Die Führung Südkoreas denkt über den Bau von taktischen Atomwaffen nach und erhält dabei große Unterstützung aus der Bevölkerung. Soll ein „Gleichgewicht des Schreckens“ einen neuen Koreakrieg verhindern?
Eigentlich gilt es als nicht erwünscht, dass noch mehr Länder als bisher schon Atomwaffen besitzen. Bislang sind das immerhin schon die Vereinigten Staaten, Russland, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Dem Iran werden nukleare Ambitionen nachgesagt und auch Saudi-Arabien soll mit dem Gedanken spielen, sich Atomwaffen zuzulegen. Wobei die Saudis dies als Reaktion auf eine potenzielle nukleare Bewaffnung der Iraner (welche ihrerseits wegen der Israelis mit dem Gedanken spielen) tun wollen und dabei auf die Hilfe Pakistans setzen. Doch nun kommt ein weiterer Atomwaffen-Aspirant auf die Bühne: Südkorea.
Bislang hatte sich die südkoreanische Führung stets geweigert, US-Atomwaffen im Land zu stationieren, weil dies als potenzielle Eskalation des Konflikts mit dem Norden betrachtet wurde. Doch mit dem Ausbau des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms kam in Seoul offensichtlich auch ein Sinneswandel. Allerdings will die neue rechtskonservative Führung nicht unbedingt US-amerikanische Atombomben im Land stationiert sehen (auch wenn die Möglichkeit besteht), sondern am liebsten selbst taktische Atomwaffen herstellen. Dies berichtet „The Warzone“ in einem aktuellen Report.
Der südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol kündigte an, dass sein Land als Reaktion auf das nordkoreanische Atomwaffenprogramm den Bau taktischer Atomwaffen in Betracht ziehen könnte. Dies ist das erste Mal seit 1991, dass ein südkoreanischer Präsident diese Möglichkeit anspricht. „Es ist möglich, dass sich das Problem verschärft und unser Land taktische Atomwaffen einführt oder selbst baut. Wenn das der Fall ist, können wir angesichts unserer wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten ziemlich schnell über eigene Atomwaffen verfügen“, sagte Yoon den Berichten zufolge.
Präsident Yoon wies auch darauf hin, dass Nordkoreas Atomwaffen eine Bedrohung für die USA und andere Verbündete darstellen: „Die nordkoreanische nukleare Bedrohung ist nicht mehr nur eine Bedrohung für Südkorea oder ein Problem, bei dem die Vereinigten Staaten lediglich Südkorea schützen. Sie ist zu einem so genannten gemeinsamen Interesse für Südkorea, Japan und die Vereinigten Staaten geworden“, sagte er. Laut The Warzone erwähnte Yoon auch die Möglichkeit, taktische US-Atomwaffen in Südkorea zu stationieren: „Es ist immer wichtig, ein realistisch mögliches Mittel zu wählen“, sagte er.
Die Bevölkerung unterstützt Präsident Yoons Vorschlag für die Stationierung von Atomwaffen im Land. Eine Studie der Carnegie Endowment for Regional Peace vom Februar 2022 zeigt, dass 71 Prozent der südkoreanischen Öffentlichkeit eigene Atomwaffen befürworten, während 56 Prozent die Stationierung von Atomwaffen durch die USA in ihrem Land unterstützen. Auf die Frage, ob Südkorea über ein eigenes, unabhängiges Atomwaffenarsenal verfügen sollte, sprechen sich der Studie zufolge 67 Prozent dafür aus, während nur 9 Prozent die Stationierung von US-Atomwaffen befürworten. Bei der Frage nach der Ablehnung von Atomwaffen zeigt die Studie, dass 40 Prozent gegen die Stationierung von US-Atomwaffen sind, während nur 26 Prozent ein unabhängiges Atomwaffenarsenal ablehnen.
Angesichts dessen, dass es sich bei Südkorea um einen engen Verbündeten der Vereinigten Staaten handelt, dürfte der Widerstand in Washington für solche Pläne eher gering sein. Anders als im Falle des Irans, welcher wegen seiner eigenen nuklearen Bemühungen (offiziell nur zum Bau und Betrieb von Atomkraftwerken) sanktioniert wird. Nun bleibt es abzuwarten, welchen Weg Seoul nun tatsächlich einschlagen wird.