Ein Kommentar von Daniel Matissek
Im nunmehr fünften deutschen Lockdown-Monat treten die diktatorischen Eigenmächtigkeiten des Corona-Staates in immer unverstellterer Deutlichkeit hervor. Polizei und Ordnungskräfte geben sich mit höchster politischer Rückendeckung nicht einmal mehr Mühe, ihre autoritäre Machtausübung zu camouflieren. Endlich dürfen sich die Uniform- und Waffenträger als (zumindest dem Gesetz nach) Träger des Gewaltmonopols wie Sheriffs in Wildwestmanier ausleben. Unfassbare Szenen, noch vor etwas über einem Jahr völlig unvorstellbar, spielen sich in den Städten Lockdown-Deutschlands ab.
Regelrecht Jagd wird auf Spaziergänger und Jogger gemacht; willkürlich werden Passanten, Rad- und Motorradfahrer angehalten, umstellt und rüde kontrolliert. Kleine Kinder auf Spielplätzen werden von bewaffneten Einsatztrupps eingekreist und verängstigt – nachdem die Polizei in den vergangenen Winterwochen bereits mit Megaphondurchsagen Dreikäsehochs beim Rodeln eingeschüchtert hatte und bei tieffliegenden Hubschraubereinsätzen eislaufende Jugendliche von zugefrorenen Seen gejagt hatte. Den vorläufigen Höhepunkt des Irrsinns stellen kafkaeske Willkürbestimmungen in Düsseldorf und Köln dar, die sogenannte „Verweilverbote“ erlassen haben: Wer beim Spazierengehen stehenbleibt und Luft holt, darf 50 Euro Bußgeld zahlen.
Große Stunde der Blockwarte
Die große Stunde der Blockwarte hat geschlagen, und so muss sich der gemeine Untertan auch daran gewöhnen, dass ihm von aufmerksamen Nachbarn jederzeit die Polizei nach Hause geschickt werden kann – etwa wenn zu viele PKWs mit auswärtigen Kennzeichen vor seinem Grundstück parken, spät noch Licht an ist oder verdächtige Musik aus dem Wohnzimmer dringt. Gerade erst sorgte ein Video im Netz für Furore, in dem das Eindringen einer Einsatzgruppe von acht Polizisten in ein Privathaus zu sehen ist, wo gerade der Hausherr gerade mit seinem einzigen Gast (völlig corona-regelkonform übrigens) beim Kochen war – und den Schock seines Lebens erhielt. Zu sehen ist, wie sich die Beamten in überheblicher, selbstgefälliger Manier in der Wohnküche des völlig perplexen Wohnungseigentümers verteilen, ihn barsch zur Rede stellen und sich für den offenkundigen „Fehlalarm“ mit keinem Wort entschuldigen. Stattdessen erstatteten anschließend einige der Polizisten sogar noch Anzeige gegen den Privatmann, weil er sie angeblich beleidigt hätte. Willkommen bei der Corona-Gestapo! Von der verfassungrechtlichen Unverletztlichkeit der Wohnung ist in diesem Staat offenbar nicht mehr übrig; sie geriet unter dieselben Räder, die zuvor schon viele weitere Grundrechte zermalmt hat.
Autoritäre Exzesse abseits der Grundrechte
Das Virus selbst, ein vorgeschobener Infektionsschutz und eine angebliche Pandemiebekämpfung sind hier nur noch Staffage und Vorwand für autoritäre Exzesse, die eine gefährliche Eigendynamik entfaltet haben. Verstörend ist es mit anzusehen, wie auch heute wieder Vertreter der Staatsmacht Befehle willfährig ausführen, die erkennbar über jedes Normalmaß hinausschießen. Die Frage, ob man dafür Polizist geworden ist, unbescholtene Bürger zu terrorisieren, die im Frühjahr das Menschennatürlichste tun und sich bei sonnigem Wetter im Freien aufhalten möchten, muss sich jeder Beamte selbst stellen, der das auf Polizeischulen wie auch in der Bundeswehr gelehrte Prinzip der „inneren Führung“, des „Staatsbürgers in Uniform“ begriffen geschweige denn verinnerlicht hat. Doch anscheinend sitzt der Kadavergehorsam – wie stets getragen von der Überzeugung, das moralisch Richtige zu tun – heute noch genauso tief wie zu dunkleren Zeiten der deutschen Geschichte.
Wer hätte je gedacht, dass es so einfach sein würde, auch das angeblich gegen immanenten Missbrauch durch Verfassungsorgane gefeite Grundgesetz auszuhebeln – das von seinen Vätern, in bewusster Ausbesserung aller Anfälligkeiten der Weimarer Reichsverfassung, als „robuste“ Demokratie konzipiert worden war? Dass es dazu nicht mehr als ein Virus brauchte, hätte kein Staatsrechtler je für möglich gehalten. Denn im Prinzip haben wir es bei der Corona-Krise mit einen kalten Putsch von oben zu tun, mit einem permanenten Ausnahmezustand.
Deutschland ohne funktionierende Demokratie
Eine andere Interpretation lässt denn auch das ursprüngliche Vorhaben der Groko nicht zu, die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ vom vom Bundestag „auf unbestimmte Zeit“ verlängern zu lassen. Dazu kam es nicht, die nun beschlossene Verlängerung reicht für vorerst „nur“ weitere drei Monate. Entscheidend aber ist, dass CDU und SPD diesen Wahnsinnsschritt allen Ernstes planten (gegen den selbst die schlimmsten Befürchtungen der Außerparlamentarischen Opposition in den 1960ern hinsichtlich der Notstandsgesetze harmlos angemutet hätten) und so versuchten, die scheinlegale Grundlage für einen bedarfsweise endlosen oder jederzeit wiederholbaren Lockdown zu schaffen. Mittlerweile wird es wirklich ernst: Was diese Bundesregierung hier probt, wäre in einer leidlich intakten Demokratie, in der alten Bundesrepublik zu den Bedingungen, wie sie in den ersten sechs Jahrzehnten ihres Bestehens hier noch herrschten, ein völliges Unding gewesen. Alleine schon derartige Planspiele hätten unverzüglich das Bundesverfassungsgericht auf den Plan gerufen. Doch auch die Justiz ist offenbar politisch auf Kurs gebracht und/oder durch den cleveren politischen Präzedenzfall namens „Pandemie“ derart verunsichert und ihrerseits gefügig gemacht worden, dass die Exekutive völlig frei schalten und walten kann – stets zum übergeordneten „Volkswohl“, versteht sich.
Dem Entwurf mit der Bundestags-Drucksache 19/26545 zufolge, der diese unbefristete pandemische Notlage vorsah, wäre dem Parlament erst wieder in 13 Monaten – Ende März 2022 – ein wissenschaftliches Gutachten vorgelegt werden, welches darlegt, ob und wann der Dauernotstand der „epidemischen Lage“ später unter Umständen vielleicht aufgehoben werden könnte. Eine solche Langfristsetzung ist hochgradig illegal – und ganz vom Tisch ist sie nicht; vielleicht wird sie ja im Juni, bei der nächsten Abstimmung über die epidemische Lage, Wirklichkeit. So oder so widerspricht deren ständig neuerliche Verlängerung dem Übermaßverbot staatlicher Durchgriffe – und untergräbt die unbedingte Pflicht, jede einzelne Grundrechtseinschränkung mit nachweislichen, zweifelsfreien Notwendigkeiten zu begründen und stets das mildeste Mittel zur Gefahrenabwehr zu wählen. Manche Rechtsexperten sind deshalb gar der Meinung: Macht das Parlament den Ausnahmezustand zum Dauerzustand, wird irgendwan ziviler Ungehorsam zur Bürgerpflicht.
Infektionsschutzgesetz statt Grundgesetz
Jedenfalls braucht sich hierzulande niemand mehr über Demokratiedefizite in Ungarn oder Polen zu beschweren, der diesen schleichenden Machtergreifungsprozess des deutschen Corona-Regimes gutheißt oder auch nur schweigend hinnimmt: Victor Orban hatte im März 2020 Sondervollmachten vom Parlament erhalten – und sie keine sechs Wochen später wieder anstandslos zurückgegeben. Angela Merkel hingegen regiert seit rund einem Jahr auf der Grundlage einer Ersatzverfassung namens Infektionsschutzgesetz, eben auf Basis einer „epidemische Lage“, die im Prinzip keine wissenschaftliche Begründung hat. Dass ihre eigene Partei versucht, diese Carte Blanche einer autoritären Herrschaftsausübung auf unbestimmte Zeit durchzusetzen, zeigt, wo hier die wahre Diktaturgefahr lauert.
In den 1930er Jahren trug die verfassungsrechtliche Entsprechung der heutigen „epidemischen Lage“, das damalige Ermächtigungsgesetz, den dramatischen Titel „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Heute ist stattdessen die Rede vom „Bevölkerungsschutzgesetz“. Hierzulande war man schon immer geschickt darin, Machtmissbrauch in hochzweckmäßig, sinnvoll und fürsorglich klingende Verpackungen zu kleiden. Allerdings hatte es nicht einmal Hitler gewagt, sich diesen Dauernotstand unbefristet zubilligen zu lassen: Zumindest pro forma ließ er sich alle vier Jahre vom Reichstag die befristeten Vollmachten abnicken und jeweils verlängern – erstmals 1937, dann 1939 bis 1943, bis dann im totalen Krieg ohnehin nur noch per Erlass regiert wurde.
Unkontrollierte Macht, am Volk vorbei
Natürlich hinkt inhaltlich der Vergleich zwischen dem Deutschland von heute und dem Dritten Reich. Wir haben von dieser Groko ganz sicher kein annähernd kriminelles und mörderisches Regime wie im NS-Staat zu befürchten. Doch das ist hier nicht der Punkt. Die entscheidende Vergleichsebene betrifft die Methodik der Aushebelung politischer Kontroll- und Mitbestimmungsmechanismen. Es geht um die Parallelen bei der formalen Ermöglichung von unkontrollierter Macht, um die Aushebelung der Volkssouveränität. Und exakt an diesem Punkt waren wir in unserer Geschichte schon einmal.