In Damaskus weht unter der HTS-Islamistenherrschaft mittlerweile eine neue Flagge. Die Amerikaner und Briten wollen sich mit der neuen Dschihadisten-Führung in Syrien arrangieren. Doch auch wenn er einen Schafspelz trägt, bleibt ein Wolf ein Wolf. War Assad vielleicht doch das kleinere Übel?
Es ist eine Geschichte, wie sie nur der Nahe Osten schreiben kann: Eine Organisation, die gestern noch auf allen Terror-Listen stand, sitzt heute in Damaskus‘ Regierungspalast. Die Metamorphose der Hayat Tahrir al-Sham (HTS) vom Al-Qaida-Ableger zum „pragmatischen Gesprächspartner“ ist dabei so erstaunlich wie beängstigend. Mohammad Bashir, bislang Premier der selbsternannten „Heilsregierung“ in Idlib, wurde am Montag zum neuen Ministerpräsidenten Syriens gekürt. Ein Mann, dessen Gruppierung noch vor kurzem wegen Entführungen, öffentlicher Hinrichtungen und wahlloser Angriffe auf Zivilisten in den Schlagzeilen war. Aber was interessiert uns das Gestern, wenn das Heute so verlockend pragmatisch daherkommt?
Washington und London überbieten sich bereits mit diplomatischer Gymnastik, um die Terror-Einstufung der HTS zu überdenken. „Wir müssen klug sein… und sehr aufmerksam und pragmatisch, was die Realitäten vor Ort angeht“, verkündet ein US-Beamter mit jener säuselnden Belanglosigkeit, die man sonst nur von Immobilienmaklern kennt. Aber mit autoritären Regimen kennt man sich seitens der Angloamerikaner ohnehin gut aus. So lange sie keine Gefahr für die westliche Hegemonie darstellen, arrangiert man sich.
Die Karriere der HTS liest sich wie ein Lehrbuch für erfolgreiches Terror-Rebranding: Erst war man die Al-Nusra-Front, dann Jabhat Fateh al-Sham, und jetzt – dank großzügiger katarischer Unterstützung – die scheinbar salonfähige HTS. Es ist, als würde man einen Wolf in verschiedene Schafspelze stecken, bis einer endlich passt. Ob dieser der richtige ist, wird sich noch herausstellen müssen.
Besonders pikant: Während auf den Kopf von HTS-Führer al-Julani noch ein üppiges US-Kopfgeld ausgesetzt ist, gab er letzte Woche seelenruhig CNN ein Interview. Und natürlich musste die CNN-Journalistin ein Kopftuch tragen – das war bei Assad nicht der Fall. In Damaskus weht bereits eine neue Flagge, und der bisherige Premier al-Jalali spricht von einem „reibungslosen Übergang“ – als handle es sich um einen gewöhnlichen Regierungswechsel und nicht um die Machtübernahme einer Gruppe, die bis vor kurzem auf der schwarzen Liste aller westlichen Geheimdienste stand.
Die Geschichte lehrt uns: Terroristen von gestern können – wie schon die Taliban in Afghanistan – die Staatsmänner von morgen sein. Aber sie lehrt uns auch, dass ein Wolf ein Wolf bleibt – egal, wie oft er seinen Pelz wechselt. Werden wir bald zusehen müssen, wie dieser Wolf die Schäflein reißt, die er vorgibt, regieren zu wollen? In Damaskus wurde jedenfalls schon das Scharia-Recht ausgerufen.