Peking verdeutlicht, dass es sich in Bezug auf Taiwan nicht dem Willen Washingtons beugen wird. Litauen hat dies bereits zu spüren bekommen, nachdem es gegen die Ein-China-Politik verstieß. Es ist ein Warnschuss, den auch Deutschland und die EU gehört haben. Diese wollen es sich mit Peking offensichtlich nicht verscherzen.
Eines der bemerkenswertesten politischen Dramen des Jahres 2021 war die Auseinandersetzung zwischen China und Litauen. Nachdem das kleine baltische Land erklärt hatte, dass es eine „Taiwan-Vertretung“ in seinem Land eröffnen würde, prangerte Peking dies als einen Verstoß gegen seine Ein-China-Politik an, insbesondere wegen der Verwendung des Wortes Taiwan im Gegensatz zu Taipeh – was es normalerweise toleriert. Peking machte dabei deutlich, dass der Schritt nicht akzeptabel sei, und verschlechterte seine Beziehungen zu dem Land nicht nur einmal, sondern zweimal, indem es den Botschafter und eine Reihe von Diplomaten auswies und die Beziehungen auf die Ebene eines Geschäftsträgers reduzierte.
Damit ist es allerdings nicht getan. China hat wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen gegen Litauen eingeleitet. Berichten zufolge wurde das Land vorübergehend aus dem chinesischen Zollregister gestrichen. Peking hat multinationalen Unternehmen zudem mitgeteilt, dass sie nicht mehr nach Litauen exportieren dürfen. Dieser Schritt wurde als Versuch bezeichnet, den kleinen baltischen Staat ganz aus den chinesischen Lieferketten auszuschließen. Es ist eine klare Absichtserklärung, die darauf abzielt, andere Länder abzuschrecken, die versucht sind, den gleichen Schritt wie Vilnius zu tun. In der Zwischenzeit hat Litauen ein Importkreditdarlehen in Höhe von 600 Millionen Dollar von den Vereinigten Staaten erhalten, was vielleicht zeigt, wer es überhaupt zu diesem Schritt veranlasst hat.
Von Washington angestiftete Eskalation?
In Washingtoner Kreisen wird mit einem doppeldeutigen Begriff um sich geworfen, um die Gegenreaktion Chinas zu beschreiben: „wirtschaftliche Nötigung“. Das ist ein irreführender und zynischer Begriff, zumal er nur auf Chinas Vergeltungsmaßnahmen gegen Länder angewandt zu werden scheint, nie aber auf Amerikas brutale und allumfassende Sanktionsregelungen gegen mehrere Länder. Es wurde auch gefordert, dass andere EU-Länder sich mit Litauen „solidarisch“ zeigen sollen und sich dabei auf die Rhetorik der „Demokratie“ und der „gemeinsamen Werte“ berufen. Doch eine der größten Quellen der Frustration Washingtons ist, dass dies nicht ernsthaft zu geschehen scheint. Für die EU sind die wirtschaftlichen Beziehungen zur Volksrepublik China nach wie vor zu wichtig, als dass man sich auf einen veritablen Handelskrieg einlassen wollen würde.
Und nicht nur das. Gerade in diesen Zeiten, wo die Lockdowns zu massiven wirtschaftlichen und finanziellen Verwerfungen führen, wäre ein solcher Handelskrieg geradezu selbstmörderisch. Insofern muss man sich fragen, warum es keine Rüge Brüssels für diesen Alleingang Litauens gab. Es ist anzunehmen, dass die starken transatlantischen Kräfte und Verbindungen in der EU-Zentrale diesen Schritt stillschweigend begrüßten. Immerhin können die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen auf das kleine osteuropäische Land ohne größere Probleme abgefedert werden. Hätte beispielsweise die Bundesrepublik dies getan, wären die negativen Effekte enorm gewesen. Doch dies wird nicht geschehen.
Deutschland macht sein eigenes Ding
In der vergangenen Woche führte Xi Jinping sein erstes Telefongespräch mit dem neuen deutschen Regierungschef Olaf Scholz, der den Wunsch äußerte, die wirtschaftlichen Beziehungen zu China zu vertiefen und das umfassende Investitionsabkommen (CAI) zu bekräftigen. Das war die erste schlechte Nachricht für Amerika, zumal weithin gehofft und gefordert wurde, dass der neue Kanzler nach Merkels langer Ära des Engagements, das in DC-Kreisen verachtet wurde, eine härtere Linie gegenüber Peking einschlagen würde. Dann schrieb die deutsche Handelskammer im Baltikum einen Brief an die litauische Regierung, in dem sie erklärte, dass sie, wenn der China-Streit nicht gelöst wird, gezwungen sein könnte, ihre Präsenz in dem Land zu überdenken und Investitionen und Arbeitsplätze abzubauen.
Sieht man einmal von der Rhetorik ab, so zeigt sich in Wirklichkeit, dass Vilnius sich selbst in ein Loch gegraben hat und die EU nicht bereit ist, sich dafür zu opfern. Das Gerede von Einigkeit und Solidarität mag zwar politisch korrekt sein, kann aber nichts an der praktischen Realität ändern, dass Litauen auf Geheiß der USA eine einseitige außenpolitische Entscheidung gegen die Haltung des gesamten Blocks getroffen hat. Eine Entscheidung, die absichtlich gegen die roten Linien Chinas verstößt und zu Vergeltungsmaßnahmen geführt hat. Es handelt sich um einen selbstverschuldeten diplomatischen Fehler, der eine weitaus schärfere Reaktion Pekings hervorgerufen hat, als Vilnius vielleicht erwartet hatte.
Ein Exempel statuieren
Warum? China ist darauf aus, an Litauen ein Exempel zu statuieren. Die Beziehungen des baltischen Staates zu China sind weder politisch noch strategisch oder wirtschaftlich von Bedeutung. Peking hat keine besonderen Ziele oder Bestrebungen in Bezug auf das Land, und in normalen Zeiten würde es niemals im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Peking geht hart vor, um eine Abschreckung für andere zu schaffen. Aus Pekings Sicht ist seine Ein-China-Politik nicht verhandelbar, und die Souveränität muss immer an erster Stelle stehen. Pekings größte Befürchtung ist, dass das Vorgehen Litauens, das zu einer Zeit erfolgt, in der Taiwan eine „Provokationsdiplomatie“ betreibt, um andere dazu zu bewegen, gegen China vorzugehen, einen Präzedenzfall schaffen könnte, der andere dazu ermutigt, dasselbe zu tun. Dies würde Chinas Position schwächen und Taiwan die Möglichkeit geben, seinen politischen Spielraum zu seinen eigenen Bedingungen zu erweitern.
Erschwerend kommt hinzu, dass Litauens Haltung absichtlich provokativ und feindselig war und durch das Erbe des Antikommunismus im Baltikum ermutigt und von den Vereinigten Staaten gefördert wurde. Wie beispielsweise seine Entscheidung, sich Anfang dieses Jahres aus dem 17+1-Block mit China zurückzuziehen. Infolgedessen ist China so weit gegangen wie nie zuvor, um an Vilnius ein Exempel zu statuieren und anderen Ländern zu zeigen, welche Folgen die Verletzung ihrer diplomatischen Verpflichtungen hat, die weit über rhetorische Verurteilungen hinausgehen. Litauen ist zwar nicht das einzige chinafeindliche Land im ehemaligen Sowjetblock Osteuropas, doch die Reaktion Pekings soll viele Länder dazu bringen, ihre Unterstützung für Taiwan auf höchster Ebene zu überdenken. Zwei wichtige Länder in diesem Zusammenhang sind die Tschechische Republik und Polen, die zwar Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit China befürworten, aber dennoch mit einer wachsenden politischen Stimmung an der Basis zu kämpfen haben, und um die Taiwan ebenfalls zu werben versucht. China hofft, dass es durch den Versuch, Litauen innerhalb Europas zu isolieren, die Ausmaße dieser Entwicklung begrenzen kann.
Zuckerbrot und Peitsche
Die neu gewonnene Fähigkeit Chinas, extraterritoriale Sanktionen zu verhängen, in Verbindung mit seiner enormen wirtschaftlichen Macht bedeutet, dass viele Regierungen nur begrenzte Möglichkeiten haben, darauf zu reagieren. Es liegt in Chinas strategischem Interesse, dass sich die EU nicht vollständig auf die Seite Amerikas stellt. Doch im Jahr 2021 war die Botschaft stets klar: „Wenn ihr uns schlagt, schlagen wir härter zurück.“ Mit anderen Worten: China wird sowohl Zuckerbrot als auch Peitsche einsetzen, um den Block auf Linie zu halten. Während es Litauen bestraft, umwirbt Peking weiterhin Frankreich und Deutschland. Ungarn unter Viktor Orban ist nach wie vor der chinafreundlichste Staat des Blocks, während Peking kürzlich die Beziehungen zu Griechenland wiederbelebt hat. All diese vielfältigen Beziehungen schränken ein, wie weit die Anti-China-Stimmung auf dem Kontinent auf kollektiver Ebene gehen kann.
Während die EU noch immer formale Proteste gegen Litauen einlegen und eine Lösung fordern könnte, scheint Peking davon überzeugt zu sein, dass seine Entscheidung, sich mit Vilnius anzulegen, ein kalkuliertes Risiko ist, das keine weitreichenden Folgen haben wird. Es geht davon aus, dass andere EU-Staaten ihre Interessen nicht aufs Spiel setzen werden, um für Vilnius zu büßen, das im Grunde genommen die kollektive außenpolitische Position der EU einseitig untergräbt, indem es auf Geheiß Washingtons die Konfrontation mit China sucht. Ist China auf einen Streit über seine Haltung zu Taiwan vorbereitet? Ja, daran sollte es keinen Zweifel geben, das hat es in diesem Jahr mehr als deutlich gemacht. Ist die Europäische Union willens und bereit, sich gegen ihren größten Handelspartner zu verbünden, wenn sie sich bereits in einer prekären wirtschaftlichen Lage befindet? Auf keinen Fall.