Der Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, wurde zu einer Haftstrafe und politischem Betätigungsverbot verurteilt. Damit entledigt sich Präsident Erdogan seines größten Rivalen bei den Wahlen nächstes Jahr.
Die Türkei ist als NATO-Mitglied ein wichtiger Teil der westlichen Hegemonialbestrebungen im Nahen Osten und in Westasien. Die geopolitische Schlüsselfunktion des Landes gibt der politischen Führung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan eine gewisse Narrenfreiheit. Sowohl außen- wie auch innenpolitisch. Militärische Überfälle in den Nordirak und nach Nordsyrien? Kein Problem. Ständige Drohungen gegenüber Griechenland (einem NATO- und EU-Mitglied)? Halb so wild. Hasstiraden gegen Israel? Interessiert kaum jemanden. Und die Unterdrückung der türkischen Opposition?
Nun, schon bei den letzten Wahlen gab es gegen die von den Linken im Westen stark unterstützten „sozialistisch-kurdischen“ Partei HDP massive Repressionen. Der Grund: Personelle und ideologische Verbindungen zur kommunistisch-separatistischen kurdischen Terrororganisation PKK. Als bei den Kommunalwahlen jedoch die Stadt Istanbul nach 25 Jahren AKP-Herrschaft an den CHP-Kandidaten Ekrem Imamoglu fiel, war dies für den türkischen Staatschef quasi ein Schuss vor den Bug. Insbesondere auch deshalb, weil der neue Bürgermeister der größten türkischen Stadt ein ausgewiesener Gegner Erdogans ist und als Aspirant für die Präsidentschaftswahlen 2023 gilt.
Nun hat sich Erdogan an seinem größten Rivalen gerächt. Der populäre CHP-Politiker wurde zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt, weil er im Jahr 2019 angeblich Vertreter der obersten türkischen Wahlbehörde „beleidigt“ habe. Zudem verurteilte ihn das Gericht in Abwesenheit (er ignorierte den politischen Schauprozess) zu einem politischen Betätigungsverbot, was es dem aussichtsreichsten oppositionellen Kandidaten im Rennen um die Präsidentschaft nächstes Jahr gegen Erdogan unmöglich machen wird, überhaupt zu kandidieren. Zwar muss dies ein Berufungsgericht noch bestätigen, doch dies gilt im System Erdogan ohnehin nur als Formalität.
Erdogan, der in diversen Umfragen an Boden verliert, entledigt sich so jenes ernsthaften Konkurrenten, der seine zwei Jahrzehnte andauernde Herrschaft beenden könnte. Doch auch wenn die juristische Entscheidung in Washington nicht gerade auf Zustimmung stößt – die politische Führung jenseits des Atlantiks wird einen Teufel dagegen tun und bis auf ein paar verbale Notizen nichts unternehmen, was einen NATO-Austritt der Türkei auch nur ansatzweise triggern könnte. Doch andererseits hatten die Amerikaner noch nie Probleme mit solch „lupenreinen Demokraten“ wie Erdogan, so lange sie sie für ihre eigenen Zwecke brauchten und diese nicht zu sehr quer schossen (Saddam Hussein könnte dazu viel erzählen, wäre er noch am Leben).