Die Bedrohung durch die Ukraine-Krise treibt Moskau dazu, mehr Öl- und Gasgeschäfte mit China und möglicherweise weniger mit Europa zu machen. Asien ist generell ein wichtiger Wachstumsmarkt, so dass Russland dort auch große Abnehmer finden kann. Müssen sich die Europäer warm anziehen?
Ein potenzieller groß angelegter Konflikt in der Ukraine oder auch nur die anhaltende Bedrohung durch einen solchen könnte zu erheblichen Verschiebungen in den globalen Energiehandelsströmen führen. Während Russland seine wirtschaftlichen und energiepolitischen Beziehungen zu China ausbaut, versucht Europa gleichzeitig, seine starke Abhängigkeit von russischen Erdgas- und Öleinfuhren zu verringern. Russland liefert bereits Gas über die 2019 eröffnete Power of Siberia-Pipeline nach China. Die beiden Verbündeten stehen kurz vor einer Einigung über eine zweite Pipeline – die Power of Siberia 2 -, die über die Mongolei nach China führen soll.
Am 4. Februar bestätigte der russische Gasriese Gazprom einen Vertrag mit der China National Petroleum Corporation (CNPC) über den Kauf und Verkauf von Erdgas entlang der Fernostroute. Am selben Tag unterzeichnete der russische Ölgigant Rosneft während des Besuchs von Präsident Wladimir Putin in Peking ein Abkommen mit der CNPC im Wert von 80 Milliarden US-Dollar über die Lieferung von 100 Millionen Tonnen Öl über Kasachstan nach China innerhalb von 10 Jahren. Der letztgenannte Vertrag ist eine Änderung eines Abkommens aus dem Jahr 2013, in dem Rosneft zugestimmt hatte, über einen Zeitraum von 25 Jahren 325 Millionen Tonnen Öl über Kasachstan an CNPC zu liefern. Seit 2005 hat Rosneft nach Angaben der russischen Staatsmedien 425 Millionen Tonnen Öl nach China geliefert.
Osten statt Westen
Die russischen Energieströme verlagern sich nach Osten, obwohl das geografisch größte Land der Welt immer noch ein wichtiger Energielieferant für die westliche Europäische Union ist. Es ist höchst ungewiss, ob China als wirtschaftlicher Ersatz für den Westen dienen kann, wo Russlands Hauptmarkt liegt. Sollte jedoch ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine ausbrechen und die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten strenge Sanktionen gegen Moskau verhängen – einschließlich des Ausschlusses Russlands aus dem globalen Überweisungssystem SWIFT -, wird der Kreml de facto in die Arme Pekings getrieben. Ein möglicher Krieg würde den Kreml also unweigerlich in eine größere Abhängigkeit von Peking bringen und damit China einen größeren Einfluss auf die bilateralen Beziehungen verschaffen. In diesem Fall könnte sich Moskau dafür entscheiden, dem grenzüberschreitenden Interbank-Zahlungssystem (CIPS) beizutreten – einer chinesischen Version von SWIFT, die 2015 eingerichtet wurde, aber noch keine weltweite Bedeutung erlangt hat. Dies zumindest für den Energiehandel mit China.
Die Beziehungen zwischen Russland und China im Energiebereich begannen zu Beginn des Ukraine-Konflikts zu wachsen. Im Mai 2014, einen Monat nach Ausbruch des Donbass-Konflikts in der Ostukraine, begann Russland, seine Energiegeschäfte nach Asien zu verlagern. Im selben Jahr unterzeichneten Gazprom und CNPC einen 30-jährigen Kauf- und Verkaufsvertrag über die Lieferung von 38 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr. Gemäß dieser Vereinbarung zahlt Peking Berichten zufolge immer noch 148 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter für russisches Erdgas, was deutlich unter dem aktuellen Marktpreis von 1.100 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter liegt. Dies hätten die Deutschen auch haben können, doch diese entschieden sich lieber dafür, das Erdgas auf dem Spotmarkt zu kaufen und dafür nun mit deutlich höheren Preisen konfrontiert zu sein. Und nicht nur das: Da viele Produktions- und Lieferkapazitäten bereits für „Stammkunden“ reserviert sind, haben die Deutschen und Europäer nun das Nachsehen.
Europa sucht nach Alternativen
Ein neuer 30-Jahres-Vertrag über Gaslieferungen nach China über eine neue Pipeline sieht vor, dass künftige Gasverkäufe in Euro und nicht in US-Dollar abgerechnet werden, was offenbar Teil der von der russischen Führung vor einigen Jahren angekündigten Entdollarisierung ist. Gemäß dem neuen Vertrag wird China russisches Gas von der Insel Sachalin über eine Pipeline durch das Japanische Meer in die nordostchinesische Provinz Heilongjiang erhalten. Da Sachalin nicht an Russlands europäisches Pipelinenetz angeschlossen ist, glauben Analysten, dass der neue Vertrag keine Auswirkungen auf die europäischen Verbraucher haben wird. Sollte Russland jedoch, wie von den USA angedroht, aus SWIFT ausgeschlossen werden, wären die europäischen Länder nicht mehr in der Lage, die Gasimporte zu bezahlen, was erhebliche Auswirkungen auf die Energiesicherheit des Kontinents haben könnte. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass sich die EU bereits auf ein Leben ohne russische Energie vorbereitet.
Die Gasimporte der EU aus Russland erreichten im Januar einen historischen Tiefstand, und die EU hat versprochen, das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 zu sanktionieren, falls Russland in die Ukraine einmarschiert. Gleichzeitig ist die EU Berichten zufolge auf der Suche nach Alternativen zum russischen Gas, möglicherweise auch aus den USA. Das Problem ist jedoch, dass andere Gasproduzenten Russland als Europas größten Gaslieferanten nicht so schnell ablösen können, auch aufgrund von Infrastrukturengpässen. Norwegen, der zweitgrößte europäische Gaslieferant, hat bereits darauf hingewiesen, dass seine Erdgaslieferungen an der Kapazitätsgrenze angelangt sind und die fehlenden Lieferungen aus Russland nicht ersetzen können. Katar – einer der größten Gasproduzenten der Welt und nach Australien der zweitgrößte Exporteur von verflüssigtem Erdgas (LNG) – verfügt nur über begrenzte Reservelieferungen, da der Großteil seiner derzeitigen Produktion in langfristigen Verträgen gebunden ist. Darüber hinaus plant Russland nun, sich am Bau der Pakistan-Stream-Pipeline zu beteiligen – ein Projekt, das die Gasnachfrage in Pakistan erhöhen dürfte -, was Katar dazu veranlassen könnte, die Gasströme in das asiatische Land umzuverteilen und die Lieferungen nach Europa zu reduzieren.
China, der größte Energieverbraucher der Welt, könnte Europa schließlich als Hauptabsatzmarkt für russisches Öl, Gas und sogar Kernenergie ablösen. Rosatom, die staatliche russische Atomenergiegesellschaft, ist bereits am Bau von zwei Kernkraftwerken in China beteiligt, und Berichten zufolge führt das Unternehmen Gespräche mit mehreren Ländern im Nahen Osten und in Nordafrika, um die Entwicklung der Kernenergie, einschließlich Forschungsreaktoren, zu erkunden. Rosatom baut derzeit bereits Kernreaktoren in der Türkei, in Ägypten, im Iran und in Indien, und das Unternehmen ist an einer Ausweitung seiner Geschäftstätigkeit in Zentral- und Südostasien interessiert. Alles in allem könnte die Ukraine-Krise eine massive Umverteilung der globalen Energieversorgung und -ströme weg vom Westen und hin zum Osten bewirken.