (in Form der NATO und der Vereinigten Staaten) quasi ein Ultimatum gestellt hat. The Saker hat dieses (in englischer Sprache) zusammengefasst. Die wichtigsten Kernpunkte daraus finden Sie nachfolgend.
Bereitschaft zur Kooperation
Moskau hat deutlich gemacht, dass es nicht in eine sinnlose Konfrontation hineingezogen werden möchte, obwohl so viele „unfreundliche Schritte gegen uns“ gemacht wurden. Seitens der Russen will man weiterhin mit dem Westen zusammenarbeiten und eine stabile Sicherheitsarchitektur aufbauen. So heißt es in der Präambel:
Wir glauben weiterhin fest an die strategische Gemeinsamkeit der Ziele mit allen Staaten und Organisationen der euro-atlantischen Region, um Frieden und Stabilität zu erhalten und gemeinsamen Sicherheitsbedrohungen – internationalem Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Drogenhandel und Piraterie – zu begegnen. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass es keine wirkliche Alternative zu einer für beide Seiten vorteilhaften und breit angelegten gesamteuropäischen Sicherheitszusammenarbeit auf der soliden Grundlage des Völkerrechts gibt. Die Position Russlands bleibt unverändert – unser Land ist bereit, die Beziehungen zur NATO auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu entwickeln, um die umfassende Sicherheit in der euro-atlantischen Region zu stärken. Die Tiefe und der Inhalt dieser Beziehungen werden von der gegenseitigen Bereitschaft des Bündnisses abhängen, die legitimen Interessen Russlands zu berücksichtigen.
Die Russen haben den Amerikanern bei einem Treffen im Außenministerium auch einen Vertragsentwurf zwischen der Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten von Amerika überreicht. Dieser behandelt Sicherheitsgarantien und eine Übereinkunft über Maßnahmen zur Absicherung der Sicherheit der Russischen Föderation und der NATO-Mitgliedstaaten. Moskau beruft sich darin auf die Erklärungen der Grundsätze des internationalen Rechts von 1970, der UN-Charta, sowie weiteren internationalen Abkommen der letzten Jahrzehnte.
Rote Linien
Die Russen haben in ihrem Ultimatum auch klargemacht, dass sie ebenfalls ihre „Roten Linien“ haben. Die wichtigste davon betrifft die Ukraine. Dort sollen weder NATO-Truppen noch NATO-Waffensysteme installiert werden. Warum? Weil dies für den Kreml eine direkte Sicherheitsbedrohung darstellen würde. Von der russisch-ukrainischen Grenze aus sind es nur wenige hundert Kilometer bis nach Moskau. Dank Trumps Aufkündigung des Vertrags über das Verbot der Entwicklung und Stationierung von Mittelstreckenraketen könnten solche Massenvernichtungswaffen dort stationiert und sogar eingesetzt werden. Das ist für Moskau inakzeptabel. Stellen Sie sich vor, die Russen würden solche Raketensysteme an der kanadisch-amerikanischen Grenze aufstellen wollen. Das wären gerade mal rund 500 Kilometer bis nach Washington DC. Wie würden die Amerikaner darauf reagieren? Erinnern Sie sich an die Kuba-Raketenkrise unter Präsident John F. Kennedy? Da waren es etwas mehr als 350 Kilometer bis nach Miami, Florida und bis nach Washington DC sogar mehr als 1.800 Kilometer. Und diese Krise hätte beinahe den Dritten Weltkrieg ausgelöst.
Während die Amerikaner selbst ganz gut darin sind, „Rote Linien“ aufzuzeichnen, scheinen sie sich jedoch nicht um dieselben anderer Länder zu kümmern. Die „unverzichtbare Nation“ (O-Ton Barack Obama) fordert von anderen Staaten zwar die Einhaltung „internationaler Normen“ ein, hält sich selbst jedoch nicht immer daran. Doch Moskau hat nun einen „Game Changer“ eingeführt. Indem Russland seine Forderungen öffentlich gemacht hat, hat es (zum ersten Mal) auch eine Botschaft an die Menschen im Westen gesendet. Diese Botschaft lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Wir wollen keinen Krieg, aber wenn ihr darauf besteht, werden wir uns fügen.“ Und zum ersten Mal seit 1991 verfügt Russland über die objektiven Mittel, um diese Ziele zu erreichen.
Technische militärische Überlegenheit
All die Unterstellungen, all die Sanktionen und Drohungen gegen Moskau haben dazu geführt, dass die Russen ihre militärischen Innovationen vorantrieben. Während im Westen (vor allem in den Vereinigten Staaten) die großen Rüstungskonzerne, deren Zulieferer und die Zulieferer der Zulieferer völlig überteuertes Kriegsgerät herstellen, haben die Russen den Vorteil einer verstaatlichten Rüstungsindustrie. Auch dort wird es wahrscheinlich Korruption und persönliche Bereicherung geben, aber diese ist offensichtlich nicht so groß wie jene in den USA. Während der Stealth Fighter der fünften Generation der Amerikaner, die F-35, mit allerhand technischen Problemen zu kämpfen hat, scheint es mit dem russischen Gegenstück, der Su-57, kaum Probleme zu geben. Und nicht nur das: die Su-57 scheint auch in kritischen Bereichen besser als die F-35 zu sein.
Aber das ist noch nicht einmal der Hauptpunkt, warum Washington und Brüssel vor einer wirklichen militärischen Konfrontation mit Moskau zurückschrecken. Haben Sie schon einmal von den Hyperschallraketen gehört? Nun, Russland ist zusammen mit China auf diesem Gebiet Weltführer. Die Produktion wird sogar bald in Serie gehen. Das heißt: Immer mehr U-Boote, Kriegsschiffe und stationäre Stützpunkte werden mit solchen modernen Waffen ausgerüstet. Manche konventionell, manche nuklear bewaffnet. Doch in jedem Fall für die westliche Luftraumabwehr unmöglich abzufangen. Ein solcher Raketenregen würde sämtliche NATO-Stützpunkte in Europa und die US-Stützpunkte zu Hause und in Übersee binnen weniger Minuten außer Gefecht setzen. Selbst die „schwimmenden Festungen“, die Flugzeugträger, wären wohl innerhalb von wenigen Minuten nur mehr Schiffswracks. Sollten die Russen auf die völlige Zerstörung der USA aus sein, wären wohl auch die amerikanischen Atomkraftwerke im Visier dieser Raketen und würden Nordamerika nuklear verseuchen. Nicht nur in Moskau weiß man das.
Schlägt der Russische Bär zurück?
All die Jahre über wurde der Russische Bär gereizt. Doch nun ist er offenbar bereit zurückzuschlagen. Das Kriegsszenario ist klar: Sollten es die USA und die NATO tatsächlich wagen, die Roten Linien Moskaus zu überschreiten, wäre wohl eine niederschwellige Gegenreaktion zu erwarten. Das heißt: Sollten die Amerikaner tatsächlich Truppen und schweres Kriegsgerät in der Ukraine stationieren, wäre wohl ein russischer Einmarsch in den umkämpften Donbass denkbar. Eine Eingliederung der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk in die Russische Föderation gilt hierbei als wahrscheinliche Option. Die USA und die EU würden dann wohl mehr Sanktionen verhängen (inkl. der Ausschließung Russlands aus SWIFT), was Moskau noch stärker in die Arme Pekings treiben dürfte. Dieser „kontinentale Block“ als formales Bündnis (derzeit ist es eher informal) wäre für die USA und deren Verbündeten eine uneinnehmbare Festung – und ein absolut tödlicher Gegner.
Washington und Brüssel täten also gut daran, das „russische Ultimatum“ zu akzeptieren und vor allem zu respektieren. Auch in der heutigen Zeit gibt es noch „Einflusssphären“. Dies gilt es anzuerkennen. Vor allem so lange, wie man im Westen die multipolare Weltordnung nicht anerkennen will, die vor allem von Moskau (aber auch von Peking und bedingt auch Neu Delhi) angestrebt wird. Denn irgendwann schlägt der Bär zurück. Und das dürfte kein Mensch auf der Welt, der noch völlig bei Verstand ist, wirklich wollen.