Eines der heikelsten Themen der heutigen Zeit ist wohl unser Bildungssystem. Ziel dieses maroden Systems ist weniger, die Entwicklung unserer Kinder zu selbst denkenden, eigenverantwortlichen Menschen zu fördern, als diese zu hörigen, folgsamen Bürgern zu erziehen, die die Angaben „von oben“ als gegeben hinnehmen. Dinge zu hinterfragen scheint in Zeiten wie diesen immer weniger erwünscht. Isolde Mitter ist eine jener Mütter, die sich für einen neuen, freieren Bildungsweg entschieden hat. Anfang Oktober lud sie nun zum ersten Bildungskongress der „Freigeist-Akademie“ in Marchtrenk ein.
Ein Kommentar von Isolde Mitter
„Alleine sind wir stark, gemeinsam noch viel stärker.“ Unter diesem Motto habe ich am 7.10.2023 zum 1. Bildungskongress der Freigeist–Akademie in Marchtrenk, OÖ eingeladen. Eine neue Bildungslandschaft baut sich in Österreich auf und großartige Projekte sind in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum entstanden.
Grund genug, unsere Kräfte noch mehr zu bündeln, sich zu verbinden und sich nun auch persönlich kennenzulernen und auszutauschen. So durfte ich an diesem Tag wunderbare Menschen aus ganz Österreich begrüßen und viele interessante Menschen auf die Bühne bitten. Gemeinsam haben sie sich auf den Weg gemacht, um dieses große Projekt anzugehen. Ob wir seitens der Politik zukünftig etwas erwarten dürfen, bleibt nach wie vor fraglich. Bisher wurden die Eltern und Vereinigungen, die für Kinder ganzheitliche Lernkonzepte und selbstbestimmtes Lernen ermöglichen möchten, von den Behörden attackiert und bestenfalls ignoriert.
Aktivist ist, wer AKTIV ist!
Eltern, die schon jahrelang den Weg der selbstbestimmten Bildung mit ihren Kindern gehen, berichteten über die Höhen und Tiefen, die Dos and Don’ts auf diesem Weg. Menschen, die sich mit Herz & Seele dieser neuen Bildungsthematik verschrieben haben, ließen uns einen enormen Erfahrungsschatz zuteilwerden. Vor Ort waren PädagogInnen, Juristen, SchuldirektorInnen und sehr bewusste Eltern. Allen voran war es mir eine besondere Freude, Karin & Joya von „Mitananda Lernen“ aus der Steiermark zu begrüßen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Begleitung von Eltern und Lernbegleitern, die ihren Kindern neue Rahmenbedingungen schaffen möchten und selbst noch mit alten, hinderlichen Mustern konfrontiert sind.
Will man selbst ein Kindertreff mit pädagogischer Begleitung aufbauen oder einen Verein gründen, ist man bei der Freigeist-Akademie gut aufgehoben. Auch ich erzählte aus meinem Berufsalltag. In Zeiten, in denen es nötig ist, Pionierarbeit zu leisten, braucht es vor allem viel innere Ruhe und Klarheit, einen guten Zugang zur eigenen Intuition und die Erinnerung, dass unser gesamtes Potenzial bereits IN uns liegt. Immer mehr Menschen erkennen diese Notwendigkeit und lassen sich bei diesem Vorhaben durch Bewusstseinstraining begleiten. Wenn sich Eltern für eine selbstbestimmte Bildungsmöglichkeit für ihre Kinder entscheiden, ist es sinnvoll, sich professionell coachen zu lassen. Gefragt ist Schwarmwissen, weil das Rad nicht jeder neu erfinden muss.
Neues System im Außen? Zuerst muss das alte System aus unseren Köpfen raus.
GründerInnen von ganzheitlich aufgebauten Kindertreffs und Privatschulen stellten ihre Konzepte vor und berichteten von der Arbeit mit den jungen Menschen. Auch Dr. Roland Ortner, der sich mit seiner Expertise schon seit einigen Jahren ehrenamtlich für Familien einsetzt, die ihren Kindern eine selbstbestimmte Bildung ermöglichen möchten, informierte uns über die rechtliche Situation in Österreich.
Auch, wenn man oft von einer Schulpflicht in Österreich spricht, ist dies im Grunde nicht korrekt. In Österreich besteht keine Verpflichtung, eine Schule zu besuchen und somit auch keine Schulpflicht. Was jedoch sehr wohl verpflichtend ist, ist, dass alle Kinder, die sich in Österreich aufhalten, Unterricht bzw. Bildung zu erhalten haben (sog. Unterrichtspflicht). Bildung kann in Österreich auch durch (privaten) häuslichen Unterricht erfolgen. Dieser ist in Österreich gemäß Art 17 Staatsgrundgesetz sogar ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Grundrecht ohne Gesetzesvorbehalt. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, die noch bis 1993 Gültigkeit hatte, darf weder die Bundesgesetzgebung noch die Landesgesetzgebung für den häuslichen Unterricht Beschränkungen irgendwelcher Art festlegen.
Das bedeutet, dass die aktuelle Reglementierung des häuslichen Unterrichts im Schulpflichtgesetz und gängige Praxis, nämlich die Anzeige zum häuslichen Unterricht samt Vorlage eines pädagogischen Konzepts, die Überprüfung und Genehmigung durch die Bildungsdirektion des zuständigen Bundeslandes sowie die verpflichtende Ablegung einer sogenannten Externisten-Prüfung am Ende des Schuljahres als Gleichwertigkeitsnachweis vor dem Hintergrund einer rechtshistorischen Interpretation von Art 17 Staatsgrundgesetz verfassungswidrig ist. Entsprechende Beschwerden liegen dem Verfassungsgerichtshof bereits vor.
Quelle: VfGH KII-6/54 / Rechtssatz
Besonders interessant war auch der Beitrag von Roswitha Ortel, einer Unternehmerin, die eng mit Österreichs KMUs vernetzt ist. Der dringende Bedarf an Mitarbeitern der Klein- und Mittelunternehmen ist bereits jetzt ein zentrales Thema in Österreich. Die Betriebe suchen händeringend Nachwuchs und sind mit jungen Menschen konfrontiert, die größtenteils total frustriert aus dem Schulsystem ausgespuckt werden. 30 % der 15-Jährigen in Österreich können nach neun Schuljahren weder sinnerfassend lesen noch schreiben (Studie aus dem Jahr 2021). Und das im drittteuersten Schulsystem in ganz Europa. Hier läuft etwas gewaltig schief.
In der alternativen Bildungsszene zeigt sich, dass Menschen, die den Weg der selbstbestimmten Bildung gehen durften, ihr natürliches Lernbedürfnis nicht verloren haben. Sie steigen mit Spaß und Freude in einen Beruf ein. Die Erkenntnisse der Gehirn- und Bewusstseinsforschung, die in Wahrheit schon seit Jahrzehnten auf dem Tisch liegen, werden hier nicht nur berücksichtigt, sondern sind ein wesentlicher Bestandteil dieser neuen Bildungsarten.
Was braucht es JETZT?
Es braucht den Schulterschluss zwischen den stetig wachsenden Privatschulen, Lerngruppen, privat geführten Bildungsakademien und der Wirtschaft! Und zwar auf direktem Wege. Es muss möglich sein, dass nicht nur privilegierte Eltern, die es sich leisten können, das beste Bildungssystem für ihr Kind in Anspruch nehmen können. Die Community arbeitet auf Hochtouren an Lösungswegen und bleibt dran. Ohne die finanziellen Mittel wird es jedoch auf Dauer nicht gehen.
Einige UnternehmerInnen werden bereits selbst aktiv. Ein Unternehmer beim Bildungskongress berichtete mir, dass er beschlossen hat, eine private Bildungsinitiative zu sponsern. Diese Initiative ermöglicht jungen Menschen ab 14 Jahren in seinem Betrieb zu schnuppern und sich selbst ein Bild von den verschiedenen Abteilungen und Berufsmöglichkeiten machen.
UnternehmerInnen aufgepasst!
Sie möchten selbst aktiv für Nachwuchs in ihrem Betrieb sorgen und junge Menschen ausbilden und anstellen? Dann schreiben Sie bitte in Ihre Stellenanzeigen den Zusatz „Freilerner herzlich willkommen“. Dadurch öffnen Sie sich einer neuen Zielgruppe. Eltern und Kinder können noch offener auf Sie zugehen. Die Hürde nicht vorhandener Zeugnisse wird so aus dem Weg geräumt und ich bin mir sicher, dass ein Vorstellungsgespräch mit einem jungen Menschen, der den Weg der selbstbestimmten Bildung gegangen ist, sehr bereichernd für Sie und Ihr Unternehmen sein kann.
Sie können sogar noch einen Schritt weiter gehen: Sorgen Sie selbst für Nachwuchs in Ihrem Unternehmen! Unterstützen Sie die örtlichen Lerntreffs, die gegründet werden, finanziell mit einem Sponsoring. So stellen Sie sicher, dass diese neue Bildungslandschaft wächst und junge Menschen einen Weg einschlagen können, der auf ihre Fähigkeiten, Talente und Interesse abgestimmt ist. Denn nur, wenn dies der Fall ist, ist meines Erachtens auch wieder eine ganzheitliche Unternehmenskultur möglich.
Vielleicht sollten wir uns auch noch ein paar andere Fragen stellen? Ist die jetzige Regierung, die die letzten Jahre unser Geld zum Fenster hinausgeschmissen hat, als würde es kein Morgen geben, wirklich ein vertrauenswürdiger Verwalter unserer Steuergelder? Brauchen wir eine Politik, die uns sagt, wo unser Geld am besten angelegt ist? Ich darf Sie an dieser Stelle an einen österreichischen Finanzminister erinnern, der beim Budget ein paar Nullen vergessen hat. Sind wir nicht mehr in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen und auf uns selbst und unsere Intuition hören? Auf die Bedürfnisse IN unserer Familie achten?
Ich finde, dass wir als Menschen in diesem Land – und speziell als UnternehmerInnen – in den letzten Jahren oft genug gezeigt haben, was wir alles leisten können. Vielleicht können wir auch auf direktem Wege für Nachwuchs in unseren Unternehmen sorgen, anstatt auf den Prinzen am weißen Regierungsgaul zu warten, der uns neue Schulen baut und die Bildungsruinen in Österreich saniert. Ich freue mich, wenn ein Brückenbau zwischen jungen Menschen, Eltern und UnternehmerInnen auf direktem Wege gelingt.
Hören wir auf, noch auf dieses marode System zu setzen. Verbinden wir uns stattdessen mit Gleichgesinnten und ermöglichen unseren Kindern einen gesunden Weg. Kinder werden so schnell groß. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir die Gelegenheit nutzen, uns Zeit für unsere Kinder zu nehmen und die bestmöglichen Entscheidungen für sie zu treffen? Sorgen wir dafür, dass sie mit den besten Bedingungen in ihr eigenes Leben starten.
„Wenn Dir eine Situation nicht gefällt, dann bewege Dich. Du bist kein Baum.“
Abschließend möchte ich Ihnen – sowohl als Bewusstseinstrainerin als auch als glückliche Mama – etwas mitgeben: Hören Sie stets auf Ihre innere Stimme. Die Welt da draußen ist laut und oft kann man diese innere Stimme nur sehr schwer hören. Dennoch ist sie da. Ich denke, dass Sie ganz genau wissen, geschätzte Leserin und geschätzter Leser, welcher Weg für Sie und Ihre Familie der ist, der Sie alle in Ihre Kraft bringt und Ihr ureigenstes Potenzial entfalten lässt. Wenn Sie diese Stimme noch nicht hören können, dann gibt es gute Nachrichten: Das kann man trainieren.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich, wenn wir uns hier wieder lesen.
Bis zum nächsten Mal! Herzlichst, Isolde Mitter
Über die Kommentatorin:
Isolde Mitter ist Bewusstseinstrainerin, Autorin und Mutter einer 9-jährigen Tochter, mit der sie den Weg der selbstbestimmten Bildung geht. Sie ist Gründerin des Vereins Freispielerin und der Freigeist–Bildungsakademie und wirkt seit zwei Jahren aktiv beim Aufbau einer neuen Bildungslandschaft in Österreich mit. Außerdem betreibt sie in Marchtrenk ein Kindertreff mit pädagogischer Begleitung für Homeschooler und Freilerner und begleitet Menschen im deutschsprachigen Raum mit ihren Workshops dabei, eigene Kindertreffs in ihrem Heimatort aufzubauen.