Das Pentagon schließt mittlerweile nicht mehr aus, Atomwaffen auch bei nicht-nuklearen Bedrohungen einzusetzen. Dies zeigt sich in der neuen Nationalen Verteidigungsstrategie. Die Eskalationsspirale dreht sich weiter.
Während Moskau stets betont, dass es keinen Erstschlag mit Atomwaffen durchführen wolle, außer eine konventionelle Bedrohung ist so groß, dass es nicht anders geht, scheint man in Washington weniger zimperlich zu sein. Einem „Bloomberg„-Bericht zufolge stellt die neue Nationale Verteidigungsstrategie der Vereinigten Staaten nämlich eine weitere Eskalation dar. Denn es gibt wohl keine Beschränkungen mehr, was den Einsatz von US-Atomwaffen anbelangt. Und das in Zeiten, wo die Stationierung von modernisierten US-Atombomben in Europa vorgezogen wird.
„Bis zu den 2030er Jahren werden die Vereinigten Staaten zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit zwei großen Atommächten als strategische Konkurrenten und potenzielle Gegner konfrontiert sein“, so das Verteidigungsministerium in dem am Donnerstag veröffentlichten militärstrategischen Dokument. Als Reaktion darauf werden die USA „eine sehr hohe Messlatte für den Einsatz von Atomwaffen aufrechterhalten“. Dabei werde man nicht ausschließen, dass die Waffen als Vergeltung für eine nicht-nukleare strategische Bedrohung des eigenen Landes, der US-Streitkräfte im Ausland oder von Verbündeten eingesetzt werden.
Wenn man bedenkt, dass Joe Biden während seines Wahlkampfes wiederholt behauptete, dass das US-amerikanische Atomwaffenarsenal nur zur Abschreckung oder als Vergeltungsmaßnahme gegen einen nuklearen Angriff eingesetzt werden solle, stellt dies einen beachtlichen Eskalationsschritt dar. Und nicht nur das: Es lässt die potenziellen Opponenten auch noch völlig im Unklaren. Das Nuklearstrategiedokument enthält nämlich keine auch nur einigermaßen deutlichen Angaben darüber, welche nichtnuklearen Bedrohungen eine nukleare Antwort der USA nach sich ziehen könnten. Zu den aktuellen Bedrohungen gehören unter anderem die Hyperschallwaffen Russlands und Chinas, gegen die das US-Militär noch keine bewährte Verteidigung besitzt.
Es wird jedoch in aller Deutlichkeit dargelegt, was mit einer anderen Atommacht, nämlich Nordkorea, geschehen würde, wenn es einen Atomangriff auf die USA, Südkorea oder Japan starten würde. Eine solche Aktion „wird zum Ende dieses Regimes führen“, heißt es darin. Die US-Atomwaffen spielen weiterhin eine Rolle bei der Abschreckung nordkoreanischer Angriffe. Auch die Volksrepublik China gerät zunehmend in den Fokus des Pentagons, zumal Peking bis zum Ende des Jahrzehnts mindestens 1.000 nukleare Sprengköpfe besitzen wolle. China bleibt „für die kommenden Jahrzehnte der wichtigste strategische Konkurrent der USA“, so Verteidigungsminister Lloyd Austin in einem Schreiben, in dem er die neue Verteidigungsstrategie vorstellte. Er verwies auf Chinas „zunehmend gewaltsame Maßnahmen, um die indopazifische Region und das internationale System nach seinen autoritären Präferenzen umzugestalten“, während es sein Militär rasch modernisiert und ausbaut.
Auch nimmt das Dokument, welches noch vor der russischen Invasion in die Ukraine verfasst wurde, auf Russland Bezug. Moskau setze sein Atomwaffenarsenal weiter „zur Unterstützung seiner revisionistischen Sicherheitspolitik“ ein und werde es weiterhin modernisieren. Etwas, das von Washington als Sicherheitsbedrohung betrachtet wird. Insbesondere auch deshalb, weil die Russen enorme technologische Fortschritte machen und die Amerikaner bereits in einigen Feldern überholt haben.
In jedem Fall dreht sich die (globale) Eskalationsspirale immer weiter und eine Entspannung der Lage scheint aktuell nicht in Sicht. Es dürfte keine Übertreibung sein zu sagen, dass wir seit der kubanischen Raketenkrise einem Atomkrieg noch nie so nahe gewesen sind.