Erinnern Sie sich noch an die Datenanalyse der BKK ProVita, die eine massive Untererfassung von Impfnebenwirkungen anzeigte? Der damalige Chef der Krankenkasse, Andreas Schöfbeck, schlug umgehend Alarm und suchte den Kontakt zum deutschen Paul-Ehrlich-Institut – doch bevor ein Treffen zustande kam, wurde Schöfbeck entlassen. Das Alarmsignal wurde ignoriert, die Angelegenheit verlief im Sande. Nebenwirkungsleugner wie Karl Lauterbach behaupteten daraufhin, an der Analyse sei „nichts dran gewesen“.
Er kommentierte: „Es war einfach so, nach einer Überprüfung: das war alles nicht stichhaltig. Da war nichts dran. Der Vorsitzende der Kasse musste zurücktreten.“ Wie so oft ist diese Einschätzung Lauterbachs wahlweise bewusst irreführend oder schlicht falsch gewesen. Denn: Die Untererfassung von Impfnebenwirkungen seitens des PEI, das stets behauptet, es schaue bei dieser Thematik ganz genau hin, wurde nun auch von anderer Stelle bewiesen.
Untererfassung von mindestens 70 Prozent
Dr. Harald Matthes leitet an der Berliner Charité eine Studie zu Nebenwirkungen der Covid-Vakzine und hielt jüngst im Interview mit dem Focus fest: Die Untererfassung beim PEI liegt bei mindestens 70 Prozent. Das ergeben Vergleiche mit anderen Registern. Der Grund? Der Meldevorgang ist aufwändig – und aufgrund der Politisierung der Impfung scheuen Ärzte die Meldung:
Wir wissen, dass wir in Deutschland auch schwere Arzneimittelwirkungen nicht sehr gut melden, dass wir also ein Underreporting haben. Das hat etwas mit der Ärzteschaft zu tun. Die Ärzte sind zwar gesetzlich zur Meldung verpflichtet, aber es macht eben viel Arbeit und wird deshalb oft nicht so ausgeführt, wie man es sich wünschen würde.
Und sicher haben wir jetzt bei der Sars-Cov-2-Impfung die Situation, dass auch aufgrund der Politisierung der Impfung entsprechend viele Ärzte auch nicht bereit waren, Symptome, die als Verdacht hätten gemeldet werden müssen, auch zu melden – weil der Eindruck entstehen könnte, dass die Impfung stark nebenwirkungsreich sein könnte.
Politisierung der Impfung ist falsch
Die massive Politisierung der Impfung betrachtet Matthes als nicht wissenschaftlich: Nach einem MDR-Beitrag zu Impfnebenwirkungen sei auf Twitter prompt der Vorwurf laut geworden, man würde die Impfung diskriminieren wollen, was Unsinn sei. Eine sachliche Diskussion sei sehr schwierig geworden. Dabei sei die Medizin eine empirische Wissenschaft. Bei der Erforschung von Impfnebenwirkungen gehe es darum, zu sehen, was verbessert werden kann. Das sei gerade bei so neuartigen Vakzinen (in Wahrheit: Gentherapien) wichtig.
Es sei auch vollkommen normal, wenn jemand wie der ehemalige BKK ProVita-Chef Schöfbeck einen Hinweis gebe, um eine Untersuchung anzuregen:
Wenn man sich dann aber anguckt, wie in der Öffentlichkeit zurzeit schwarz/weiß gemalt wird und mit welcher Heftigkeit bestimmte Meinungen ausgetauscht werden, ohne dass da Fakten sind – dann merkt man schon, wie ungerecht er für etwas abgestraft worden ist, das vielleicht nicht ganz vorsichtig formuliert war.
Es ist doch völlig normal, dass jemand einen Hinweis gibt oder sagt, wir wollen untersuchen, ob es eine Gefährdung durch die Impfungen gibt. Mehr hat er ja gar nicht sagen wollen. Da merkt man, wie aufgeheizt die Stimmung war zwischen den beiden extremen Lagern.
Wissenschaft wurde missbraucht, Vertrauen zerstört
Beim PEI sind offenbar im Vergleich zu anderen Ländern besonders die seltenen neurologischen Erscheinungen deutlich unterrepräsentiert. Man habe bei den Untersuchungen keine Komplikationen entdeckt, die nicht beispielsweise schon in schwedischen, dänischen, kanadischen oder israelischen Registern aufgeführt wurden. Matthes hebt hervor, dass in anderen Ländern wie Schweden Impfregister geführt würden – aber nicht, um (wie in Deutschland geplant) einen Impfzwang durchzusetzen, sondern zur Überwachung der Impfkampagne und möglicher Komplikationen.
Bei den Untersuchungen fanden die Charité-Forscher zudem heraus, dass Komplikationen tatsächlich zum Teil Chargen-abhängig assoziiert waren. Da die Impfstoffe so schnell in die Massenproduktion gegangen sind, ist es für Matthes im Kern nicht verwunderlich, dass es zu Schwankungen kommt – man müsse so etwas aber überwachen.
Dr. Harald Matthes vertritt die Ansicht, dass bis zur Delta-Variante das Nutzen-Risiko-Verhältnis zugunsten der Impfung ausfiel – dem widersprechen freilich etliche Mediziner und Wissenschaftler, die vor negativen Konsequenzen der Impfkampagne warnen. So oder so hält Matthes allerdings fest, dass durch den Missbrauch der Wissenschaft das Vertrauen in die Politik zerstört wurde. Die Spaltung der Gesellschaft dagegen war erfolgreich:
Aber ich glaube, uns fehlt in Deutschland das Vertrauen in die Politik und in die Wissenschaft. Sie ist missbraucht worden, wir haben keine differenzierten Diskussionen in der Öffentlichkeit geführt, sodass wir inzwischen neben einer breiten Mitte auch zwei extreme laute Lager vor allem in den sozialen Medien haben.