Die Geschichten von „Matilda“ und „Charlie und die Schokoladenfabrik“ sind weltbekannt – nicht nur wegen ihrer populären Verfilmungen. Der britische Autor Roald Dahl starb bereits 1990, doch seine zahlreichen Werke begeistern bis heute junge und auch ältere Leser. Ein Verlag nimmt nun jedoch Anstoß an der politisch nicht ausreichend korrekten Sprache, die Dahl seinerzeit verwendete – und setzt den Rotstift an. Unliebsame Beschreibungen wie „hässlich“ und „fett“ werden kurzerhand zensiert; statt „Männern“ und „weiblich“ setzt man geschlechtsneutrale Begriffe ein.
„Sensitivity reading“ nennt sich das Vorgehen, dass der britische Verlag Puffin Books für Dahls Werke initiiert hat: Seine Texte sollen „modernisiert“ werden, damit sie auch heute noch „von allen geschätzt werden können“, so fabuliert man. Im Klartext heißt das, dass jeder Begriff, an dem irgendein Leser auch nur im Ansatz Anstoß nehmen könnte, zensiert oder durch ein neutrales Wort ersetzt wird. Die Oompa Loompas aus „Charlie und die Schokoladenfabrik“ dürfen demnach nicht mehr als „kleine Männer“ beschrieben werden, stattdessen bezeichnet man sie „genderneutral“ als „kleine Leute“. Das Adjektiv „fett“ könnte als body shaming aufgefasst werden, also macht man daraus „riesig“. Auch scheut man sich nicht davor, ganz frei Absätze zu Dahls Werken hinzuzutexten – etwa um die Haarlosigkeit einer Hexe auf medizinische Ursachen zurückzuführen.
Insgesamt „wurden zahlreiche Adjektive, Redewendungen, ganze Gedichtzeilen neu formuliert“, kritisiert Ralf Schweikart, Germanist aus Frankfurt am Main und Vorstandsvorsitzender des Arbeitskreises für Jugendliteratur, gegenüber der Rheinischen Post und erläutert: „Wenn Begriffe wie fett, verrückt oder Idiot nicht mehr vorkommen dürfen oder wenn bei Hexenfiguren, die keine Haare haben, erläutert werden soll, dass es medizinische Gründe dafür geben kann, dass Frauen wenig Haare haben, zeigt das mangelndes Vertrauen in Texte.“
In Wahrheit zeigt es auch mangelndes Vertrauen in den Leser, denn auch Kinder wissen sehr wohl längst, dass die Welt nicht immer schön, heil und perfekt ist. „Natürlich sind dicke Menschen dick, und fette Menschen fett, das nehmen Kinder auch so wahr. Wenn das nicht mehr benannt werden darf, rutschen wir in eine Erziehungsdiktatur, die in der Literatur nichts zu suchen hat“, stellt auch Schweikart weiter fest. Dahls Texte sind durchaus für eine gewisse Ruppigkeit in der Sprache bekannt – das macht nach Ansicht seiner Fans die Energie seiner Erzählungen aus. Wer fiebert beispielsweise mit der kleinen Matilda mit, wenn die böse Miss Trunchbull („Fräulein Knüppelkuh“) harmlos als etwas größere Dame beschrieben wird?
Scharfe Kritik an dem Vorgehen von Puffin Books kam auch von dem weltbekannten Schriftsteller Salman Rushdie, der von „absurder Zensur“ sprach. Dahl sei kein Engel gewesen, doch Puffin Books und die Dahl-Company sollten sich schämen.
Dahl selbst war tatsächlich nicht unumstritten – seine eigene Familie sah sich zwischenzeitlich bewogen, sich für seine antisemitistischen Äußerungen zu entschuldigen. Doch die Zensur-Maßnahmen an seinen Kinderbüchern erwecken den Eindruck, als setzten seine Werke sich aus Beleidigungen und Bösartigkeiten zusammen. Passt das zu beispielsweise dem folgenden Zitat, das sich in Dahls „The Twits“ (Deutsch: Die Zwicks stehen Kopf) findet?
A person who has good thoughts cannot ever be ugly. You can have a wonky nose and a crooked mouth and a double chin and stick-out teeth, but if you have good thoughts they will shine out of your face like sunbeams and you will always look lovely.
Übersetzt: Eine Person, die gute Gedanken hat, kann niemals hässlich sein. Du kannst eine schiefe Nase und einen schiefen Mund und ein Doppelkinn und hervorstehende Zähne haben, aber wenn du gute Gedanken hast, werden sie wie Sonnenstrahlen aus deinem Gesicht strahlen, und du wirst immer schön aussehen.