Kühlungsborn ist ein beliebtes Ostsee-Seebad in der Nähe von Rostock. Nun macht der Ort landesweit Schlagzeilen: Weite Teile des CDU-Stadtverbands samt Vorstand sind geschlossen aus der Partei ausgetreten, weil sie die Linie von Friedrich Merz nicht mittragen. Das könnte der Startschuss für eine Welle von Austritten sein, denn viele Unionspolitiker und -mitglieder sind mit dem Verrat der grundeigenen Werte der Partei nicht einverstanden.
Man habe sich den Schritt nicht leicht gemacht, betont man in dem Schreiben, das auf der Website der CDU Kühlungsborn einsehbar ist. Aber: “Jeder von uns ist aus bestimmten Überzeugungen und Grundwerten in die CDU eingetreten. Wenn jedoch grundlegende Punkte und rote Linien überschritten werden, die diese Werte zerstören, muss man zwangsläufig Konsequenzen ziehen.”
Für stolze 18 Mitglieder bedeutet das: Sie treten mit sofortiger Wirkung aus der CDU aus. Sie erörtern mehrere Gründe: So sei die Schuldenbremse die DNA der CDU. “Durch die aktuelle Grundgesetzänderung wurde diese faktisch aufgehoben. Hierbei handelt es sich nicht um ein „Sondervermögen“, sondern um zusätzliche Schulden in Höhe von 1 Billion Euro – mit schwerwiegenden Folgen für unser Land.”
Ebenso abgelehnt wird die Aufnahme der “Klimaneutralität” bis 20245 ins Grundgesetz. “Wir sehen bereits jetzt die Konsequenzen: steigende Inflation, wachsende Preise, eine massiv zunehmende Zinslast und eine große Last, die wir der jungen Generation aufbürden.”
Bei einem Steueraufkommen von fast einer Billion Euro sei es nicht nachvollziehbar, wie diese Mittel derzeit eingesetzt werden. Die Ex-CDUler sprechen die “desaströse wirtschaftliche Entwicklung” (und in diesem Kontext explizit den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck) an und beklagen den erheblichen Wettbewerbsnachteil Deutschlands. Es brauche tiefgreifende Reformen. Dass es die nicht geben wird, ist den Verfassern des Schreibens wohl nun allzu schmerzhaft bewusst geworden.
Weitere Kritik bezieht sich auf das Heizgesetz, die Migrationspolitik, wo eine Reduzierung von Pull-Faktoren auf das absolute Minimum notwendig sei, und die grundlegende Neuausrichtung des Bürgergeldes. “Diese Punkte waren Teil unserer politischen Überzeugung und unseres Wahlkampfes – und wurden von den Bürgerinnen und Bürgern honoriert”, so prangert man an. Hier könnte sich jetzt tatsächlich die Spreu vom Weizen trennen: Wer im Sinne seiner Wähler arbeitet, erträgt einen so massiven Verrat nicht – es sind Charaktere, die lediglich nach Macht und Geld streben, die gewissenlos über das eigene Volk drüberfahren und auch vor Täuschungen nicht zurückschrecken.
Man wisse, dass in Koalitionsverhandlungen Kompromisse notwendig seien, aber die CDU finde sich in den laufenden Gesprächen kaum bis gar nicht wieder, so die Ex-Mitglieder. Die Verfasser geben an, dass ihnen ihre Entscheidung sehr wehtäte, weil sie einen aktiven und engagierten CDU-Stadtverband aufgebaut haben, der nun regelrecht kollabieren wird: “Als einer der größten Stadtverbände des Landkreises Rostock ist uns bewusst, dass unsere Entscheidung auch einen Schaden hinterlässt. Mit dem Austritt fast des gesamten Vorstands, der Fraktion sowie zahlreicher weiterer Mitglieder wird der CDU-Stadtverband Kühlungsborn in sich zusammenfallen und faktisch nicht mehr handlungsfähig sein.” Doch man sah in mehreren Krisensitzungen und Beratungen keine andere Möglichkeit mehr.
Dass Politiker sich noch ihren eigenen Werten und ihren Wählern verpflichtet fühlen, scheint in heutigen Zeiten nicht mehr die Regel zu sein – umso mehr werden diese ehemaligen CDUler nun gefeiert. In Kühlungsborn erreichte die CDU 23,1 Prozent der Zweitstimmen. Sie war damit zweitplatziert: Die AfD siegte mit 27,8 Prozent der Zweitstimmen. Lars Zacher, einer der nunmehr parteilosen Ex-CDUler, erörterte gegenüber der Berliner Zeitung, dass viele nicht mehr wussten, wie sie ihren Wählern erklären sollen, was gerade passiert. Auch ihm gehe das so. Zuvor seien bereits drei oder vier von den 35 bis 40 Mitgliedern ausgetreten, nun folgten weitere 18. Dabei werde es wohl nicht bleiben: Noch mehr wollen der CDU den Rücken kehren.
Es brodelt keineswegs nur in Kühlungsborn. Für andere unzufriedene Mitglieder könnte dieser Schritt Signalwirkung haben: Die CDU demontiert sich aktuell selbst – nicht nur im Hinblick auf ihre Wählerschaft, sondern auch hinsichtlich der eigenen Mitglieder.