„Haben europäische Reporter wirklich Meinungsfreiheit?“ Diese Frage wirft der Kriegsreporter Unai Aranzadi gegenüber dem Heise-Magazin „Telepolis“ auf. Der Journalist dokumentiert schon seit 2014 regelmäßig das Geschehen in der Ukraine. Auch über den Krieg berichtet er – ein deutsches Medium publizierte im Februar eine zweiteilige Reportage von ihm. Jedoch: Die Redaktion nahm erhebliche sinnentstellende Änderungen an seinem Text vor. Die Aussagen wurden dem Nato-Narrativ angepasst, prangert der Reporter an.
Gegenüber „Telepolis“ erörtert Aranzadi die Unterschiede zwischen seiner Reportage und dem, was ein linkes Mainstreammedium schließlich publizierte. Dessen Redaktion schien sich demnach an allem zu stören, das dem westlichen Narrativ widersprach: So verschwanden etwa Textstellen über ukrainische Bürger, die sich vor allem als Russen fühlen und Aussagen von befragten Menschen vor Ort wurden verändert. Beispielsweise wurde die Feststellung einer Ukrainerin, dass prorussische Menschen sich aktuell nicht frei ausdrücken können, verfälscht. Zu einer anderen Frau wird plötzlich behauptet, dass sie Angst vor einem Eindringen der russischen Truppen in die Stadt habe – das sei laut Aranzadi frei erfunden.
Er wandte sich mit Korrekturforderungen an die Redaktion, doch dort wurde er hingehalten und, so nahm es der Reporter wahr, nicht ernst genommen. Man berief sich darauf, dass ein Übersetzer den Text als korrekte Übersetzung betrachtet habe. Aranzadi sieht das anders. Er stellt gegenüber „Telepolis“ fest:
Meine Erzählung stimmte nicht mit dem Narrativ der Nato überein, und vielleicht war das ein Problem. Das Narrativ der Nato versucht, uns glauben zu machen, dass es in der Ukraine nie einen Konflikt zwischen ukrainischen Bürgern rund um den Maidan gegeben hat, sondern dass alles allein eine Erfindung Russlands sei. Meiner Meinung nach und basierend auf den Vorgängen, die ich seit 2014 vor Ort beobachtet habe, ist es genauso zutreffend, dass Russland auf kriminelle Weise einmarschiert ist und bombardiert, wie die Tatsache, dass der Maidan ein nationalistischer Putsch war, während sich auf der anderen Seite der Schützengräben Kämpfer und Familien aus der Ukraine befanden, die gegen Kiew eingestellt sind. Ich weiß, dass es heute äußerst unpopulär ist, das zu sagen, aber ich bin Journalist und kein PR-Mann.
Quelle: Telepolis
Auf Telepolis-Nachfrage erklärte die Redaktion, es handele sich bei Änderungen um „normale Vorgänge im redaktionellen Prozess“. Veränderungen des Sinns des Textes habe man demnach nicht wahrgenommen.
Propaganda in Deutschland hat nichts mit der Realität zu tun
Der Kriegsreporter zeigt sich sehr besorgt über die Zustände in den westlichen Medien. „Wenn die Medien anfangen, das zu verändern, was wir über das Geschehen vor Ort sagen, ist der Zeitpunkt erreicht, an dem weder Fakten noch Journalismus eine Rolle spielen“, erörterte er. Er habe die gesamte Geschichte vor Ort in der Ukraine miterlebt – und die Realität habe wenig mit dem zu tun, was erzählt werde. Er attestiert europäischen Medien einen „Mangel an Vielfalt an Meinungen, Analyse und Geschichten. Damit wird das Geschehen simplifiziert, wir werden infantilisiert.“ Es sei einfach, russische Propaganda zu sehen, aber falsch, die Propaganda in Deutschland oder dem Rest Europas zu leugnen.
Medien, die Texte als unpassend zur Blattlinie wahrnehmen, könnten diese einfach ablehnen. Problematisch ist dem Reporter zufolge jedoch, dass wegen schlechter Arbeitsbedingungen im Journalismus viele seiner Kollegen schweigen würden, um wirtschaftlich zu überleben: Manipulationen der Berichterstattung (für die die Reporter mitunter ihr Leben riskierten) werden dann hingenommen. Aranzadi wollte nicht schweigen – und muss nun finanzielle Einbußen in Kauf nehmen. „Haben europäische Reporter also wirklich Meinungsfreiheit?“, fragt er abschließend.
Dass es sich hier um einen Einzelfall handelt, darf wohl tatsächlich bezweifelt werden: Den von Aranzadi angeprangerten „Mangel an Vielfalt an Meinungen, Analyse und Geschichten“ erlebt der Medienkonsument im deutschsprachigen Raum schließlich keineswegs nur im Hinblick auf den Ukraine-Krieg. Die Anpassung einer Kriegsreportage an ein Narrativ dürfte dabei schon moralisch eine beispiellose Bankrotterklärung darstellen – nicht nur gegenüber dem Reporter, sondern auch gegenüber der Bevölkerung, die man vorgibt, über die Realität vor Ort informieren zu wollen.