Borrell: „Jeder denkt jetzt, es gibt verlässliche Alternativen zum Westen“

Josep Borrell von Unión Europea en Perú from Lima, Perú CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89104805

Josep Borrell, seines Zeichens sozusagen EU-Außenminister, sieht im Aufstieg der BRICS+ offensichtlich eine ernsthafte Bedrohung für den Wertewesten und deren „regelbasierte Weltordnung“, in der eine handvoll Länder die Regeln aufstellen. Man müsse sich mehr um den „globalen Süden“ bemühen und ihn enger an sich binden.

In einem Artikel zeigt Josep Borrell, Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Europäischen Kommission, dass er erkannt hat, dass der kollektive Westen seine dominierende Rolle in der Welt verloren hat. Daher ist er äußerst besorgt darüber, dass „jetzt jeder denkt, dass es glaubwürdige Alternativen zum Westen gibt“, und „wenn wir (der Westen) die globale kollektive Fähigkeit, Regeln zu setzen, aufgeben, wird jeder tun, was er kann oder wie er will.“ Und er geriet in Panik. Er ruft dazu auf, alle Länder des globalen Südens, die dem Westen folgen wollen, zu versammeln und sie zu Verbündeten zu machen. So schreibt Borrell:

„Wir leben zwar in einer mehr und mehr multipolaren Welt, aber der Multilateralismus ist auf dem Rückzug. Das ist ein Paradoxon. Warum eigentlich? Wenn die Zahl der Teilnehmer an einem Spiel steigt, sollte die natürliche Reaktion darin bestehen, die Spielregeln zu stärken. Wir sehen uns jedoch mit der gegenteiligen Tendenz konfrontiert: Die Regeln, die die Welt regeln, sind am Ende ihrer Kraft. Wir müssen Wege finden, um dieses Paradoxon zu überwinden.“

Borrell sieht diese neue Multipolarität als das Ergebnis des Zusammenwirkens von drei Dynamiken: So gebe es eine breitere Verteilung des Wohlstands in der Welt (was ja eigentlich gut ist), die Länder würden ein neues nationales Selbstbewusstsein entwickeln („sich strategisch und ideologisch behaupten“, wie Borrell es ausdrückt) und drittens auch ein transaktionales internationales System entwickeln, welches „eher auf bilateralen Absprachen als auf globalen Regeln beruht“. Er schreibt weiter: „In Lateinamerika, in Afrika, im Nahen Osten und in Nordafrika und natürlich in Asien sind heute fast alle der Meinung, dass es glaubwürdige Alternativen zum Westen gibt, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch technologisch, militärisch und ideologisch.“

Der hochrangige EU-Politiker beschwert sich darüber, dass viele Regierungen im globalen Süden mittlerweile opportunistischer sind und sich Partner suchen, die sich nicht in die internen nationalen Angelegenheiten einmischen, so wie es der US-geführte Wertewesten tut. Auch beklagt sich Borrell darüber, dass sich die meisten Länder nicht sonderlich für den Ukraine-Konflikt interessieren. Für viele Regierungen ist dieser Konflikt nur ein weiterer von vielen auf der Welt, der nur aufgrund der geografischen Nähe zur NATO so viel Aufmerksamkeit erhält, während andere militärische Auseinandersetzungen kaum beachtet werden.

Weiters beklagt sich Borrell darüber, dass der Universalismus „als einfaches Überbleibsel der westlichen Vorherrschaft angesehen“ werde. Wobei er zu Recht konstatiert, dass es auch genügend Beschwerden darüber gibt, „dass der Westen selbst nicht immer die Regeln befolgt, die er zu verteidigen vorgibt“. Diese Scheinheiligkeit des Wertewestens hat die Abkehr vieler Länder noch weiter beschleunigt und laut Borrell auch die Konsensfähigkeit auf globaler Ebene erschwert. Dabei würde der „Bedarf an globaler Regulierung“ zunehmen.

„Wir haben also gleichzeitig immer mehr einflussreiche Akteure und immer mehr globale Herausforderungen, aber es wird immer schwieriger, einen Konsens zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu finden. Es gibt keine Koalition dominanter Mächte (sic!) mehr, die in der Lage wäre, eine globale Ordnung durchzusetzen. Im Gegenteil, die konkurrierenden Mächte neigen dazu, sich gegenseitig zu neutralisieren. Diese Situation wird wahrscheinlich so lange andauern, bis sich das Kräfteverhältnis zwischen den dominanten Akteuren stabilisiert hat.“

Er warnt deshalb vor der „Spaltung der Weltordnung in konkurrierende Blöcke in den Bereichen Sicherheit, wirtschaftliche Integration und Technologie“. Ohne jedoch dabei zu erwähnen, dass es vor allem Washington, London und Brüssel waren, die beispielsweise die „finanzielle Atombombe“ des Ausschlusses Russlands aus dem SWIFT-System zündeten und so einen entsprechenden Trigger auslösten. Der US-Handelskrieg gegen China mit den Sanktionen gegen den chinesischen Technologiesektor (u. a. Huawei und die Halbleiterindustrie des Reichs der Mitte) gehört ebenfalls dazu. Ganz zu schweigen davon, dass die Bewaffnung des US-Dollars durch Sanktionen mit dazu beiträgt, dass sich immer mehr Länder Alternativen suchen. Und so schlägt er Folgendes vor:

„Wenn wir jedoch keine einzige globale Alternative zur Krise des Multilateralismus finden können, könnten wir dann vielleicht Teilalternativen finden? Ein vielversprechenderer Ansatz wäre wahrscheinlich das, was zunehmend als „Minilateralismus“ bezeichnet wird: Vereinbarungen zu verschiedenen Themen zwischen gleichgesinnten Staaten. Um jedoch die bereits erwähnte Blockkonfrontation zu vermeiden, müssen wir unbedingt einen Ansatz verfolgen, der über den Norden oder den Westen hinausgeht und die Unterstützung der wichtigsten Länder des Südens findet. Wir müssen den Kreis der gleichgesinnten Länder erweitern und andere schrittweise und pragmatisch einbeziehen.“

Borrell sieht in der Fragmentierung der Welt in politische, ökonomische und technologische Blöcke das Hauptrisiko der heutigen Zeit und fordert dazu auf, diese zu verhindern. Warum? Weil es die westliche Dominanz über den Globus beendet und damit auch die Möglichkeiten der Einflussnahme der westlichen Mächte auf die globalen Vorgänge reduziert.

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