Wenn ein renommierter Journalist wie Seymour Hersh unter Berufung auf Geheimdienstquellen behauptet, die CIA habe zusammen mit der US Navy die beiden Nord Stream-Pipelines gesprengt, dann wirft das Wellen auf. Insbesondere auch deshalb, weil dann Bundeskanzler Olaf Scholz wahrscheinlich im Vorfeld darüber informiert wurde.
Wer steckt tatsächlich hinter der Sprengung der beiden Nord Stream-Pipelines in der Ostsee? Eine Frage, die sich seit den Unterwasser-Explosionen am 26. September 2022 viele Menschen stellen. Die westlichen Mainstream-Medien waren schnell dabei, Russland der Sabotage der eigenen Erdgas-Pipelines zu beschuldigen, obwohl es keine logischen Anhaltspunkte dafür gab. Andere, wie der Harvard-Professor Jeffrey Sachs, hielt eine Aktion der US-Navy (eventuell in Zusammenarbeit mit polnischen Kräften) für wahrscheinlich. Und nun wirft eine weitere gewichtige US-Stimme Washington vor, hinter diesem Anschlag zu stecken.
Der jahrzehntelang für die New York Times und den New Yorker schreibende Starjournalist Seymour Hersh veröffentlichte am Mittwoch seinen ersten Substack-Artikel. Darin behauptet er auf Grundlage seiner eigenen Untersuchungen, dass die Vereinigten Staaten während der NATO-Übung BALTOPS 22 die beiden russischen Pipelines im Rahmen einer verdeckten Operation gesprengt haben. Er beruft sich dabei auf ungenannte Quellen aus den Reihen der Nationalen Sicherheit, nach denen das Weiße Haus, die CIA und das Pentagon monatelang über einen solchen Anschlag diskutiert hätten. Angefangen habe dies bereits im Dezember 2021, als eine spezielle Task Force unter der Leitung des Nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan geschaffen worden sei.
„Die Navy schlug vor, ein neu in Dienst gestelltes U-Boot einzusetzen, um die Pipeline direkt anzugreifen. Die Air Force diskutierte den Abwurf von Bomben mit verzögertem Zünder, die aus der Ferne gezündet werden könnten. Die CIA argumentierte, dass, was auch immer getan würde, es verdeckt geschehen müsse. Allen Beteiligten war klar, was auf dem Spiel stand“, heißt es in dem Bericht. „Die Biden-Administration tat alles, um undichte Stellen zu vermeiden, als die Planung Ende 2021 und in den ersten Monaten des Jahres 2022 stattfand“, heißt es weiter.
Hersh berichtet genauer: Während „all dieser Intrigen“, so die Quelle, „sagten einige Mitarbeiter der CIA und des Außenministeriums: ‚Tut das nicht. Es ist dumm und wird ein politischer Albtraum sein, wenn es herauskommt.'“ Dennoch berichtete die CIA-Arbeitsgruppe Anfang 2022 an Sullivans behördenübergreifende Gruppe: „Wir haben eine Möglichkeit, die Pipelines zu sprengen.“ Und nicht nur das: Dem Bericht zufolge könnte es sogar sehr wahrscheinlich sein, dass Bundeskanzler Olaf Scholz von dem geplanten Anschlag während seines US-Besuchs bereits im Vorfeld in Kenntnis gesetzt wurde. Da stellt sich die Frage, was der deutsche Regierungschef darüber weiß – sofern er nicht alles wieder „vergessen“ hat…
Wie Hersh anführt, sagte US-Präsident Joe Biden am 7. Februar bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen mit Scholz mit voller Zuversicht, dass wenn Russland in die Ukraine einmarschiere es „nicht mehr länger ein Nord Stream 2 geben“ werde. „Wir werden dem ein Ende setzen.“ Dies war drei Wochen vor der russischen Invasion. Und rund drei Wochen vor Bidens Drohung hatte Victoria „Fuck the EU“ Nuland aus dem US-Außenministerium ähnliche Töne angeschlagen. „Ich möchte Ihnen heute ganz klar sagen“, antwortete sie auf eine Frage. „Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen.“
Als Grund für die Sabotage der beiden Pipelines gilt die Ansicht Washingtons, dass die Abhängigkeit Europas vom billigen russischen Gas Deutschland davon abhalten würde, der Ukraine Geld und Waffen zu liefern, welches das Land zur Bekämpfung Russlands brauche. Die Logik dahinter: Ohne die beiden Pipelines fehlen die Kapazitäten zur Versorgung Europas mit Erdgas und damit auch ein potenzielles Druckmittel Moskaus gegenüber Berlin.
Und nicht nur das. Hershs Bericht zufolge hat Norwegen die Vereinigten Staaten bei der Durchführung des Anschlags auf die Pipelines geholfen. Er berichtet: „Irgendwann im März flogen einige Mitglieder des Teams nach Norwegen, um sich mit dem norwegischen Geheimdienst und der Marine zu treffen. Eine der wichtigsten Fragen war, wo genau in der Ostsee der beste Ort für die Anbringung des Sprengstoffs ist.“ Die Norweger hätten die passenden Stellen rasch gefunden. In der Nähe der dänischen Insel Bornholm, wo das Wasser nicht so tief ist und die beiden parallel verlaufenden Gasleitungen nicht weit voneinander entfernt waren, war es die ideale Region. Durchgeführt worden sei das Ganze von einem norwegischen Minenjäger aus, wo die Taucher-Teams mit C4-Ladungen abtauchten. Gezündet worden seien sie durch eine Sonarboje, die niederfrequente Töne aussendete. Hersh dazu: „Am 26. September 2022 warf ein P8-Überwachungsflugzeug der norwegischen Marine bei einem scheinbar routinemäßigen Flug eine Sonarboje ab. Das Signal breitete sich unter Wasser aus, zunächst zu Nord Stream 2 und dann zu Nord Stream 1.“
Als auch Reuters und internationale Medien darüber berichteten, sah sich das Weiße Haus dazu gezwungen, eine Stellungnahme abzugeben. So sei Hershs Bericht „komplett falsch und frei erfunden“. Gleichzeitig forderte Moskau von Washington Erklärungen. Doch die US-Führung wird sich davor hüten, diesen Anschlag zuzugeben. Denn damit würde sie sich schuldig erklären, staatlichen Terrorismus und einen kriegerischen Akt gegenüber Russland ausgeübt zu haben.