Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag war überschattet von zahlreichen „Pleiten, Pech und Pannen“ (Report24 berichtete). In einem Schreiben an die Mitglieder des Bundeswahlausschusses informierte der Bundeswahlleiter nun über seinen Einspruch gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl. Ob das direkte Folgen auf die Bildung der Ampel-Koalition haben wird ist aber bislang unklar. Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus scheint jedenfalls wiederholt werden zu müssen.
Von Max Bergmann
Es ist als Armutszeugnis anzusehen, für eine zumindest auf dem Papier noch existente Demokratie in einem westlichen Land wie Deutschland. Nach zahlreichen „Wahlpannen“ am Tag der Bundestagswahl fand zwischenzeitlich eine intensive Prüfung der gemeldeten Vorfälle statt. In Reaktion darauf erklärte nun Georg Thiel, Bundeswahlleiter, seinen Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag.
Insbesondere in Berlin herrschte absolutes Chaos am Wahltag
Fehler und Unregelmäßigkeiten wurden aus zahlreichen Wahlkreisen gemeldet, doch in der Bundeshauptstadt Berlin häuften sich Auffälligkeiten in besonderem Maße. Stimmzettel wurden zwischen Wahlkreisen vertauscht oder fehlten gänzlich. Vertrauliche Wahlprognosen und Hochrechnungen wurden vor Schließung der Wahllokale in sozialen Medien veröffentlicht. Zeitweise waren Wahllokale geschlossen, öffneten im Laufe des Tages dann wieder. Gewählt wurde teils bis nach 21 Uhr, und das obwohl bereits ab 18 Uhr die ersten offiziellen Prognosen und Hochrechnungen per Eilmeldung auf die Smartphones der vor Wahllokalen wartenden Wahlberechtigten zugestellt wurden. Sogar Minderjährige und nicht wahlberechtigte EU-Ausländer konnten in Berlin den Bundestag wählen. Die Liste der Fehler und Unregelmäßigkeiten ist lang.
Bundeswahlleiter erhebt Einspruch gegen Gültigkeit der Wahl
In einem der Redaktion vorliegenden Schreiben des Bundeswahlleiters an die Mitglieder des Bundeswahlausschusses erhebt dieser nun Einspruch gegen die Gültigkeit und Rechtmäßigkeit der Bundestagswahl vom 26. September. Mit diesem Schreiben vom 19. November informierte Bundeswahlleiter Georg Thiel, er habe „aufgrund der Häufung und Schwere der Wahlfehler in sechs Berliner Wahlkreisen Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag eingelegt“. Er nannte dabei die Wahlkreise 75 (Berlin-Mitte), 76 (Berlin-Pankow), 77 (Berlin-Reinickendorf), 79 (Berlin-Steglitz/Zehlendorf), 80 (Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf) und 83 (Berlin- Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost). Medien berichteten aber auch über Fehler und Unregelmäßigkeiten in weiteren Wahllokalen in ganz Deutschland. So wurden beispielsweise auch in Wuppertal falsche Wahlzettel ausgegeben, dies findet im Schreiben Thiels jedoch keine Erwähnung.
Thiel hält völlig andere Sitzverteilung im Bundestag für möglich
Bundeswahlleiter Thiel erklärte außerdem, seiner Ansicht nach wären all diese organisatorischen Fehler vermeidbar gewesen. Ausschlaggebend für seinen Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl war auch, dass „die Möglichkeit besteht, dass sich nach dem Ergebnis der Zweitstimmen ohne die Fehler ein (sic!) andere Sitzverteilung ergeben hätte“, so Thiel in dem Schreiben. Der Bundeswahlleiter hält demnach völlig andere Mehrheitsverhältnisse im Bundestag grundsätzlich für möglich. Die Prüfung der Vorgänge ist indes nicht abgeschlossen, wie Thiel mitteilte. „Über den weiteren Fortgang des Wahlprüfungsverfahrens werde ich Sie zu gegebener Zeit benachrichtigen“, erklärte er.
Berliner Abgeordnetenhaus: Verfassungsrechtler rechnet mit Neuwahl
Auch die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus fand am 26. September statt und war ebenso von massiven Unregelmäßigkeiten durchzogen. Während es bislang durch den Bundeswahlleiter keine klaren Aussagen über eine mögliche Wiederholung der Bundestagswahl gibt, äußerte sich Verfassungsrechtler Christian Waldhoff gegenüber dem RBB konkreter. Er halte eine komplette Wiederholung der Berlin-Wahl für möglich, sollten die bislang eingereichten Einsprüche erfolgreich verlaufen. Da es in 200 Wahllokalen am 26. September zu schwerwiegenden Pannen gekommen sei, könne dies durchaus einen gravierenden Einfluss auf die Berliner Landeswahl gehabt haben, erklärte Waldhoff am Freitag im Rahmen der Sendung RBB Abendschau. Er rechne fest damit, dass mindestens in den Wahlbezirken erneut gewählt werden müsse, in denen es zu besonders vielen Unregelmäßigkeiten kam. Die zurückgetretene Landeswahlleiterin Petra Michaelis legte bereits Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum Abgeordnetenhaus ein. Ex-SED Innensenator Andreas Geisel (SPD) will dem folgen und kündigte seinen Einspruch für Montag an.
Folgen für Ampel-Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene bislang unklar
Die sogenannte Ampel-Koalition aus SPD, Grüne und FDP will am 6. Dezember ihren gemeinsamen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) zum neuen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wählen. Ob der Einspruch des Bundeswahlleiters auf dieses Vorhaben der Ampel-Parteien Auswirkungen haben wird ist bislang unklar. Thiel stellte die aktuellen Mehrheitsverhältnisse zumindest begründet in Frage, die Folge könnte eine Neuwahl sein. Auch ist nicht geklärt, ob lediglich in den betroffenen Wahlkreisen erneut gewählt werden müsste oder ob die Wahl in der Gänze für ungültig erklärt und wiederholt werden muss. Eine Folge ist aber bereits absehbar. Die derzeit geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wäre im Falle einer Wahlwiederholung der Bundestagswahl höchstwahrscheinlich noch für viele weitere Wochen, möglicherweise Monate im Amt.